In Teheran herrscht Ausnahmezustand: Behörden bleiben beschlossen, Nahrung könnte bald knapp werden. Bewohner der Metropole fürchten sich nicht nur vor israelische Bomben, sondern auch um ihre Zukunft. Eine regierungskritische Journalistin glaubt nicht daran, dass ein Krieg "Erlösung" bringt.

Der Abend beginnt in angespannter Ruhe. Teheran, nördlicher Bezirk, im Kreis der Familie. Dann zerreißen Detonationen die Stille. Es ist nicht der erste Kriegstag, aber diesmal ist es anders. Die Einschläge klingen näher, schärfer, greifbarer. "Letzte Nacht waren wir zu Hause, als wir mehrere laute Explosionen gehört haben", erzählt Kian. "Das hat uns große Angst gemacht." Seine Mutter weint. Die Angst gilt nicht nur den Raketen, sondern auch der Zukunft.

Während Israels Luftwaffe Ziele im Iran bombardiert und die Führung in Teheran mit Raketen zum Gegenschlag ausholt, wächst in vielen Familien die Sorge. Es ist nicht nur das grollende Geräusch der Flugabwehr, nicht nur die geopolitische Eskalation. Es ist die Frage, was bleibt, wenn das Land völlig ins Wanken gerät. "Auch ich habe den Eindruck, dass Iran kein Ort mehr zum Leben sein wird, wenn sich die Lage so weiterentwickelt", sagt Kian. In der Familie wird über Ausreise gesprochen. Nicht zum ersten Mal, aber mit neuem Ernst. Ein Umsturz, sagt er, würde Jahre brauchen, bevor das Land wieder zur Ruhe findet.

Auch Nassim war in Teheran unterwegs, am zweiten Kriegstag - eingeladen bei einer Freundin zum Abendessen. "Anfangs war das Geräusch der Luftabwehr nichts Ungewöhnliches", sagt sie. "Aber nach dem Knall der Explosion haben wir Angst bekommen." Die Stimmung kippt. Behörden bleiben geschlossen. Brot, Fleisch, Reis, alles könnte bald knapp werden. Nassim spricht von einem möglichen wirtschaftlichen Kollaps. Und von einem Gefühl, das viele teilen: Dass ein langer Krieg bevorsteht - und auch die USA hineingezogen werden.

Der Druck wächst auch im Innern

Der Iran ist mehr als viermal so groß wie Deutschland und zählt rund 90 Millionen Einwohner. In der Hauptstadt und Megacity Teheran lebt etwa ein Sechstel der Bevölkerung. Seit der Islamischen Revolution von 1979 herrscht ein autoritäres System, in dem islamische Geistliche und Sicherheitsorgane maßgeblich die Kontrolle ausüben. Immer wieder erschütterten Protestwellen das Land, zuletzt die Bewegung "Frau, Leben, Freiheit" vor knapp drei Jahren - sie brachte die Führung an den Rand des Kontrollverlusts.

Der Konflikt zwischen dem Iran und Israel schwelt seit Jahrzehnten - ideologisch, politisch, militärisch. Spätestens nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 in Israel eskalierte die Lage in Zeitlupe. Teheran unterstützt die Hamas, ebenso wie die libanesische Hisbollah und die Huthi-Miliz im Jemen. Im vergangenen Jahr kam es immer wieder zu gegenseitigem Raketenbeschuss; mehrfach stand man am Rand eines offenen Kriegs.

Israel wirft dem Iran vor, nach Atomwaffen zu streben - Teheran weist dies zurück. Begründet wird in Israel der Krieg mit einer "existenziellen Bedrohung" durch das iranische Atom- und Raketenprogramm. Israels Angriffe im Iran richten sich gegen Atomanlagen und Atomwissenschaftler, Militäreinrichtungen und führende Militärs sowie Infrastruktur.

"Tod der Islamischen Republik"

In der Millionenmetropole Teheran herrschte angespanntes Gedränge. Supermärkte waren überfüllt, an den Tankstellen bildeten sich kilometerlange Schlangen. Viele wollten die Stadt verlassen - raus aus der Schusslinie. Denn anders als in Israel gibt es im Iran keine Warnsysteme, keine Sirenen, keine Bunker. Regierungssprecherin Fatemeh Mohadscherani kündigte an, die Metro werde rund um die Uhr geöffnet bleiben. Ihre tiefen Tunnel am Fuß des Albors-Gebirges sollen als Zuflucht dienen.

Auf den Straßen patrouillierten sichtlich angespannte Sicherheitskräfte, kontrollierten Autos, hielten Passanten an. Auf einigen Dächern waren Rufe zu hören - wie schon bei den großen Protesten der vergangenen Jahre. "Tod der Islamischen Republik", hallte es durch einzelne Straßenzüge.

Staatsoberhaupt Chamenei schwört Rache

Die Führung der Islamischen Republik wirkt angeschlagen. Bei den Angriffen wurden mehrere ranghohe Kommandeure der Revolutionsgarden getötet. Am Freitag vergingen rund 18 Stunden, bis ein Gegenangriff gestartet wurde. Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei drohte mit Vergeltung. "Die Streitkräfte werden mit Entschlossenheit handeln und das niederträchtige zionistische Regime zugrunde richten", hieß es in einer Erklärung im Staatsfernsehen. Wo sich der oberste Führer aufhält, ist unklar. Sicherheitsvorkehrungen dürften massiv verschärft worden sein. In sozialen Medien kursieren bereits Gerüchte, wonach wohlhabende Regierungsanhänger das Land verlassen.

Von den Millionen Iranerinnen und Iranern im Ausland, die vor Jahrzehnten auswanderten oder ins Exil gedrängt wurden, äußerten viele in den sozialen Medien ihre wachsende Sorge. "Viele wollen, dass die Islamische Republik verschwindet, aber nicht um den Preis von Blutvergießen und Krieg", schrieb die iranisch-amerikanische Expertin Holly Dagres. Einige empfänden beim Tod führender Offiziere Genugtuung. "Doch viele Iraner erkennen, dass Raketen keinen Unterschied machen zwischen den Mächtigen und den Machtlosen."

Eine regierungskritische Journalistin aus Teheran nennt die Hoffnung, Israel könne als "Erlöser" wirken, gefährlich naiv. "Netanjahu kämpft nicht für uns", sagt sie. "Er will als Retter der Juden in die Geschichte eingehen - Iran und Iraner sind ihm egal." Der Westen verfolge seine eigenen Interessen. Was bleibe, sei bald ein zerstörtes Land, eine ausgehöhlte Infrastruktur - und eine Bevölkerung, die am Ende wieder allein dasteht.

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