Wochenlang blockierte Israel jede Hilfe für Gaza - und zog international massive Kritik auf sich. Seit Juni bringt Israel gemeinsam mit der Trump-Regierung Nahrung ins Kriegsgebiet. Doch die vier Verteilstellen werden zur tödlichen Falle. Soldaten schießen scharf und ohne Grund auf Hilfesuchende, so lautet der Vorwurf.
Die humanitäre Hilfe, die Israel seit einigen Wochen wieder im Gazastreifen zulässt, wird zur tödlichen Gefahr. Erneut meldeten palästinensische Quellen, in der Nähe eines Verteilzentrums der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) habe es Tote gegeben. Sieben Menschen sollen am Mittwoch gestorben sein, die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa meldete, die israelischen Streitkräfte (IDF) hätten auf Wartende gefeuert.
Was die palästinensische Seite schon seit Wochen anprangert, bestätigen mittlerweile auch die Vereinten Nationen. 410 zivile Todesopfer und über 4000 Verletzte haben die UN in den ersten vier Wochen gezählt, seit Israel seine Blockade von Nahrungsmittellieferungen aufgehoben hat. Seitdem führt die von der israelischen Regierung und der US-Regierung eingesetzte GHF die Verteilung von Hilfsgütern durch. US-Präsident Donald Trump hatte auf dieses Vorgehen gedrungen, ein Großteil der Mitarbeiter der GHF sind US-Amerikaner. Den Hilfswerken, die vor der israelischen Blockade im Gazastreifen tätig waren, verweigert Israel weiterhin den Zugang zum Kriegsgebiet.
Mit weitreichenden Folgen. Denn den Verteilerschlüssel von 400 Ausgabestellen für zwei Millionen Bedürftige, mit dem die internationalen NGOs bis zur Blockade praktizierten, hat die GHF radikal gekürzt. Sie ist mit nur vier Ausgabestellen im Gazastreifen tätig, die vom israelischen Militär kontrolliert werden. "Die Zivilbevölkerung muss stundenlang durch gefährliche Gebiete gehen, um die militarisierten Verteilungsstellen zu erreichen, die oft eingezäunt sind und nur einen einzigen Zugang haben", heißt es dazu von Amnesty International. Die Orte seien zum Schauplatz wiederholter Massaker geworden, mit Kindern, Waisen, Helferinnen und Helfern unter den Opfern, bilanziert Amnesty.
Nach Informationen der israelischen Tageszeitung "Haaretz" findet die Verteilung der Nahrungsrationen zumeist nur in einem Zeitfenster von einer Stunde am frühen Morgen statt. Die IDF schießen demnach auf Menschen, die vor der Öffnungszeit eintreffen, um sie daran zu hindern, sich zu nähern, oder nach Schließung der Zentren, um sie zu zerstreuen. Das sagten Soldaten und Offiziere der Zeitung.
"Es ist ein Schlachtfeld", sagte ein Soldat. "Wo ich stationiert war, wurden jeden Tag zwischen einem und fünf Menschen getötet. Sie werden wie eine feindliche Streitmacht behandelt - keine Maßnahmen zur Kontrolle der Menschenmenge, kein Tränengas - nur scharfe Schüsse mit allem, was man sich vorstellen kann: schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Mörser. Sobald das Zentrum öffnet, hört das Schießen auf und sie wissen, dass sie sich nähern können. Unsere Form der Kommunikation sind Schüsse."
"Die Kritik ist politisch motiviert"
Die GHF bestreitet einen Zusammenhang zwischen den Todesfällen und der Verteilpraxis der Stiftung. "Wir hatten keinen einzigen gewalttätigen Vorfall in unseren Verteilungsstellen. Wir hatten noch keinen gewalttätigen Vorfall in unmittelbarer Nähe unserer Verteilstandorte", sagte Johnnie Moore, Vorstandschef der Stiftung, am Dienstag in einer digitalen Pressekonferenz. "Es steht fest, dass in diesem Zusammenhang Menschen ums Leben gekommen sind", so Moore. Doch der Versuch, bei der Zahl der Todesfälle zu übertreiben und sie hundertprozentig dem Warten auf Hilfe zuzuschreiben, sei eine gezielte Desinformationskampagne der Hamas. Die Kritik an seiner Stiftung sei politisch motiviert.
Bei rechnerisch 500.000 Bedürftigen pro Verteilstelle, zu denen es jeweils nur einen Zugangsweg gibt, muss der Andrang allerdings massiv sein. "Es ist schon rein operativ betrachtet absurd, zwei Millionen Menschen mit vier Verteilpunkten versorgen zu wollen. Nicht umsonst gibt es für solche Operationen seit Jahrzehnten entwickelte Standards professioneller Hilfsorganisationen", sagt Anne Tritschler vom Berliner Thinktank Centre for Humanitarian Action im Gespräch mit ntv.de. "Man stelle sich vor, ganz Hamburg müsste sich an vier Kiosken mit allem versorgen, was man täglich zum Leben braucht - wie soll so etwas gehen, ohne dass es zu Gewalt und Chaos kommt?"
"Die aktuelle Verteilung von Hilfsgütern über die Gaza Humanitarian Foundation ist schlicht unzureichend und gefährdet Menschenleben", sagt auch Siemtje Möller, außenpolitische Sprecherin der SPD. Der Berliner Thinktank geht noch weiter. Aus seiner Sicht verbindet sich das israelische Vorgehen mit seit Monaten anhaltenden schwerwiegenden Vorwürfen: "Israel will offenkundig weiterhin jede unabhängige humanitäre Hilfe in Gaza verhindern und nutzt Hunger als Waffe für seine Kriegsziele."
Stiftungsvorstand Moore pocht auf die großen Herausforderungen für seine Verteil-Organisation. "Dort herrscht ein aktiver Krieg, und Gaza ist eine der am dichtesten bevölkerten Regionen der Welt, das macht es zu einer der komplexesten Umgebungen für humanitäre Hilfe weltweit." Was jedoch auch die Forderung nach der Einhaltung professioneller Standards untermauert. Auch die von Moore angekündigte Verdopplung von vier auf acht Ausgabestellen kann das Risiko für die Hilfesuchenden nicht einhegen, wenn eigentlich 400 erforderlich wären.
Mit Blick auf den "Haaretz"-Bericht teilte die israelische Armee mit, sie habe die Abteilung für Fakten-Findung mit den Ermittlungen zu den Todesfällen beauftragt. Diese beschäftigt sich mit der Aufklärung möglicher Kriegsverbrechen. Stiftungschef Moore ficht das nicht an. "Die Menschen in Gaza lächeln, sie danken uns und schätzen das, was wir tun. Wir geben ihnen einen Funken Hoffnung inmitten dieser Krise", sagte er. Anders bilanziert es Amnesty International: "Die palästinensische Bevölkerung in Gaza steht vor einer unmöglichen Wahl: verhungern oder riskieren, erschossen zu werden."
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