Während die internationale Gemeinschaft den fragilen Waffenstillstand zwischen Iran und Israel beobachtet, werden in Iran weiterhin Zivilisten vom Regime verfolgt. Je stärker der Druck von außen, desto mehr Druck von innen.
Sie sollen Militärstandorte ausspioniert, dem israelischen Geheimdienst Mossad geheime Informationen über die Regierung zugespielt oder Waffen und Drohnen im Kampf für Israel gehortet haben. Im Zuge des zwölftägigen Krieges, so berichtet die staatsnahe iranische Nachrichtenagentur Fars News, wurden im Iran rund 700 Festnahmen wegen angeblicher Verbindungen zu Israel durchgeführt. Staatliche Medien berichten zudem, seit dem israelischen Angriff seien mindestens sechs Männer wegen Spionage für den Erzfeind hingerichtet worden.
Während die Weltöffentlichkeit auf die Kriegsschauplätze in der Region schaut, geht das iranische Regime noch unerbittlicher gegen seine Kritiker im Innern vor. Erschüttert durch Niederlagen in der gesamten Region, steht die Islamische Republik nun geschwächt und ungeschützt da. Die Säulen, die sie einst stützten - Ideologie, Einfluss und Angst - bröckeln. Der "Krieg gegen den Zionismus" und die Konfrontation mit den USA dienen dazu, eine nationale Einheit zu erzwingen und regimekritische Stimmen als "unpatriotisch" oder "als vom Ausland gesteuert" zu diffamieren. Der Menschenrechtsaktivist Hossein Ronaghi berichtet auf X, dass das Regime sich "derzeit voll und ganz auf die Unterdrückung der Bevölkerung" konzentriere und selbst unter den widrigen Umständen nicht damit aufhöre, Frauen wegen der Kopftuchpflicht zu verfolgen.
Ronaghi, der wegen seiner Kritik am Regime insgesamt sechs Jahre im Gefängnis saß, warnt vor einer "Welle von Scheinprozessen", um "Andersdenkende zum Schweigen zu bringen und ihre eigene Brutalität zu legitimieren". Nach Einschätzung von Roya Boroumand, Geschäftsführerin der in den USA ansässigen iranischen Nichtregierungsorganisation Abdorrahman Boroumand Center, versuchen die iranischen Behörden mit den momentanen Repressalien, die öffentliche Unzufriedenheit über den "demütigenden Schlag" Israels zu unterdrücken. "Um die Kontrolle zu behalten und zu verhindern, dass sich die Gegner im Land organisieren und mobilisieren, setzt die iranische Führung nun auf Angst. Und das ist vielleicht erst der Anfang", sagte Boroumand der Nachrichtenagentur AFP.
Gefängnis für die Forderung nach Schutz
Denn neben den Festnahmen wegen angeblicher Spionage gibt es Dutzende Festnahmen wegen Kritik am Regime. Zudem verschwinden Personen, die früher bereits im berüchtigten Evin-Gefängnis inhaftiert waren. Die Zahnmedizin-Studentin Motahareh Goonei etwa wurde unmittelbar nach Beginn des Krieges festgenommen, nachdem sie Schutz für die Bevölkerung gefordert hatte: "Man vermag nicht einmal die eigenen Kommandeure zu schützen!", schrieb sie auf X. Erst im März war die junge Frau nach einem Jahr Haft aus der dem Evin-Gefängnis entlassen worden, nachdem sie eine Strafe wegen "Propaganda gegen den Staat" verbüßt hatte. Grund dafür war unter anderem ihre Teilnahme an einem Protest gegen das mittlerweile aufgehobene Todesurteil gegen den Rapper Toomaj Salehi.
Das Teheraner Evin-Gefängnis ist das politische Symbol für den Widerstand gegen die Islamische Republik. Neben "gewöhnlichen" Häftlingen sitzen hier politische Gefangene wie die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, Journalisten, Oppositionspolitiker und Zivilisten, die sich gegen das Regime auflehnten. Im Volksmund wird auch von der "Universität Evin" gesprochen. Bei einem israelischen Angriff wurden dort am 23. Juni 71 Menschen getötet, darunter Verwaltungsmitarbeiter, Häftlinge, auch Besucher von Inhaftierten. Die überlebenden politischen Gefangenen wurden an einen unbekannten Ort gebracht und haben keinerlei Kontakt mehr zu ihren Angehörigen. Mit dem Hashtag #where_is_our_prisoner fordern die Familien der Verschwundenen und Aktivisten Antworten darauf, wo sich die Deportierten befinden. Auch von Motahareh Goonei fehlt jedes Lebenszeichen.
Hunderte Hinrichtungen im vergangenen Jahr
Die Repressionen gegen die Zivilbevölkerung haben seit der Niederschlagung der landesweiten Proteste unter dem Ruf "Jin, Jiyan, Azadî!" - "Frauen, Leben, Freiheit" 2022/2023 gar noch zugenommen. Laut Amnesty International wurden im Iran im vergangenen Jahr mindestens 972 Personen hingerichtet. Nach China ist der Iran das Land mit den meisten Hinrichtungen weltweit.
Alleine in diesem Jahr sollen laut Iran Human Rights Monitor 577 Personen hingerichtet worden sein. Nur wenige Tage vor dem Kriegsausbruch wurde Mojahed Korkor im südwestlichen Ahwas umgebracht. Sein Vergehen: Die Teilnahme an den "Frau, Leben, Freiheit"-Protesten. Seitdem saß er im Gefängnis. Auf X wurde nun ein Video veröffentlicht, in dem seine Mutter erzählt, ein Abschiedsbesuch sei der Familie von den Behörden verwehrt worden. Am Donnerstag wurde der Familienvater Rezgar Beigzadeh Babamiri zu Tode verurteilt, weil er während der "Frau, Leben, Freiheit"-Proteste Demonstranten geholfen hatte, die von Polizisten verletzt worden waren.
Widerstand, trotz allem
Die Unzufriedenheit im Land ist groß. Experten wie die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur schätzen, dass "80 bis 90 Prozent der Bevölkerung" nicht hinter dem Regime stehen, wie Amirpur in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" schreibt.
Ungeachtet repressiver Maßnahmen gehen seit Monaten immer wieder Menschen verschiedener Branchen auf die Straße. Angestellte der Teheraner Metro, Arbeiter von Raffinerien und Pflegekräfte fordern bessere Arbeitsbedingungen und pünktliche Auszahlung ihrer Löhne. Es kam auch zu kurzzeitigen Arbeitsniederlegungen. Unmittelbar vor dem Krieg streikten in rund 155 Städten Lkw-Fahrer mehrere Tage. Grund war die wachsende Frustration über Treibstoffbeschränkungen und fehlende staatliche Unterstützung. Natürlich gab es zahlreiche Festnahmen.
Gleichzeitig befindet sich die Wirtschaft in einem desaströsen Zustand. Im Mai betrug die Inflation 38,7 Prozent. Der Rial hat in einem Jahr die Hälfte seines Wertes verloren. Während das Regime die US-Sanktionen und den Druck von außen für den wirtschaftlichen Abschwung verantwortlich macht, liegt das eigentliche Problem in Jahrzehnten des Missmanagements und der Korruption. Während die Armut im Land wächst, die Mittelschicht abrutscht, steckt das Regime Milliarden US-Dollar in die Aufrüstung der Armee und die Finanzierung von Milizen im Kampf gegen Israel. So überrascht es nicht, dass in den sozialen Netzwerken zuweilen spöttisch auf Israels gezielte Tötung hoher Militärs reagiert wurde. Es wurden Videos verbreitet, in denen hochrangige Militärs erklärten, Israel würde es niemals wagen, den Iran anzugreifen. Oder Videos, in denen Militärs die Fähigkeit des Iran anpriesen, Angriffe durch seine starken militärischen Möglichkeiten abzuwehren.
Doch auch wenn sich sehr viele Iraner den Fall des Regimes wünschen, möchten sie dafür nicht mit ihrem Leben bezahlen oder von außen dazu gedrängt werden. "Es war nie ein Geheimnis, was die Iraner wollen. Sie haben es der Welt seit über vier Jahrzehnten mutig und beharrlich gezeigt", schreibt die Schriftstellerin Sahar Delijani auf Instagram. Delijani kam im Evin-Gefängnis zur Welt. "Was die Iraner wollen, ist eine freie, säkulare, demokratische Gesellschaft und eine politische Infrastruktur, die diese schützt und garantiert. Was die Iraner wollen, ist Solidarität. Nicht Krieg. Nicht Bomben. Nicht Invasion. Was die Iraner wollen, ist die Chance, ihre Zukunft selbst zu gestalten - ein Recht, das niemandem verwehrt werden sollte."
Eine Zukunft, die die sogenannten Ekbatan-Boys vielleicht nie haben werden: Die sechs jungen Männer demonstrierten 2022 im Teheraner Stadtteil Ekbatan, der als ein Zentrum des Widerstands galt. Sie sitzen seit ihrer Festnahme im Gefängnis und wurden vergangenen November vom Revolutionsgericht zum Tode verurteilt. Sie sind Symbolfiguren des urbanen Widerstands - junge Männer ohne Waffen, aber mit Handykameras. Bei einigen von ihnen ist nicht bekannt, wo sie sich eigentlich befinden und ob sie überhaupt noch leben.
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