Das werden harte Tage für Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Auch nach stundenlangen Verhandlungen im Koalitionsausschuss konnten sich Union und SPD nicht darauf einigen, die Stromsteuer auch für Millionen von Privatkunden zu senken. „Die SPD hat sich einfach nicht bewegt“, hieß es nach Ende des mehr als fünfstündigen Treffens im Kanzleramt aus Unionskreisen.
Für die Entscheidung des Bundeskabinetts vor rund einer Woche, Privatkunden nicht zu entlasten, war vor allem der Kanzler massiv kritisiert worden. Denn Stromsteuersenkungen für alle hatte die CDU in ihrem Wahl- und Sofortprogramm versprochen und auch im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD grundsätzlich darauf verständigt. Der Verzicht auf die Entlastung wird Merz nun als Bruch eines weiteren Wahlversprechens ausgelegt werden, nachdem unter ihm bereits die umstrittene Lockerung der Schuldenbremse durchgesetzt wurde.
Ärger wird Merz auch aus der eigenen Partei treffen. Die hatte Druck auf ihren Vorsitzenden gemacht, im Koalitionsausschuss Änderungen an dem Kabinettsbeschluss herbeizuführen. Vergeblich.
Im Beschlusspapier des Gremiums, das WELT vorliegt, heißt es: „Der Koalitionsausschuss bekräftigt die am 24. Juni 2025 gefassten Beschlüsse des Bundeskabinetts.“ Also den Verzicht auf Steuersenkungen für alle Verbraucher. Bestätigt wurden dabei die Entscheidungen des Kabinetts, die Verbraucher bei den Kosten der Gasspeicherumlage zu entlasten. Diese soll ab 1. Januar 2026 nicht mehr erhoben werden. Außerdem sollen ebenfalls mit Beginn des neuen Jahres alle Verbraucher durch die teilweise Übernahme der Übertragungsnetzentgelte entlastet werden.
Beide Maßnahmen zusammen haben ein Volumen von knapp zehn Milliarden Euro pro Jahr, die allen Stromkunden zugutekommen. Damit sei ein „erster Schritt zur Senkung der Energiepreise und die Entlastung von Privathaushalten und der Wirtschaft“ getan worden, heißt es in dem Beschusspapier. Genau damit hatte die SPD im Vorfeld des Koalitionsausschusses gegen eine Entlastung aller Kunden bei der Stromsteuer argumentiert. Für weitere Maßnahmen sei angesichts der Haushaltslage kein Geld da, hieß es.
Union und SPD spielen damit gemessen an den Positionen der Vergangenheit vertauschte Rollen. Die Union hatte stets auf Haushaltsdisziplin und eine sparsame Finanzpolitik bestanden, die Sozialdemokraten dagegen Entlastungen für weite Teile der Bevölkerung gefordert. Nun aber steht der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil an der Spitze des Finanzministeriums. Und der hatte dem Kanzler in vertraulicher Runde Mitte Juni den Vorschlag gemacht, auf die Entlastung aller bei der Stromsteuer zu verzichten. Aus Spargründen. Merz hatte eingewilligt.
Darauf und auf den anschließenden Kabinettsbeschluss beruft sich die SPD nun. Außerdem auf die tatsächlich knappen Kassen. Die milliardenschweren Sondervermögen, die finanzpolitisch nichts anderes sind als Schulden, die man aufnehmen will, verschaffen der Haushaltsnotlage keine Linderung. Das Ergebnis des Koalitionsausschusses sei eine „Bestätigung dessen, was die Regierung beschlossen hat und was seriös gerechnet ist“, hieß es nach Ende der Gespräche aus SPD-Kreisen.
Die Union hatte damit von Anfang an schlechte Karten, im Koalitionsausschuss Änderungen zu erreichen. Der Kanzler und die CDU standen außerdem unter Druck, weil sie im Wahlkampf explizit die Entlastung aller bei der Stromsteuer versprochen hatten, die SPD dagegen nicht.
Ein kleiner Sieg für die CDU
Klingbeil, die Co-Vorsitzende Bärbel Bas und Fraktionschef Matthias Miersch wollten den Status quo der gemachten Vereinbarung erhalten, Kanzler Merz und CSU-Chef Markus Söder das im Kabinett geeinte Paket aufschnüren, was ungleich schwerer war. Zumal sich die CSU nach Angaben aus Teilnehmerkreisen nicht mit aller Macht, wie man es sonst von den Bayern kennt, für weitere Entlastungen bei der Stromsteuer eingesetzt haben soll. Söder hat es dagegen geschafft, bei der Mütterrente, einem Hauptanliegen der CSU, ein ganzes Stück weiterzukommen.
Im Beschluss der Koalitionäre heißt es dazu: „Die Mütterrente III wird zum 1. Januar 2027 umgesetzt. Sofern eine technische Umsetzung zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist, wird die Mütterrente rückwirkend ausgezahlt.“ „Offenbar war Söder die Mütterrente wichtiger als die Stromsteuer“, hieß es in Teilnehmerkreisen.
In einem Punkt hat sich allerdings die CDU durchgesetzt und konnte damit eines ihrer Hauptanliegen im Koalitionsausschuss fest fixieren: „Im Bundestag wird das gesamte Rentenpaket gleichzeitig beschlossen“, so die Beschlusslage. Damit können, wie es die CDU will, die Aktivrente, die Frühstartrente sowie das Betriebsrentenstärkungsgesetz in einem Paket umgesetzt werden. SPD-Co-Chefin und Sozialministerin Bas wollte kein Gesamtpaket auf den Weg bringen und nur Einzelpunkte umsetzen.
Für den Kanzler bedeutet das Ergebnis des Koalitionsausschusses dennoch eine Schlappe. In seinem Umfeld tröstet man sich damit, dass eine umgehende Entlastung aller Kunden ja nie versprochen worden sei. Aber: Im Sofortprogramm der CDU ist ein solcher Schritt als Punkt eins von 15 aufgelistet, hat also höchste Priorität. Und dieses Sofortprogramm sollte binnen hundert Tagen auf den Weg gebracht werden. Ab übernächster Woche allerdings, nach der letzten Sitzungswoche, beginnt die parlamentarische Sommerpause. Bis September werden, sofern es keine Notlagen gibt, keine neuen Gesetze beschlossen.
Nun ist ein CDU-Sofortprogramm noch kein Leitfaden für eine Bundesregierung. Aber auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es auf Seite 30: „Wir wollen Unternehmen und Verbraucher in Deutschland dauerhaft um mindestens fünf Cent pro kWh mit einem Maßnahmenpaket entlasten. Dafür werden wir als Sofortmaßnahme die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß senken und Umlagen und Netzentgelte reduzieren.“ Auch dort ist also von einer „Sofortmaßnahme“ die Rede, die es nach dieser Sitzung des Koalitionsausschusses nicht mehr geben wird – wenn überhaupt jemals.
Die Glaubwürdigkeit der CDU steht infrage
Dafür wird vor allem den Kanzler nicht nur der Unmut von Stromkunden – dem Mittelstand und Wählern – treffen, sondern auch der eigenen Partei. Nachdem der Kabinettsbeschluss mit dem Verzicht auf die Entlastungen bekannt geworden war, hatten zahlreiche einflussreiche Christdemokraten gefordert, dass sich Merz für eine Einlösung des Wahlversprechens starkmachen müsse.
Dazu gehörten unter anderem Generalsekretär Carsten Linnemann und Unionsfraktionschef Jens Spahn (beide CDU), aber auch die Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU) und Markus Söder (CSU), oder der Chef des Arbeitnehmerflügels Dennis Radtke (CDU). Selbst Unionshaushälter, die notorisch sparsam sind, hatten darauf gedrängt, das Wahlversprechen zu halten.
Der langjährige Unionspolitiker und Innenexperte Wolfgang Bosbach hatte WELT gesagt: „Es geht keineswegs nur um die Frage, ob die Senkung des Strompreises nur für die Industrie oder auch für private Haushalte gelten soll. Im Kern geht es um die Frage wie glaubhaft und verlässlich politische Zusagen sind. Das Argument ,ui, das wird aber teuer!‘ überzeugt mich nicht.“ Auch CSU-Chef Markus Söder hatte noch kurz vor Beginn des Koalitionsausschusses darauf hingewiesen, dass man gemachte Zusagen besser einhalten solle.
Daran werden Christdemokraten, Sozialverbände, Gewerkschaften und Wähler den Kanzler nun mit Nachdruck erinnern. Friedrich Merz hat erstmals in seiner Kanzlerschaft einen herben Rückschlag erlitten.
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