Wenn der von US-Präsident Donald Trump verkündete Waffenstillstand zwischen dem Iran und Israel hält, wird wohl keine Weltmacht so erleichtert sein wie China. Das Ziel müsse sein, Frieden und Stabilität im Nahen Osten zu fördern, sagte der chinesische Außenamtssprecher Guo Jiakun am Mittwoch. Peking habe den Wunsch, eine freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem Iran „zum Wohle der beiden Völker“ beizubehalten und positive Anreize für Frieden und Stabilität zu liefern.
Das klingt nicht gerade wie eine Unterstützung des politischen, wirtschaftlichen und militärischen Partners Iran und passt doch in die bisherige Linie Pekings. Nach den ersten Angriffen Israels auf Ziele im Iran hatte Staatschef Xi Jinping fünf Tage gebraucht, um die „Verletzung der Souveränität“ des Irans zu kritisieren. Nach den US-Schlägen folgte rasch eine Reaktion – ein Sprecher des Außenministeriums verurteilte sie. Und bei Rhetorik dürfte es auch bleiben.
Auf den ersten Blick ist Pekings Reaktion überraschend. Der Iran gilt als Schlüsselpartner Chinas im Nahen Osten. Im vergangenen Jahr war die Islamische Republik der drittgrößte Öl-Lieferant für die chinesische Wirtschaft. Die beiden Länder verbindet nicht nur antiwestliche Rhetorik. Vor vier Jahren vereinbarten sie ein Kooperationsprogramm, das über 25 Jahre Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe in den Iran bringen sollte.
Häufig ist in Bezug auf beide Länder von einer „Achse der Autokraten“ die Rede. Die Länder absolvieren zusammen mit Russland seit 2020 jährliche Marine-Manöver, zuletzt im März im Golf von Oman. Das sind Gewässer, wo sonst die in Bahrain basierte Fünfte Flotte der US-Marine patrouilliert.
Westliche Sorgen vor möglicher chinesischer Schützenhilfe für den Iran, die über Rhetorik hinausgeht, sind dennoch unbegründet. Das liegt nicht nur daran, dass China in der Region kaum militärische Präsenz hat. Sondern auch an den wechselseitigen Abhängigkeiten: Der Iran braucht China viel mehr als umgekehrt. Rund 90 Prozent seiner Ölexporte gehen in die Volksrepublik, die Einnahmen machen einen großen Teil des iranischen Staatshaushalts aus.
Und für China ist der Iran in der Region trotzdem nur ein Partner unter vielen. Das Land pflegt engste Wirtschaftsbeziehungen mit Teherans Rivalen wie Saudi-Arabien, Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Mit dem iranischen Vergeltungsschlag gegen den US-Stützpunkt in Katar – den Teheran vorher ankündigte – kann China gut leben, er hat bisher nicht zu einer Eskalation geführt.
Die Sicherheit der Energieexporte über die Straße von Hormus hat für China oberste Priorität. Jede Vergeltung Irans, die diesen Exportweg infrage stellt, würde die Volksrepublik hart treffen. Im vergangenen Jahr stammten offiziell etwa vierzehn Prozent der chinesischen Ölimporte aus dem Iran. Hinzu kamen Lieferungen über kleinere Firmen, sogenannte „Teapots“, weil die großen staatlichen Ölfirmen Chinas wegen der harten US-Sanktionen keine Deals mit den großen iranischen Exporteuren machen wollten.
Dabei bringen die „Teapots“ iranisches Erdöl mithilfe einer Tanker-Schattenflotte in ostasiatische Gewässer. Dort wird es oft wochen- und monatelang auf hoher See in Tankern gelagert und mit großen Umweltgefahren auf malaysische Tanker umgeladen. In Chinas Handelsstatistik taucht es letztlich als Erdöl aus Malaysia auf.
Peking investiert lieber woanders
Aber es geht längst nicht nur um iranisches Öl. Die Golfstaaten und der Irak stellten im vergangenen Jahr fast die Hälfte der chinesischen Importe, die ganz legal und ohne Hürden abgewickelt werden konnten. Sollte der Iran die Straße von Hormus sperren, wäre China auf einen Schlag vom Großteil seiner Lieferanten abgeschnitten, der Ölpreis würde außer Kontrolle geraten. In diesem Kontext sind alle Aufrufe Chinas zur Mäßigung zu sehen.
Bei Investitionen und geopolitisch wichtigen Projekten der Neuen Seidenstraße in der Region verhält es sich ähnlich. China ist vor allem an Stabilität interessiert. Vor zwei Jahren vermittelte Peking die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den ehemals verfeindeten Ländern Saudi-Arabien und dem Iran. Aber große chinesische Investitionen hat das trotzdem nicht in den Iran gebracht.
Laut dem China Global Investment Tracker der US-Denkfabrik American Enterprise Institute hat China seit 2005 etwa anderthalb Milliarden Dollar im Iran investiert. Das Versprechen des 400-Milliarden-Investments wurde bislang nicht ansatzweise erfüllt.
Im Nachbarland Saudi-Arabien hat China das Zehnfache investiert, in Israel mehr als das Achtfache, im Oman mehr als das Doppelte. Das ist nicht überraschend: Irans ölexportierende Nachbarländer und die Technologie-Macht Israel sind wohlhabend und unterliegen keinen Sanktionen. Das macht Investitionen attraktiver.
China vollzieht deshalb im Nahen Osten einen Balanceakt – zwischen Israel, dem Iran und den Golfstaaten. Ein möglicher Zusammenbruch des iranischen Regimes wäre zwar auch für China ein Risiko. Aber eine Unterstützung Teherans gegen Israel und die USA ginge für Peking zu weit. Denn das würden den eigenen nationalen Interessen schaden.
Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.
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