Die EU ist auf Kurs, ihre Klimaziele zu erfüllen. Für diesen Erfolg ist ultragünstige Solarenergie verantwortlich. Es gibt nicht nur in Deutschland einen Boom. Können zähe Veranstaltungen wie die Weltklimakonferenz also abgeschafft werden? Jennifer Morgan war Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt von Annalena Baerbock. Mit dem Regierungswechsel wurde ihr Posten gestrichen. Im "Klima-Labor" von ntv sagt sie trotzdem: Klimakonferenzen leisten genauso einen Beitrag wie lokale Gesetzgebung und technologischer Fortschritt. Und sie sind eine Möglichkeit für Deutschland, seine "große globale Visitenkarte" ins Schaufenster zu stellen: die Energiewende und das flexible Stromnetz.

ntv.de: Die EU ist auf Kurs, ihre Klimaziele für 2030 zu erfüllen. Ist das Ihr Verdienst?

Jennifer Morgan: Die Ampel hat ihren Beitrag geleistet, besonders im Stromsektor: Die Erneuerbaren nehmen zu, die Emissionen sinken. Das hilft der EU, denn wir sind der größte Mitgliedsstaat. Aber natürlich reicht das nicht, um 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Es gibt in Deutschland und Europa viel zu tun.

Für die Fortschritte sind wirtschaftliche Entwicklungen verantwortlich. Solarenergie ist unglaublich günstig geworden. Es gibt nicht nur in Deutschland einen Boom. Sie waren im Auswärtigen Amt für Klima-Diplomatie und Veranstaltungen wie die Weltklimakonferenz verantwortlich. Hat die COP auch einen Beitrag geleistet?

Es ist eine Mischung. Die Wirtschaft braucht Rahmenbedingungen und klare Signale, damit sie weiß, wo sie investieren soll. Das haben wir in Deutschland, aber auch international gemacht. Den Durchbruch gab es vor einigen Jahren, als sich die Welt darauf geeinigt hat, die erneuerbaren Energien zu verdreifachen und sich von fossiler Energie zu verabschieden. Dafür benötigt man nationale Gesetze, aber auch multilaterale Partnerschaften und Zusammenarbeit.

Wirklich? Muss man sich nicht eher bei China bedanken, dass es zig Milliarden in die Solarindustrie investiert und ultragünstige Solaranlagen produziert?

Besonders in Entwicklungsländern wird der Solarausbau nicht nur von den Preisen getrieben. Dort spielen wirtschaftliche Interessen eine große Rolle: Brasilien, Chile, Kolumbien oder auch Länder in Afrika und Asien möchten Teil der globalen Energiewirtschaft sein, grünen Stahl oder Wasserstoff herstellen, exportieren und Jobs schaffen. Dafür hat man vor ein paar Jahren noch auf Gas und Öl gesetzt.

Aber das funktioniert doch nur, weil Solarenergie so günstig geworden ist, dass man schlicht nicht mehr daran vorbeikommt.

Das ist komplizierter. Ja, die Entwicklung hängt mit China zusammen. Man benötigt aber auch lokale Gesetze, gesellschaftliche Akzeptanz und Aussichten auf Jobs und Wohlstand. In den letzten Jahrzehnten waren nationale Gesetze in Deutschland, China und den USA wichtig, um die Preise zu senken. Jetzt geht es mehr um Infrastruktur und Finanzierung.

China beteiligt sich aber kaum an internationalen Klimakonferenzen. Die treiben keine Prozesse voran.

Die Chinesen sind bei den internationalen Verhandlungen sehr aktiv. Das sieht man nur nicht immer.

Die agieren im Hintergrund?

China hat sehr aktiv am Pariser Klimaabkommen mitgewirkt - manchmal positiv, manchmal negativ. Das hing von den nationalen Interessen ab. China möchte bei diesen Verhandlungen auch zeigen, dass es ein guter globaler Bürger ist und sich für Entwicklungsländer einsetzt, denn mit denen möchte China zusammenarbeiten. Aber China hat bei diesen Verhandlungen einen anderen Ansatz als die EU: Europa möchte ambitionierte Ziele, um die Gesetzgebung voranzutreiben. China setzt auf weniger ambitionierte Ziele, die man später übererfüllen kann. Wir benötigen mehr Ambition von China.

Und bei der Solarenergie und auch bei den E-Autos hat China aus einem innenpolitischen Interesse heraus erkannt: Das ist die Zukunft?

Eigene Interessen sind für jedes Land wichtig. China weiß aber auch: Der Klimawandel ist für die eigene Bevölkerung eine große Bedrohung - etwa für die Ernährungssicherheit, wenn die Getreidepreise steigen. Deswegen sucht man internationale Zusammenarbeit. China hat sich aber auch den Markt angeschaut und früh erkannt: Bei Verbrennern werden wir keine Chance haben, bei Elektroautos schon. Dort können wir das gesamte Ökosystem beherrschen. Das ist langfristige Planung. Abgesehen von der Pandemie war ich seit 1998 jedes Jahr vor Ort. China denkt Energiesicherheit, Wirtschaft und Klimaschutz zusammen - aber bisher nicht ausreichend: Es baut immer noch zu viele Kohlekraftwerke.

Die Zwickmühle ist aber: Wer sich global für den Ausbau erneuerbarer Technologien einsetzt, unterstützt nicht die eigene Wirtschaft, sondern die chinesische. Das ist für Europa schwierig und für die USA sogar ein No-Go, denn China ist der große geopolitische Gegner.

Europa hat aber durch den russischen Angriff auf die Ukraine gelernt, dass fossile Energie abhängig macht. Und die US-Regierung kann zwar sagen, dass der Klimawandel keine Priorität hat. Sie kann ihn aber nicht ignorieren, denn er verursacht große Schäden. Denken Sie an die Waldbrände in Los Angeles oder die Fluten im Südosten. Die USA gehören zu den verletzbarsten Ländern.

Mit enormen Kosten?

Ja. Und es gibt Menschen, Bundesstaaten und Unternehmen, die die Bedrohung anders als die US-Regierung verstehen. South Carolina ist ein sehr republikanischer, aber auch verletzlicher Küstenstaat. Das Wort "Klimawandel" wird oft gar nicht benutzt. Trotzdem führt South Carolina Maßnahmen durch, um sich besser vor den Auswirkungen zu schützen. Die Regierung fördert außerdem den Einsatz von erneuerbaren Energien und Elektroautos und möchte mit Deutschland zusammenarbeiten, weil man in erneuerbaren Energien eine Chance sieht. Und nur weil China bei den erneuerbaren Technologien führt, ist das Spiel nicht vorbei. Es hat gerade erst angefangen. Umso wichtiger ist es, dass wir mit anderen Ländern zusammenarbeiten, unsere Abhängigkeit von China reduzieren und Schritt für Schritt eigene Branchen aufbauen.

Mit welchem Ziel? Um in Deutschland noch einmal Solaranlagen herzustellen?

Das muss man genau analysieren. Die neue Bundesregierung muss sagen: Auf diese Industrien setzen wir. Dort können wir wettbewerbsfähig sein. Die müssen wir fördern. Die werden Wohlstand erhalten. In diesen Bereichen können wir mit anderen Ländern zusammenarbeiten.

Sollten wir dann nicht einfach mit China zusammenarbeiten?

Die EU muss mit China zusammenarbeiten und sich austauschen. Es ist auch in unserem Interesse, wenn China weniger Kohlekraftwerke baut. Deutschland hat etwa wahnsinnig viel Know-how in der Frage: Wie baut man ein flexibles Stromnetz auf?

Wirklich?

Ja. Deutschland hat schon so viele Erneuerbare ins Stromnetz integriert … das ist wirklich unsere große globale Visitenkarte ("Calling Card"). Andere Länder sehen das und möchten mit uns zusammenarbeiten. Deshalb sollten wir eine Balance suchen aus günstigen Technologien, wirtschaftlichen Chancen, unserem Wohlstand und dem Ziel, die Emissionen in jedem Land so schnell wie möglich zu senken. Denn die Auswirkungen und Kosten des Klimawandels sind bombastisch und steigen weiter.

Aktuell werden beim Klimaschutz aber viele Regeln zurückgeschraubt: Das Lieferkettengesetz und das Verbrenner-Aus überfordern uns, heißt es. Ihr Posten als Sonderbeauftragte für Klimaaußenpolitik wurde von der neuen Bundesregierung ebenfalls abgeschafft.

Natürlich mache ich mir Sorgen, weil wir keine Zeit mehr haben. Der erste Bericht über den Klimawandel landete 1965 auf dem Tisch eines US-Präsidenten. Bis heute sind Interessengruppen aktiv, die Maßnahmen dagegen verzögern wollen. Aber in Deutschland wird es weitergehen. Der BND hat den Klimawandel zu einem der fünf großen Sicherheitsrisiken erklärt, der geopolitische Wettbewerb wird nicht verschwinden. Nur die Verhandlungen werden international anders aussehen, denn sie werden in Zukunft nicht mehr vom Außenministerium geführt, sondern vom Umweltministerium. Meine Erwartungen an Umweltminister Schneider und Staatssekretär Flasbarth sind …

… gering?

Nein, groß! Wie Sie hören können, bin ich Optimistin (lacht). Grüne Technologien sind ein riesiger Markt. Wenn die USA daraus aussteigen, wollen wir das alles China überlassen? Nein, dafür ist die Chance zu groß.

Das sagt auch niemand. Aber benötigt man dafür tatsächlich Veranstaltungen wie die COP? Das ist inzwischen ein riesengroßer Zirkus, der wie die Olympischen Spiele von Stadt zu Stadt zieht und am Ende wenig erreicht. Weiß eigentlich jemand, was vergangenes Jahr in Baku beschlossen wurde?

Ja, Klimaverhandlungen sind hochkompliziert. Es kommen 197 Länder und jedes bringt nationale Interessen mit, die es ausbalancieren muss. Aber das ist auch das Besondere: Bei diesen Verhandlungen sind alle Länder anwesend, auch die vulnerabelsten: die Inselstaaten. Die erhalten sonst nie einen Platz am Tisch.

Niemand soll seinen Platz am Tisch verlieren, aber man sieht doch in Deutschland immer wieder: Je mehr Menschen oder Parteien mitsprechen dürfen, desto weniger passiert. Es wird geredet und geredet und letztlich eigentlich nur jeder Fortschritt blockiert. Vielleicht muss doch eine kleine Gruppe von einflussreichen Ländern vorpreschen und Regeln diktieren?

Niemand behauptet, dass die Klimakonferenzen die Lösung für alles sind, aber sie sind notwendig - weil jeder einen Platz am Tisch hat, um diese globalen Herausforderungen anzugehen. Die Umsetzung des Pariser Abkommens hat den Anstieg der globalen Temperatur von 4 bis 5 Grad auf 2,6 bis 3 Grad Celsius gesenkt. Das reicht noch nicht. Wir brauchen weitere COPs und andere Maßnahmen oder Projekte wie die "Just Energy Transition Partnership", bei der eine Gruppe von Geberländern mit Südafrika vereinbart hat: Wir unterstützen euch, wenn ihr Kohlekraftwerke schneller schließt und Emissionen schneller reduziert. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um technisches Know-how. Und was ist passiert? Südafrika hat ambitionierte Gesetze erlassen und seinen Stromsektor dereguliert. Solar boomt auch dort.

Mit Jennifer Morgan sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke