In der kommenden Woche wird im Europaparlament über einen Misstrauensantrag gegen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen abgestimmt. René Repasi, der Chef der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, sieht aktuell keine Grundlage, um von der Leyen das Vertrauen auszusprechen. Das hat auch damit zu tun, dass die EVP-Fraktion unter Führung des CSU-Politikers Manfred Weber Mehrheiten mit Rechtsfraktionen zumindest hingenommen hat.

Eine Zustimmung zum Misstrauensantrag schließt Repasi aus, denn gestellt wurde er von einem Abgeordneten aus der rumänischen "Allianz für die Vereinigung der Rumänen", einer rechtsextremen Partei, die im Europaparlament Teil der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) ist. "Einem Misstrauensvotum, das von Rechtspopulisten eingebracht wird, werden wir nicht die Hand reichen", so Repasi.

ntv.de: Hat Ursula von der Leyen das Vertrauen der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament?

René Repasi: Frau von der Leyen wird uns etwas anbieten müssen, um sich unser Vertrauen zu sichern. Es ist ja nicht so, dass wir hier im luftleeren Raum unterwegs sind. Die Europäische Kommission verfolgt eine Agenda, die viele Errungenschaften massiv zurückbaut. Und diese Kommission hat sich zu einer politischen Zusammenarbeit mit Rechtsaußenfraktionen geöffnet. Das ist etwas, was bei uns Sozialdemokraten schlecht ankommt. Die Fraktion hier im Parlament, die Frau von der Leyen unterstützt, …

… die EVP-Fraktion, der auch CDU und CSU angehören, …

… die arbeitet regelmäßig mit den Rechtsaußenfraktionen zusammen. Und man kann nicht erwarten, dass die Sozialdemokraten der Kommission bedingungslos die Verantwortung aussprechen, wenn die neuen Freunde von Frau von der Leyen und EVP-Fraktionschef Manfred Weber ihr wahres Gesicht zeigen. So funktioniert das nicht.

Der Misstrauensantrag kommt aus der EKR-Fraktion, also aus einer der Rechtsaußenfraktionen, von denen Sie gesprochen haben.

Herr Weber muss sehen, dass diese punktuellen Mehrheiten nicht funktionieren. Wird er das nur dann erkennen, wenn er die progressiven Parteien - Sozialdemokraten, Liberale und Grüne - auf diesem Weg endgültig verliert? Einem Misstrauensvotum, das von Rechtspopulisten eingebracht wird, werden wir nicht die Hand reichen. Das weiß Weber auch. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt zu einem Kurs kommen, der eine stabile Koalition der Mitte ermöglicht. Denn das, was jetzt passiert, kann sich ständig wiederholen. Und wir kommen im Europaparlament langsam an die heißen Eisen der europäischen Politik: an die Finanzplanung, den Aufbau der Verteidigungsunion und dergleichen. Wenn Weber stabile Mehrheiten haben möchte, dann muss er jetzt Farbe bekennen und sich eingestehen, dass er auf dem Holzweg war.

Schon vor dem aktuellen Misstrauensantrag hatte Ihre Fraktion der Kommissionspräsidentin ein Ultimatum gestellt, das im September ausläuft, wenn Ursula von der Leyen im Europaparlament die Rede zur Lage der Europäischen Union hält. Ist die Deadline nun vorgezogen auf nächste Woche?

Sagen wir mal so: Es gibt sicherlich Elemente, die unsere Fraktionsvorsitzende der Kommissionspräsidentin vorlegen wird und die Frau von der Leyen besser schon nächste Woche anspricht, wenn sie will, dass wir ihr unser Vertrauen aussprechen.

Eine Zustimmung zum Misstrauensantrag kommt für Sie nicht infrage?

Für uns war die Brandmauer nie etwas Relatives. Die CDU sagt ja immer, wenn die Rechtsaußenfraktionen CDU-Anträge stellen, dann könne man auch dafür stimmen. Ich halte das für falsch. Es kommt schon darauf an, wer einen Antrag stellt. Selbst wenn in einem Antrag Sozialdemokratie pur drinsteht - wenn er von Rechtspopulisten und Rechtsaußenabgeordneten gestellt wird, dann stimmen wir nicht zu. Bei dieser Linie bleiben wir. Eine andere Frage ist, ob wir Frau von der Leyen positiv das Vertrauen aussprechen.

Bei Ihrem Ultimatum hatten Sie von Ursula von der Leyen die Rückkehr zu einer progressiven Agenda gefordert. Warum sollte eine konservative Politikerin sich darauf einlassen?

Nun, Frau von der Leyen braucht ja auch Mehrheiten für ihre Politik. Derzeit geht ihr Fraktionsvorsitzender Manfred Weber im Europäischen Parlament so vor: Wenn es darum geht, Sozialrechte und den Green Deal abzuholzen, lässt er destruktive Ablehnungs- und Rückbaumehrheiten mit den Rechtsaußenfraktionen zu. Wenn etwas aufgebaut werden soll, etwa beim EU-Haushalt oder bei der Verteidigung, dann sagt er: Das machen wir mit den Sozis. Das ist eine Rosinenpickerei, die wir nicht länger hinnehmen. Wenn Weber mit Rechtsaußen unterwegs sein will, muss er damit rechnen, von denen Geschenke zu bekommen wie jetzt das Misstrauensvotum.

Und natürlich wissen wir, dass wir keine sozialdemokratische Kommissionspräsidentin und keine sozialdemokratische Kommission haben. Wir sind uns bewusst, dass das Wahlergebnis zu einer Akzentverschiebung nach rechts geführt hat, aber eben nicht so sehr, dass Inhalte aus der zweitstärksten Fraktion, der sozialdemokratischen S&D, überhaupt nicht mehr vorkommen.

Was kann von der Leyen konkret liefern, um Ihr Vertrauen zu bekommen?

Da sind wir gerade in den Diskussionen. Zum Beispiel könnte die Kommissionspräsidentin beim Klimaziel deutlich machen, dass sie nicht an den Ambitionen rütteln will, die sie selbst gesetzt hat. Wir schlagen außerdem vor, dass der neue Finanzrahmen, den die Kommission am 16. Juli vorlegt, vorsieht, dass der Europäische Sozialfonds bestehen bleibt, statt in der großen Soße eines Wettbewerbsfonds aufzugehen, wie Frau von der Leyen es gerne hätte. Und drittens könnte sie uns eine Zusage für einen Rechtsakt zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor Künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz geben.

Gehen Sie davon aus, dass von der Leyen den Misstrauensantrag übersteht?

Damit der Misstrauensantrag erfolgreich ist, muss er eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen bekommen, die mindestens der absoluten Mehrheit entsprechen. Enthaltungen verschaffen dem Antrag keine Mehrheit. Die Hürden sind also sehr hoch.

Aber?

Bei ihrer Wahl im Juli 2024 hat Frau von der Leyen 401 Stimmen bekommen. Ihre Kommission hatte dann im November noch 370 Unterstützungsstimmen. Das war eine Folge davon, dass sie Raffaele Fitto von der Partei Fratelli d'Italia zu einem der Vizepräsidenten gemacht hat; auch die SPD hat sich damals enthalten. Wenn ihr jetzt das Vertrauen mit noch weniger Stimmen als im November ausgesprochen wird, dann wäre das ein klares Signal, wie stark die Unterstützung schrumpft.

Die Fratelli d'Italia der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni stellen in der EKR-Fraktion die größte Gruppe. Obwohl der Antrag gegen von der Leyen aus ihren Reihen kommt, wollen sie nicht gegen die Kommissionspräsidentin stimmen. Können Sie sich vorstellen, dass Melonis Partei weiter in die Mitte rückt und die EKR-Fraktion irgendwann verlässt? Und wäre das dann nicht doch ein Erfolg von Manfred Weber?

Die Frage wäre dann: Wo würden die Fratelli in einem solchen Fall landen? Die Partei ist zu machtbewusst, um zu einer fraktionslosen Gruppierung zu werden, denn ohne Fraktion ist der Einfluss einer Partei im Europaparlament extrem begrenzt. Wenn die Fratelli die EKR verlassen würden, dann würden sie sich vermutlich der EVP-Fraktion anschließen wollen. Dieser Fraktion gehört allerdings die Partei Forza Italia an. Ob die dem zustimmen würden, das wage ich zu bezweifeln. Trotzdem halte ich das von Ihnen geschilderte Szenario nicht für total unrealistisch. Denn innerhalb der EKR-Fraktion scheint es ziemlich zu knallen. Nach allem, was ich hier in Brüssel höre, könnte die Fraktion sich aufspalten oder verschwinden. Die radikalen Truppen würden wohl zu den "Patrioten für Europa" rüberwandern. Das könnte aber schnell ein Pyrrhussieg werden, weil die dann noch größer würden.

Mit René Repasi sprach Hubertus Volmer

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