"Opposition ist Mist", außer wir stellen auch die Regierung. Teil zwei des Satzes hat Franz Müntefering damals vergessen, aber sicher noch sagen wollen. Opposition ist für die SPD geradezu ein Lebenselixier - geht es um den Frieden und gegen die eigene Regierung.
Ist der Aufstand der SPD-Friedenskämpfer mit ihrem Russland-Manifest und der Breitseite gegen Klingbeil-Pistorius ein ganz normaler Vorgang in der sozialdemokratischen Traditions-partei? Ja und nein. Nein, weil die schwarz-rote Regierung erst seit fünf Wochen im Amt ist. Das ist selbst für enttäuschte Querulanten eine sehr kurze Zeitspanne, rein rechnerisch sogar zu kurz für Quartals-Irre. Ja, weil in der DNA des linken Flügels der Friedenspartei das Motzen gegen die Parteiobermotze zwingend vorgegeben ist. Dieses Motzen wurde offenbar ampel-jahrelang in schwäbisch-sturer Weise unterdrückt. Weshalb es jetzt rausmusste, und weshalb an dieser Stelle Unerhörtes gefragt werden muss: War doch nicht alles schlecht, was Saskia Esken gemacht hat?
Für die Regierung, für das Land, kommt die SPD-Disruption ein wenig ungelegen - just in der Phase der zarten Annäherung an die US-Disruption, genau zu einer Zeit, in der Deutschland international wieder ein bisschen Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will. Und zu allem Übel kurz vor dem Nato-Gipfel - jetzt für den SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius mit Zusatz-Tornister. Die SPD-Friedensaktivisten Ralf Stegner, Rolf Mützenich und Genossen präsentieren ihr Manifest jedoch für sie genau richtig vor dem SPD-Parteitag. Dort wollen sie ein bisschen abrechnen und Front machen für das Gute und Wahre, für den Frieden und für die Wiederbelebung der guten alten Zeit, in der doch nicht alles schlecht war.
Rückwärts immer, vorwärts nimmer
Aber musste es gleich ein Manifest sein? Schon das Wort hat so einen - wie würden das SPDler heutzutage nennen? Einen hämmernden Wumms? Was im Manifest steht, ist offenbar, ist unumstößlich, ist letzte Wahrheit, geradezu lutherisch: "Hier steh' ich und ich kann' nicht anders", oder marxistisch-revolutionär: "Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten". Es klingt auf jeden Fall nach: Wir haben recht, ihr nicht. Geht es bitteschön eine Nummer bescheidener? Dieser Vorschlag drängt sich stark auf, wenn wir die Inhalte des schwachen Papierchens beschauen; auch das, was die Autoren so gänzlich missen lassen.
Auf dreieinhalb eng beschriebenen Seiten "Friedenssicherung in Europa…" finden wir wenig über die Ukraine, praktisch nichts über ihr Leid, rein gar nichts über die russischen Kriegsverbrechen. Ja, die Schreiber haben geschickt gedrechselt und verschwiemelt, ein paar Begriffe wie "völkerrechtswidrig" reingeträufelt. So schrammen sie stets kurz vorbei am Vorwurf der Täter-Opfer-Umkehr. Die Empathielosigkeit gegenüber den zerbombten Ukrainern, zeigt jedoch wes Geistes Kind die Friedensaktivisten sind. Die typisch dreiviertel-blinde SPD-Sicht auf den Osten, auf Frieden und Freiheit, manifestiert sich auch beim Blick auf unsere polnischen, baltischen und skandinavischen Nachbarn. Die kommen im Papier gar nicht vor. Weder ihre Sorgen noch ihr Wissen. Dafür einige Brösel Whataboutism in Tateinheit mit brutalstmöglicher Realitätsverweigerung, erwartbarem USA-Bashing und Geschichtsklitterung.
Cybersicherheit mit Russland? Das ist keine Satire
Die Manifest-Truppe preist die Abrüstungs-Verträge in den 1970er und 1980ern, verschweigt aber die damalige militärische Stärke und politische Entschiedenheit, ohne die es diese Verträge nie gegeben hätte. Ja, alle hatten Spaß bei der Demo im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss. Aber der SPD-Kanzler Helmut Schmidt hatte recht, nicht die SPD-Linke, die ihn niedergemacht hat. Tibetanisch fordern die Linken heute Gespräche mit Russland - und ignorieren Putins Verweigerung, dessen Mantra: Bomben statt Worte. Peinlich kurios wirkt ihr Vorschlag, mit Russland bei der Cybersicherheit zu kooperieren. Sollen wir Moskau als vertrauensbildende Maßnahme die Koordinaten der verbliebenen Ostseekabel durchgeben? Immerhin akzeptieren sie eine verteidigungsfähige Bundeswehr, selbstredend defensiv ausgestattet. Mehr Lamprecht-Helme gehen o.k.?
Ralf Stegner nennt das Manifest einen Debattenbeitrag der Friedenspartei SPD. Für Stegners Parteifreund Michael Roth, ist es "eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung." Touché. Kann man so zusammenfassen. Stegner sagt auch: "Über Waffen kann öffentlich jeder Trottel reden." Da hat er recht. Über Frieden aber auch. Nicht wenige Volltrottel tun genau das. Deshalb jetzt ganz im Ernst: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist eine Traditionspartei und eine Friedenspartei. Sie hat deshalb große Verdienste und eine große Verantwortung.
Zeit, die Zeitenwende ernst zu nehmen, auch für alte Linke
Die Zeitenwende - diese Einschätzung kommt doch von einem SPD-Kanzler? Die Zeitenwende verunsichert und verängstigt sehr viele Menschen. Sie wird uns noch sehr viel abverlangen. Sie ist gefährlich und wir müssen da durch. Es gibt viel zu tun und reichlich Redebedarf. Es wäre hilfreich, wenn die Traditionspartei SPD in der Regierung handelt - gemeinsam und nicht ampelt.
Und wenn sie in der Gesellschaft die nötigen Debatten mitgestaltet- wahrhaftig und nicht irrlichternd, realistisch und nicht im Taka-Tuka-Land-Modus. Ehrlich zu den eigenen Irrtümern in der Vergangenheit und zu den Zweifeln über die Zukunft. Mutig darin, Notwendigkeiten zu vertreten, obwohl sie uns allen nicht gefallen. Für all das ist jetzt Zeit. Aber nicht für abgeschmackte Manifeste Gestriger auf volksverdummendem AfD-BSW-Linken-Niveau. Das hat die SPD nicht verdient und die Bürger schon gar nicht.
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