„Hm.“ Karin Prien, die Bundesbildungs- und Familienministerin, schaut nachdenklich. Eine Antwort fällt der CDU-Politikerin spontan nicht ein. Das Steak vom Grill sei ihr ein bisschen zu durch, „aber alles gut“, und das ist auch nicht der Grund für ihre Denkpause.
Prien ist am Donnerstag zu Gast beim „Politikergrillen“ mit WELT-Chefredakteur Jan Philipp Burgard. Und der „grillt“ seinen Gast mit einer Frage nach dem umstrittenen Bundesprogramm „Demokratie leben“, das aus Priens Ministerium jährlich 200 Millionen Euro bekommt.
„Da kriegen ganz viele verschiedene NGOs Geld“, hält Burgard ihr vor. „Darunter ist beispielsweise das Bündnis der islamischen Gemeinden in Norddeutschland, das vom Verfassungsschutz beobachtet wird“. Bei einer Veranstaltung dort sei der getötete Führer der Terrororganisation Hamas, Jahja Sinwar, als „Märtyrer“ gepriesen worden. „Sie haben gesagt, Sie wollen diesen Vorfall prüfen, aber ich frage mich, was gibt es denn da noch zu prüfen?“
Prien sammelt sich und antwortet: „Wir werden dieses Programm natürlich auf den Prüfstand stellen. Und anders als die Vorgängerregierung werden wir Kriterien entwickeln müssen, wann Förderungen erstens überhaupt gewährt werden können und vor allem, wann sie zurückgenommen werden können.“
Burgard „grillt“ weiter: „Aber ist das nicht ein absolut klarer Fall?“ Prien antwortet: „Ja, das ist ein klarer Fall.“ Aber es brauche eine Rechtsgrundlage. Da seien ja Bescheide erlassen worden, die müssten aufgehoben werden. „Wir sind so oder so ja im Rechtsstaat unterwegs, und deshalb werden wir uns jeden einzelnen Fall genau angucken. Und wo es eine Möglichkeit gibt, aufgrund solcher Vorfälle zu handeln, werden wir das auch tun.“ Und ja, „das System“ müsse „insgesamt auf neue Füße“ gestellt werden, „und das werden wir auch machen“.
Die Thematik um Nahost, Israel und Judenhass hat bei Karin Prien einen biografischen Bezug. „Sie sind ja die erste jüdische Bundesministerin“, sagt Burgard. „Ihre beiden Großväter mussten während der NS-Zeit nach Holland fliehen. Sie sind deshalb auch in Amsterdam geboren. Und einige Ihrer Vorfahren sind im Holocaust ermordet worden. Sie haben erst sehr spät angefangen, über Ihre jüdischen Wurzeln zu sprechen, ich glaube, 2016. Warum haben Sie erst so spät in Ihrem Leben darüber gesprochen?“
Die „Traumata der Verfolgung“ hätten in ihrer Familie eine große Rolle gespielt, sagt Prien. „Und zumindest meine Mutter war immer der Meinung, wenn wir jetzt in Deutschland leben, dann sind jedenfalls auch noch eine ganze Menge Täter um uns herum. Wir reden jetzt von den 60er-Jahren. Und du kannst nie sicher sein, dass so was nicht noch mal passiert. Und deshalb musst du vorsichtig sein.“ Dazu habe eben auch gehört, „dass wir das nicht öffentlich gesagt haben“ – wie viele jüdische Familien im Nachkriegsdeutschland.
„Irgendwann kam der Punkt, und das ist dann Anfang der Zehner-Jahre gewesen, wo ich das Gefühl hatte, Antisemitismus wird wieder ein Thema – und zwar richtig.“ Den „klassischen rechtsextremen Antisemitismus“, dann den „linken und linksextremen Antisemitismus, der oft im Gewand der Israel-Feindlichkeit daherkommt“, dazu „den migrantischen Antisemitismus“. Und, so Prien, „wir haben leider auch so etwas wie den Antisemitismus der Mitte“ mit den jahrhundertealten Stereotypen beispielsweise über jüdisches Geld. Seit dem 7. Oktober 2023, als die Hamas Israel überfiel, sei das „zu so einer Gemengelage geworden. Das ist echt ein giftiger Cocktail. Und das besorgt mich sehr.“
„Haben Sie selbst schon mal antisemitische Anfeindungen erlebt?“, will Burgard wissen.
„Ja, natürlich.“ Schon früher, auch, wenn die meisten sich bei ihr nicht getraut hätten. „Aber im Netz, im Netz habe ich es erlebt.“ Und als sie sich als Jüdin offen zu erkennen gab, da hätten Leute gefragt: „Musste das eigentlich sein?“ Das seien keine Antisemiten gewesen, „sondern das waren einfach Menschen, die im Umgang mit jüdischen Menschen so wenig vertraut waren, dass sie so richtig nicht damit umgehen konnten“.
Das will sie ändern. Prien will ein deutsch-israelisches Jugendwerk gründen und dafür sorgen, dass sich Kinder und Jugendliche aus beiden Ländern kennenlernen. Das Projekt soll nach ihrem Willen in dieser Amtsperiode kommen. „Ich habe schon die ersten Gespräche mit dem israelischen Außenminister und dem israelischen Botschafter dazu geführt.“ Israel sei ein „faszinierendes Land“, so die Ministerin. „Jeder, der in Israel gewesen ist, für den ist Antisemitismus eigentlich keine richtige Option mehr.“
Verhältnisse wie bei Houellebecqs „Unterwerfung“?
Prien hat derweil einen Dip gemixt – Joghurt mit Zitrone und Harissa und Petersilie. „So, ich würde sagen, das hier kann man mal probieren. Dafür nehmen wir uns mal ein bisschen Brot.“
Burgard fragt: „Auch noch eine Wurst?“
Prien: „Ja, Wurst ist immer gut.“
Burgard fragt nach dem schlechten Abschneiden Deutschlands bei der jüngsten Pisa-Studie. Prien nennt als Grund „immer mehr Schülerinnen und Schüler aus sehr unterschiedlichen Milieus, aus sehr unterschiedlichen ethnischen und nationalen Hintergründen“.
Burgard hakt nach: Dänemark führe genau darum Höchst-Quoten für Zuwanderer an den Schulen ein, was sich Prien auch für Deutschland vorstellen kann. Als Vorbild nennt sie aber Kanada: „Die sind nämlich extrem erfolgreich bei Pisa und haben ähnlich hohe Einwanderungs- und Migrationsquoten.“
Der Chefredakteur schildert den Fall einer Berliner Grundschule mit 90 Prozent Migrationsquote. „An dieser Schule wurde ein Lehrer von muslimischen Schülern gemobbt, weil er sich als homosexuell geoutet hat. Und ein Schüler wird mit den Worten zitiert: ‚Der Islam ist hier der Chef.‘ Nähern wir uns da langsam schon Verhältnissen an, wie der französische Schriftsteller Michel Houellebecq das in seinem Roman ,Unterwerfung‘ skizziert hat?“
Houellebecq sei ihr zu „dystopisch“, meint Prien. „Und ich will sehr deutlich sagen, der Islam ist definitiv hier nicht der Chef, sondern der Chef ist hier das Grundgesetz.“
Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.
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