Nach dem Nato-Gipfel sieht es so aus, als sei eine Abkehr der USA vorerst abgewendet. Dennoch sind sich die Gäste bei Maybrit Illner einig: Europa muss sich im Ernstfall verteidigen können. Für Außenminister Wadephul ist diese Erkenntnis bereits ein Teil des Erfolgs.
US-Präsident Donald Trump war beim Nato-Gipfel. Das wäre früher nichts Besonderes gewesen. Heute schon. Der Gipfel am Mittwoch war ganz auf Trump ausgerichtet. Man wollte ihn bei Laune halten. Und der US-Präsident ist glücklich, denn er hat bekommen, was er wollte. Die europäischen Nato-Mitglieder wollen bald fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Trump weiß: Sie, die Europäer, brauchen uns, die Vereinigten Staaten. Und Trump verkündet: Die USA werden den Europäern Beistand leisten, wenn es darauf ankommt. Und die Europäer? Sie wissen, dass sie sich darauf nicht verlassen können.
"Ich finde, dass der Nato-Generalsekretär den Gipfel hervorragend vorbereitet hat", sagt Bundesaußenminister Johann Wadephul von der CDU bei Maybrit Illner. Dort diskutieren die Gäste über das Treffen und über die Zukunft des Verteidigungsbündnisses. "Wir haben weitreichende Beschlüsse gefasst, die die Nato lange nicht gefasst hat. Sie hat sich einig gezeigt, in einer kritischen Phase." Nach dem Amtsantritt von Trump hätten viele an dem Weiterbestehen des Bündnisses gezweifelt, erinnert Wadephul. Er sagt: "Wichtig ist, dass wir mehr ausgeben für Verteidigung, aber auch, dass Trump gesagt hat, er steht zur Nato und zu Europa. Das ist ein Erfolg, und das hat Mark Rutte herbeigeführt." Die USA seien der wichtigste Verbündete. Ohne sie werde Europa sich seine Verteidigung auf lange Zeit nicht leisten können. Man brauche die USA, weil sich Russland entschieden habe, weiter aufzurüsten.
Schon seit 15 Jahren hätten die USA von Europa mehr Geld für die Nato gefordert. Daran erinnert Politikwissenschaftlerin Florence Gaub von der Nato-Militärakademie in Rom. "Jetzt haben wir einen Präsidenten, der die Schnauze voll hat und nicht sehr diplomatisch ist." Für die USA sei China die strategische Bedrohung Nummer eins. Und: "Die USA können keinen Zwei-Fronten-Krieg führen. Sie können nicht gleichzeitig Taiwan verteidigen und uns. Darum müssen alle Beteiligten mehr machen, damit sie geschützt sind. Wir Europäer haben die ganze Zeit so getan, als wäre es nicht unser Problem. Aber es ist unser Problem. Man kann lachen über Mark Rutte und dass er sich quasi demütigt. Aber er macht es für uns, damit wir hier in Sicherheit sitzen können. Und am Ende sollte man ihn nach dem Ergebnis beurteilen."
Linken-Chef: Wir brauchen keine Fregatten
Seit Jahren seien die Vereinigten Staaten unzuverlässig. Darum müsse Sicherheit europäisch gedacht werden, fordert Linken-Chef Jan van Aken. Dennoch ist er mit den Zielen der Nato unzufrieden. "Was bei dieser Diskussion immer hochgehalten wird, ist die Bedrohung durch Russland. Wir sind uns einig: Die haben ein Nachbarland überfallen, die sind eine Bedrohung. Aber wir haben Waffensysteme, die brauche ich nicht für Europa. Die brauche ich, um überall einsatzfähig zu sein. Und das möchten wir als Linke nicht, dass wir hier eine Bundeswehr oder eine europäische Armee haben, die überall auf der Welt Kriege führt, nur damit sie neben China, Russland und den USA die vierte militärische Weltmacht ist." So brauche man keine Fregatten, die 365 Tage keinen Heimathafen anliefen, um internationale Handelswege zu schützen.
Wadephul sieht das völlig anders. Niemand wolle einen Krieg führen, sagt er. Und er fragt van Aken: "Sollen wir unsere Handelswege aufgeben? Wenn wir durch das Rote Meer oder den Suezkanal nicht mehr durchfahren können, dann sagen Sie, das sei dann eben so? Dann ist unsere Handelsbeziehung nach Südostasien gestört, und das interessiert Sie nicht weiter." Van Aken setzt in so einem Fall auf Diplomatie. "Am Ende kommen Sie mit Auslandseinsätzen nirgendwo weiter", so der Linken-Politiker.
"Von Auslandseinsätzen redet gar keiner mehr", stellt Florence Gaub richtig. Man sagt, theoretisch muss man dazu in der Lage sein. "Aber praktisch geht es um die Sicherung Europas." Handelswege müssten zudem auch weiter geschützt werden. Die führten in Zukunft auch durch die Arktis. Dort befänden sich russische Atom-U-Boote. "Wir treffen keine Entscheidungen für heute", so Gaub. "Wir treffen heute Entscheidungen für 2040." Dazu käme, dass nur die Nato einen nuklearen Schutz gegen Russland bieten könne, das über Atomwaffen verfüge.
Kriegsgefahr in Europa?
Auf den US-Präsidenten könne man sich verlassen, die Administration der USA habe das am Mittwoch unterschrieben, sagt Wadephul. Trump verlange von den Europäern mehr Geld für die Nato, "weil er mit uns gemeinsam Europa verteidigen will".
Auch Ben Hodges sagt: Die USA würden Europa im Falle eines russischen Angriffs unterstützen. Der ehemalige Chef der amerikanischen Truppen in Europa befürchtet, Russland könnte damit anfangen, deutsche Logistik wie zum Beispiel den Hafen in Bremerhaven zu zerstören. Deutschland müsse bereit sein, in den Schutz dieser wichtigen Infrastruktur zu investieren.
"Wir können uns nichts leisten, was das Leben lebenswert macht, wenn wir einen großen Krieg in Europa haben", stimmt Florence Gaub zu. Sie vergleicht die geplante Aufrüstung Deutschlands und Europas mit einer Versicherung. "Wenn man in einem gefährdeten Gebiet wohnt, braucht man eine Versicherung zum Beispiel gegen Umweltschäden", erklärt die Wissenschaftlerin. "Und wenn es zu einem Krieg kommt, dann ist mit Sozialausgaben nichts mehr, oder mit Infrastruktur und Gesundheit. Dann sind alle Lebensentwürfe für die Tonne."
Heeres-Inspekteur: Russland bereitet sich vor
Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, erklärt: "Ich bin fest überzeugt, dass die russischen Streitkräfte aus dem Krieg in der Ukraine gestärkt heraustreten werden. Wir reden von Verlustraten. Aber für Russland spielen Verlustraten an Menschen keine Rolle, aber das Investment in Technologie, in Aufrüstungs- und Produktionszahlen. Die ziehen jedes Jahr 200.000 Wehrpflichtige. Sie haben gerade die Wehrpflicht von einem auf zwei Jahre erhöht. Sie haben den Personalumfang auf 1,5 Millionen erhöht. Da ist eine Vorbereitung auf eine großmaßstäbliche konventionelle Auseinandersetzung mit dem Westen. Darüber wird in jeder Talkshow im russischen Fernsehen gesprochen. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Die Wüste brennt, und wir diskutieren, ob wir die Feuerwehr mit Reifen ausstatten oder ob wir doch lieber mit einem Eimer weitermachen."
Die weitere Unterstützung der Ukraine könnte dazu führen, dass die russische Armee möglicherweise nicht so stark ist, wie Mais befürchtet. Das weiß auch der Bundesaußenminister. Wadephul verspricht der Ukraine auch deshalb weitere Unterstützung. Auch dann, wenn sich die USA zurückziehen sollten. "Wir müssen zu mehr bereit sein", sagt der Minister. "Das wird eine große Anstrengung werden. Aber es steht auch viel auf dem Spiel." Die Alternative sei, dass die Ukraine den Krieg verliere und Russland noch stärker werde. "Und bei dem Aggressionspotential, das wir bedauerlicherweise zurzeit unterstellen, wäre das für uns alle sehr gefährlich. Und das können wir uns nicht leisten."
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