Nacht für Nacht dröhnt der Himmel über der Ukraine: Propellergetriebene Geran-2-Drohnen steuern aus Russland kommend in niedriger Flughöhe ukrainische Städte an. Die Zahl der Angriffsflüge steigt dramatisch an, die Daten deuten auf einen russischen Strategiewechsel hin.

18 Tote und fast 300 Verletzte in Dnipro, acht Tote und 23 Verletzte beim Angriff auf Kiew, getroffene Wohnblocks in Sumy und Charkiw: Im Krieg in der Ukraine nimmt Russland offenbar verstärkt die Zivilbevölkerung ins Visier. Die anhaltenden nächtlichen Drohnenangriffe richten sich gegen die Bevölkerungszentren. Weit abseits der Front fliegen die russischen Drohnenschwärme die großen Städte der Ukraine an.

Die Zahl der russischen Luftangriffe ist in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen, wie eine Auswertung der offiziellen Angaben aus der Ukraine belegt:

Hinweis: Die Infografiken zum Ausmaß der russischen Luftangriffe in der Ukraine werden laufend aktualisiert.

Im laufenden Monat verzeichnete die ukrainische Luftabwehr bereits 4598 russische Angriffe. Das sind schon jetzt gut 10 Prozent mehr einfliegende Drohnen, Raketen und Marschflugkörper als im Mai. Nach einem vorübergehenden Abflauen im April steigt die Zahl der russischen Luftangriffe im Sommer deutlich an. Der Zwischenstand für Juni übertrifft schon jetzt die Zahlen aus dem März.

Der Großteil der angreifenden russischen Waffensysteme entfällt diesen Angaben zufolge auf propellergetriebene Drohnen vom Typ Geran-2 und verschiedenen Varianten. Die vergleichsweise einfachen Waffensysteme werden in Russland mittlerweile in Massen produziert und basieren im Kern auf dem bekannten Shahed-Modell aus iranischen Beständen.

Angetrieben werden die rund dreieinhalb Meter langen und bis 240 Kilogramm schweren Lowtech-Drohnen von einfachen Zweitaktmotoren, die für den charakteristischen "Mofa"-Lärm am Nachthimmel sorgen. Die Geran-Drohnen bewegen sich zwar relativ langsam. In großer Zahl sind sie jedoch dennoch eine enorme Gefahr.

Bei einer Reichweite von über 1000 Kilometern steuern sie mit etwa 190 Kilometern pro Stunde in der Spitze ihre Ziele an. Im Gefechtskopf einer scharfen Geran-Drohne sind bis zu 90 Kilogramm Sprengstoff enthalten. Zusammen mit den eingesetzten Täusch- und Ablenkungsdrohnen bilden sie die Hauptwaffe der russischen Luftkriegsstrategie. Die sehr viel teureren Kinschal-Raketen und andere Hightech-Waffensysteme kommen sehr viel seltener zum Einsatz.

Veränderte Angriffsstrategie

Die Auswertung der ukrainischen Daten verrät noch mehr: Die Kriegsplaner im Kreml haben ihre Strategie in den vergangenen Monaten offenbar grundlegend verändert. Der bisherige Ansatz eines Zermürbungskrieges aus der Luft mit einer weitgehend gleichmäßigen Intensität des Dauerbombardements ist spätestens seit Mitte Mai einem Wechsel aus überfallartigen Schwarmattacken mit zusätzlichem Raketenbeschuss gewichen.

Auf Nächte mit einer vergleichsweise geringen Anzahl von unter 100 anfliegenden Drohnen folgen Großangriffe mit 300, 400 oder in der Spitze sogar fast 500 Waffensystemen, die nach Sonnenuntergang in den ukrainischen Luftraum eindringen. Das russische Militär versucht offenbar, die überlegene Feuerkraft auf einzelne Großangriffe zu ballen.

Die russischen Massenangriffe folgen einer brutalen Logik: Sie zielen offensichtlich darauf ab, die ukrainische Luftabwehr allein durch die große Zahl der anfliegenden Bedrohungen zu überwältigen. Das Muster wiederholt sich Nacht für Nacht: Vorausfliegende Imitator-Drohnen versuchen, die Aufmerksamkeit der Radarerfassung und der mobilen Flugabwehr-Trupps auf sich zu ziehen.

Zwischen den einzelnen Wellen einfliegender Ablenkungsdrohnen folgen Geran-Drohnen mit zündfähigem Gefechtskopf. Um die ukrainische Luftabwehr möglichst zu überfordern, feuert das russische Militär immer wieder auch mit ballistischen Boden-Boden-Raketen, für den Einsatz gegen Landziele umprogrammierte S-300-Raketen oder die von russischen Bombern gestarteten Marschflugkörper in Richtung Ukraine ab. Dazu kommt ein ständiger Wechsel aus Angriffsrichtungen, gewundenen Flugwegen und neu angegriffenen Zielen.

Die Ergebnisse dieser Strategie schlagen sich in den Daten nieder: Die Abschussquote, also die Zahl der durch elektronische Maßnahmen oder Feuerkraft abgewehrten russischen Drohnen, Raketen und Marschflugkörper, sinkt in Nächten mit einer hohen Zahl an eingesetzten Drohnen regelmäßig ab. Die große Zahl an belegten Einschlägen in Wohngebieten und Innenstadtbereichen belegt, dass es Russland nicht allein um rein militärische Zwecke, sondern vor allem um die Wirkung in der Zivilbevölkerung geht. Der Dauerstress, die schlaflosen Nächte mit Luftalarm und die ständige akute Lebensgefahr zielen offenkundig darauf ab, den Durchhaltewillen der Ukrainer zu zermürben.

Dazu kommt: Die russischen Großangriffe werden häufiger und auch intensiver. In den ersten vier Monaten des Jahres stieg die Zahl der nächtlichen Attacken nur an sechs einzelnen Tagen über die 200er-Marke. Seit Anfang Mai sahen sich die Ukrainer bereits in zwölf Nächten mit einem solchen Extrembeschuss konfrontiert. In der Nacht auf den 9. Juni zum Beispiel meldete die Luftabwehr in Kiew den bisher intensivsten Angriff mit insgesamt 499 russischen Waffensystemen, darunter 479 Drohnen.

Nach dem schweren Beschuss von Kiew, Odessa und zuletzt Dnipro blieb es vergleichsweise ruhig. In der zurückliegenden Nacht meldete die ukrainische Luftverteidigung lediglich 71 Drohnen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann das nur heißen: Russland spart Munition auf für den nächsten bevorstehenden Großangriff.

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