Israel begegnet der Bedrohung durch den Iran militärisch. Wäre der diplomatische Weg besser gewesen? Nahost-Experte Peter Lintl von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sieht Argumente für beide Vorgehensweisen. Allerdings könnte der Schlag gegen Teheran dazu führen, dass sich das Regime dort stärker an Nuklearwaffen klammert.
ntv.de: Das iranische Regime gibt seit Jahren als Ziel aus, Israel auslöschen zu wollen. Zudem könnte Teheran laut Schätzungen innerhalb von etwa einem halben Jahr eine Atombombe bauen. War der Schlag Israels gegen den Iran unvermeidlich?
Peter Lintl: Es gibt eine Reihe von Dingen, die diesen Schlag Israels motiviert haben. Dazu gehört die Annahme, dass der Iran sein Atomprogramm und die Waffenfähigkeit des Urans weiterentwickelt hat. Laut israelischen Geheimdienstinformationen gab es eine sogenannte Waffengruppe, die an der Umsetzung einer Atombombe gearbeitet haben soll. Das lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Es gab aber Entwicklungen, die auf die beschleunigte Produktion einer Atombombe hindeuten. Die Frage ist: Bringt der militärische Schlag die israelische Regierung ihrem Ziel näher, Teheran von dem Bau der Atombombe abzuhalten? Oder wäre der diplomatische Weg der bessere gewesen?
Das Atomabkommen der USA mit dem Iran haben Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und US-Präsident Donald Trump 2018 beendet. War das ein Fehler?
Es gibt Gründe für und gegen die diplomatischen Bemühungen. Ein Argument dafür: Das iranische Atomprogramm wurde dadurch zwar nicht aufgehalten, aber zumindest verzögert. Es gab eine gewisse Kontrolle und Überwachung, die anschließend entfiel. Und nach dem Ende des Abkommens konnte eine beschleunigte Urananreicherung im Iran beobachtet werden.
Netanjahu sieht das aber anders, oder?
Ja, die israelische Regierung ist der Ansicht, das Abkommen habe nichts gebracht und der Iran hätte das Atomprogramm so oder so weiterentwickelt. Der springende Punkt ist: Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass das iranische Atomprogramm durch Israels Angriff maßgeblich beschädigt wird. Nach Angaben von Forschern gibt es einzelne Schäden an den Atomanlagen, aber noch ist nicht klar, welche. Es steht wenigstens derzeit auch noch die Möglichkeit im Raum, dass der Iran den Bau einer Atombombe weiterentwickeln oder sogar beschleunigen könnte.
Wenn der Iran jetzt die Erfahrung macht, dass er konventionell gegen Israel nicht bestehen kann, könnte das Regime erst recht einen Grund dafür sehen, so schnell wie möglich eine Nuklearbombe zu bauen?
Dieses Risiko besteht. Die Israelis hoffen scheinbar, den Iran durch die Angriffe so schädigen zu können, dass das nicht passiert. So wie es bislang aussieht, scheinen sie das Atomprogramm militärisch zwar beschädigen, aber nicht beenden zu können. Nun könnte sich ein geschwächter Iran, dessen Elitetruppen ausgelöscht wurden, noch mehr an die Atombombe für die Verteidigung klammern. Umgekehrt kann man argumentieren, die Weiterentwicklung sei sowieso das Ziel des Regimes gewesen. Auch hier gibt es zwei Sichtweisen.
Israels militärische Ressourcen sind beachtlich, aber nicht unbegrenzt. Die israelische Armee führt auch Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen und die Hisbollah im Libanon. Könnten ihre Kapazitäten so überdehnt werden, dass Israel verletzlich wird?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist Israel allen Feinden militärisch überlegen. Aber es stellt sich schon die Frage, wie lange Israel sich diesen Krieg an verschiedenen Fronten noch leisten kann. Die israelische Armee kann nicht über Jahre hinweg ständig Luftangriffe auf den Iran fliegen. Die andere große Frage: Hat der Iran genug Raketen auf Lager, um die israelische Luftabwehr, die bis heute rund 90 bis 95 Prozent der iranischen Raketen abfängt, zu überwinden? Könnte der Iran noch wesentlich gebündelter Raketen auf Israel abschießen, als das bislang der Fall ist? Und wie lange kann Israel die kostspielige Luftabwehr aufrechterhalten? Diese Fragen sind nicht sicher geklärt.
Da Netanjahu augenscheinlich mit dem Krieg gegen die Hamas und die Hisbollah genug zu tun hätte: Ist der Angriff auf den Iran für ihn eine Flucht nach vorn, motiviert durch innenpolitischen Druck?
Die Überlegungen stellen viele Leute an. Das entbehrt nicht einem gewissen Zynismus, denn die Bedrohung Israels durch den Iran ist real. Die israelischen Pläne für einen Schlag gegen den Iran gibt es schon deutlich länger als Netanjahus Probleme. Dennoch hilft dieser Schlag Netanjahu innenpolitisch, um von der Hungersnot und dem Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen abzulenken. Wir sehen, wie sehr die europäischen Staaten Israel jetzt beistehen, wenn es um den Konflikt mit dem Iran geht. Es sind die gleichen Staaten, die Israels Vorgehen im Gazastreifen kritisiert haben. Aber inwieweit das zur Motivation beigetragen hat, einen solchen Schlag zu tätigen, lässt sich nicht sagen.
Laut Medienberichten lehnte Trump es ab, Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei durch israelische Angriffe töten zu lassen. Wie weit geht Trumps Rückendeckung für Netanjahus Vorgehen gegen den Iran?
Ich bin mir nicht sicher, wie viel Rückendeckung Netanjahu von Trump hat. Der US-Präsident wirkt irrlichternd. Einerseits behauptet Trump, er habe vom israelischen Angriff gewusst. Andererseits hätte er die Verhandlungen mit Iran am Sonntag noch weiterführen wollen und diese Gespräche sind wegen Israels Angriff abgesagt worden. Trump hat Netanjahu zumindest im Nachhinein das Okay für den Angriff gegeben. Aber ob das wirklich eine Rückendeckung ist, da bin ich mir unsicher.
Woher kommt diese Ambivalenz in Trumps Verhalten?
Vermutlich liegt das auch am Machtkampf zwischen verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der Make-America-Great-Again-Bewegung. Unter den Trump-Anhängern gibt es die sogenannten Neorealisten, die diesen Schlag gegen den Iran schon lange Zeit unterstützen. Es gibt aber auch Isolationisten wie Tucker Carlson, der aufs Schärfste davor warnte, dass sich die USA in einen Krieg mit Iran hineinziehen lassen sollten. Das könnte der Hintergrund dieser changierenden Positionierung Trumps sein.
Mit Peter Lintl sprach Lea Verstl
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