Noch schaffen es Union und SPD einigermaßen, drohende Konflikte kleinzuhalten. Doch bei der geplanten Bürgergeldreform könnte es erstmals krachen.

Ein Bestseller behauptete mal, Frauen kämen von der Venus, Männer vom Mars. Ein bisschen so ist es auch bei SPD und Union, wenn es um den Sozialstaat geht. Die SPD himmelt ihn verliebt an und kann gar nicht genug von ihm bekommen. Bei CDU und CSU dagegen gibt es viele, die ihn als wuchernden Busch ansehen, an dessen Auswüchse man die Axt anlegen muss.

Das zeigt sich besonders beim Bürgergeld und der geplanten Reform. Für die SPD war das in der Ampelzeit einst das große Projekt, um einen angeblich historischen Fehler zu korrigieren: Die Hartz-Reformen der Ära Gerhard Schröder. Vor allem für die Parteilinke war das ein Sündenfall, mit dem sie den Vertrauensverlust bei weiten Teilen der früheren Wählerschaft erklärten.

In der Union dagegen fand man die Hartz-Reformen richtig gut. Kanzler Friedrich Merz nennt sie seit Jahren als Beispiel, wenn er die SPD mal loben möchte. Mit dem Bürgergeld können seine Parteifreunde dagegen so gar nichts anfangen. "Allein das Wort schon", heißt es dann oft, zum Beispiel von Generalsekretär Carsten Linnemann.

Das lege nahe, dass jeder Bürger Anspruch darauf habe, es also eine Art bedingungsloses Grundeinkommen sei - und damit können CDU und CSU erst recht nichts anfangen. Konkret kritisiert die Union besonders, dass der Vorrang der Vermittlung in Arbeit gestrichen wurde. Stattdessen sind beim Bürgergeld Weiterbildung und Qualifizierung wichtiger.

"Das Wort dafür ist schließlich erst mal egal"

Nun regieren Union und SPD seit knapp zwei Monaten zusammen und seit einigen Wochen entwickelt sich ein Streit ums Bürgergeld. Dabei dürften die neue SPD-Chefin Bärbel Bas und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann die Wortführer sein. Letzterer wäre gern selbst Arbeits- und Sozialminister geworden - den Posten hat stattdessen Bas bekommen. Mittlerweile ist sie auch SPD-Vorsitzende. Am Wochenende wählten die Delegierten sie mit starken 95 Prozent. Sie feierten sie für Äußerungen wie: "Sozialkahlschlag wird es mit mir nicht geben".

Doch auch für die CDU ist das Thema emotional. Sie hat Wahlkampf damit gemacht und will mit einer Umbenennung anfangen. Statt Bürgergeld soll es künftig die "neue Grundsicherung" geben, versprach die Partei. So weit geht die SPD noch mit, denn was sind schon Namen? "Das Wort dafür ist schließlich erst mal egal", sagte Arbeitsministerin Bärbel Bas Anfang Juni dem "Stern".

Die Grundsicherung wolle sie mit "Augenmaß und Gerechtigkeit" weiterentwickeln. Beim Missbrauch von Sozialleistung wolle sie nicht wegschauen, "auch wenn der Schaden durch Steuerhinterziehung beträchtlich höher ist und es hier in der Realität nur um wenige Fälle geht". Bleiben die Formulierungen so allgemein, können sich alle entspannt zurücklehnen. Doch die CDU hatte im Wahlkampf immer wieder gesagt, wie sie Milliarden Euro im Haushalt einsparen wollte - Sparansatz Nummer 1 schien dabei das Bürgergeld zu sein, insbesondere durch Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer.

Zwar glaubte wohl nicht einmal Merz selbst daran, so tatsächlich die für Verteidigung und Infrastruktur notwendigen Milliarden zusammensparen zu können. Sonst hätte er die Reform der Schuldenbremse und das Sondervermögen Infrastruktur gar nicht gebraucht. Aber mit einer bloßen Umbenennung wird die Union ihre Anhänger nicht abspeisen können. Denn sie arbeitet noch daran, das nach der Wahl verlorene Vertrauen wieder aufzubauen. Oder in Anlehnung an eine Formulierung von Merz: Den Kredit auf die Glaubwürdigkeit wieder zurückzuzahlen.

Spahn: "Kosten laufen aus dem Ruder"

Linnemann sagte dem "Stern", Bürgergeldempfänger, die eigentlich arbeiten könnten aber es nicht wollen, sollten mehr arbeiten. Sie nutzten das System aus. "Daher kommt ja die Stimmung in Deutschland, wenn wir ehrlich sind. Sie erleben doch kaum noch eine Geburtstags- oder Familienfeier, auf der nicht über das Bürgergeld gesprochen wird. Das ist der Kern des Problems."

Für die CDU geht es beim Bürgergeld auch um Gerechtigkeit - aber eben auf ganz andere Weise. Wer arbeitet, soll deutlich mehr verdienen, als jemand, der nicht arbeitet. Das ist zwar beim Bürgergeld der Fall. Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sind es sogar mehrere Hundert Euro. Für manche ist die Gerechtigkeitsfrage damit abgeräumt. Andererseits wird hier im Extremfall Vollzeitarbeit mit Nicht-Arbeit verglichen. Kurzum, aus Sicht mancher, nicht nur in der Union, ist dieser Abstand eben nicht groß genug.

Anfang der Woche legte Unionsfraktionschef Jens Spahn nach: "Die Kosten für das Bürgergeld laufen mit über 50 Milliarden Euro aus dem Ruder", sagte er dem "Spiegel". Die Reform habe Priorität für die Union. Damit deutete er Leistungskürzungen an. Genau das, was bei Bas und ihrer SPD als "Kahlschlag" verstanden wird. Die "Bild"-Zeitung berichtet, das Arbeitsministerium wolle 4,5 Milliarden Euro durch verschärfte Sanktionen und Kampf gegen Sozialbetrug einsparen. Das könnte das große Thema auf dem Koalitionsausschuss am Mittwoch werden. Mit Einsparungen beim Bürgergeld könnte laut "Bild" eine Senkung der Stromsteuer für alle gegenfinanziert werden.

Missbrauch verhindern, Arbeitsfähige zur Arbeit bringen - darauf können sich Bas und Linnemann vermutlich einigen. Der Teufel wird aber im Detail liegen. Wie lange kann man einem Totalverweigerer die Leistungen streichen? Wie stellt man sicher, mit Reformen nicht alleinerziehende Mütter oder Familien zu bestrafen? Eine schnelle Reform ist auch deswegen unwahrscheinlich. Das Thema hat für SPD und Union große Symbolkraft. Beide wollen sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Es könnte zum Test für einen der wichtigsten Vorsätze von Schwarz-Rot werden: Sich nicht im Endlos-Streit zu verhaken wie einst die Ampel.

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