Nach der Attacke mit 200 Kampfjets aus der vergangenen Nacht greift Israel den Iran erneut an. Teheran wertet Israels Angriff als "Kriegserklärung" und antwortet bislang mit Drohnen. Hier beginnt ein neuer Krieg im Nahen Osten, sagt der österreichische Nahostexperte und Oberst Wasinger ntv.de.
ntv.de: Herr Oberst Wasinger, einen Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran haben wir auch in der Vergangenheit schon gesehen. Der israelische Angriff gestern war anders, Irans Außenminister nennt ihn eine "Kriegserklärung". Beginnt gerade ein neuer Nahost-Krieg?
Oberst Matthias Wasinger: Beide Seiten haben gesagt, sie befinden sich in einem Kriegszustand. "Wir sind im Krieg": Ist das realistische Rhetorik oder Kriegsrhetorik? In diesen Zeiten ist das schwer zu unterscheiden. Meine Einschätzung: Das werden auf beiden Seiten länger anhaltende Kampagnen. Da kann man dann schon von einem Krieg sprechen. Aber es wird keinen Einmarsch von Bodentruppen geben, wie wir ihn in Gaza oder in der Ukraine gesehen haben. Damit ist nicht zu rechnen.
Israel rechnet mit weiteren iranischen Luftangriffen, das könnte auch Raketen umfassen. Sehen Sie den Iron Dome, das israelische Flugabwehrsystem, in der Lage, Bedrohung auch auf höherem Level abzufangen?
Iron Dome ist ein ausgezeichnetes System. Solche Mengen lassen sich durch die Gesamtkonzeption der israelischen Luftverteidigung - es ist ja nicht nur Iron Dome - abwehren. Die Abfangquote wird wie immer sehr hoch sein, gerade mit Blick auf die 100 Drohnen am Freitagmorgen. Im Oktober 2023 wurden allerdings zwischen 3500 und 4500 Luftkriegsmittel gegen Israel abgefeuert. Da war das System überfrachtet.
Sie sagten, es werde keinen Einmarsch von Bodentruppen geben. Was macht Sie sicher?
Würde Israel die Bedrohung durch den Iran nachhaltig auslöschen wollen, dann müsste die Armee mit Bodentruppen einmarschieren. Das steht fest. Hier aber spielt die Geografie dem Iran sehr gut in die Karten, gerade im Norden des Hindukusch. Er liegt sehr geschützt. Ich möchte gar nicht den Bedarf an Streitkräften hochrechnen, um den Iran mit Bodentruppen anzugreifen. Dazu bräuchte Israel auf jeden Fall die Hilfe der USA, und die signalisieren keinerlei Bereitschaft. Es wäre also eine enorme Herausforderung und Israel kann es sich gerade nicht leisten, sich da zu verstricken. Zudem würden die Nachbarstaaten keinen Aufmarsch israelischer Streitkräfte auf ihrem Territorium tolerieren.
Sie rechnen also mit einem länger andauernden Luftkrieg?
Sabotageakte wird Israel immer wieder setzen können. Luftschläge ebenso. Dieser Schlagabtausch von weitreichenden Waffensystemen, das gegenseitige Bewirken, das wird sich weiter intensivieren, denke ich, weil man nach einem Angriff Israels auf Seiten des Iran immer unter Zugzwang ist. Aber die nachhaltige Zerstörung des Systems im Iran wird nur funktionieren über einen gesellschaftlichen Wandel. Und nur durch inneren Druck auf das Regime lässt sich auch das Staatsziel des Iran abschaffen, Israel zu vernichten. Dieses Ziel muss man loswerden. Das lässt sich meines Erachtens nur von innen heraus erreichen.
Der Iran hat Israels Angriff mit 100 Kampfdrohnen beantwortet. Aus dem Ukrainekrieg weiß man, dass Russland das Drei- bis Vierfache in einer Nacht abschießt. Ist das eine schwache Reaktion?
Das war eine Sofortmaßnahme und es ist eine Botschaft. Das Signal nach außen: Wir waren zu einem gewissen Teil vorbereitet, reagieren sofort in aller Entschlossenheit und sind weder moralisch noch von unseren militärischen Fähigkeiten her gebrochen. Wir sind für anhaltende Einsatzführung bereit. Die Botschaft nach innen ist: Wir sind handlungsfähig. Unser Staatsziel, Israel zu zerstören, werden wir mit aller Härte weiterverfolgen. Es ist damit zu rechnen, dass auch die libanesische Hisbollah, egal wie stark oder schwach, eingreifen wird. Auch die mit Iran verbündeten Milizen im Irak wird man versuchen, in den Krieg einzubinden. Es sind sehr viele Fronten, die Israel bedienen muss.
Auch bedienen kann?
Nach eigener Auffassung kämpft Israel permanent an sieben Fronten gegen seine Gegner - die Hisbollah im Libanon, die Hamas in Gaza, die Houthis im Jemen, in der Westbank, gegen Syrien, gegen den Iran und Cyberattacken im Inneren des eigenen Landes. Das führt zu einer Überdehnung der Streitkräfte. Auf der anderen Seite kann diese intensive Kriegssituation der aktuellen israelischen Regierung unter Umständen sogar helfen, ihre eigene Politik weiter umsetzen. Das Bedrohungsszenario bleibt und wird auch bei abgeschwächten Fähigkeiten der anderen Akteure in Wahrheit immer mehr. Israel sieht sich zunehmend von Feinden umzingelt. Das spielt auch in die Darstellung von Premier Benjamin Netanjahu hinein, hart antworten zu müssen.
Die israelische Armee meldet, im iranischen Natans seien unterirdische Anlagen für Urananreicherung getroffen worden. Ist das nicht auch sehr riskant?
Ja, ein solcher Angriff birgt reale Risiken der Freisetzung von radioaktivem Material, aber wie groß diese sind, hängt stark von den getroffenen Zielen, dem Zeitpunkt und der Art des Angriffs ab. Israel wählt Ziele und Wirkmittel mit Bedacht. Mehr lässt sich derzeit dazu nicht sagen.
In der vergangenen Nacht wurden der iranische Generalstabschef und der Kommandant der Revolutionsgarden getötet. Nun meldet Israel die Auslöschung der gesamten Führungsriege der Luftwaffe. Wie hart trifft das den Iran?
Aufgrund der vielen Sabotageakte und auch gezielten israelischen Schläge aus der Vergangenheit ist der Iran sehr resilient geworden. Gerade mit Blick auf das Töten von Schlüsselpersonen, deren Verlust einen weitreichenden Effekt haben und eine Reorganisation nötig machen soll. Über die Jahre hat der Iran sich deshalb die Fähigkeit angeignet, derlei Personen sehr schnell zu ersetzen. Das ist natürlich ein Effekt von jahrelangen Anschlägen durch die israelischen Geheimdienste und gezielten Tötungen. Das können wir uns im Westen nur schwer vorstellen, weil wir diese Notwendigkeiten nicht spüren. Das ist aus der Not geboren. Die eigenen Verteidigungsmaßnahmen, die Gegenaufklärung sind nicht gut genug. Sonst hätte Teheran nicht diese hohen Verluste bei Führungspersönlichkeiten.
Und dann war die Konsequenz: Wir können unser Führungspersonal nicht schützen, also machen wir es leicht ersetzbar?
Ja, anstatt die Counter Intelligence zu verbessern, hat man - auch aufgrund der israelischen Überlegenheit - auf eine systemische, strukturelle, organisatorische Resilienz innerhalb der Führungsorganisation gesetzt. Vielleicht ist nicht immer das Charisma und die Führungsfähigkeit der Personen mit Blick auf strategisches Handeln sogleich ersetzbar. Aber zumindest auf taktischer und gefechtstechnischer Ebene hat der Iran mit seiner Antwort sofort ein Signal gesendet.
Ist bekannt, wie die Schläge gegen diese hohen Ränge durchgeführt wurden? Per Bomben oder als Nadelstich?
Die Informationen sind hier noch vage. Es könnte mit Sabotageakten des israelischen Geheimdienstes Mossad passiert sein. Aktuell sieht es aber so aus, als habe Israel Luftkriegsmittel gegen die beiden eingesetzt.
Neben der Kommandostruktur hatte es Israel auch auf die militärischen Fähigkeiten des Iran abgesehen. Vor allem auf Luftabwehr, Raketenstützpunkte und das Nuklearprogramm. Wie erfolgreich schätzen Sie das ein?
Israel hat mit Masse - die Rede ist von 200 eingesetzten Kampfjets gegen 100 Ziele - defensive und offensive Fähigkeiten des Iran bewirkt und zusätzlich noch Standorte des Nuklearprogramms und der Atomwissenschaftler. Hier wurden wesentliche Fähigkeiten des Iran zerstört. Israel schafft es immer wieder, auch in Zeiten der Bedrängnis von allen Seiten die jeweiligen Akteure substanziell zu schwächen. Israels Problem bleibt aber: Auch mit drastisch herabgesetzten Fähigkeiten ist die Bedrohung noch immer da.
Sie sagten es schon: Mit dieser permanenten Bedrohungslage begründet die israelische Regierung ihr hartes militärisches Vorgehen. Aus Ihrer Sicht angemessen?
Israel ist ein Verfechter der Präemptivschläge, also nicht präventiv, sondern schon eine Stufe vor der Prävention.
Nicht, wenn der Angriff unmittelbar bevorsteht, sondern, wenn der erklärte Feind, der mit der Auslöschung Israels droht, die Fähigkeiten dazu entwickelt?
Das ist präemptiv, genau. In der internationalen Ordnung wird immer wieder diskutiert, ob das legitim ist. Doch der entscheidende Punkt ist: Die Mehrzahl der Mitglieder unserer Staatengemeinschaft sieht diese Frage nicht mehr als relevant, weil man sich nicht mehr gebunden fühlt an Verträge. Man verweist dann auf Großmächte, Vetomächte im UN-Sicherheitsrat, die selbst außerhalb des Völkerrechts agieren. Die Frage, ob Israel nur einer Bedrohung zuvorkommt, wird aber zumindest aus Europa zunehmend adressiert werden. Dann muss man aber auch so ehrlich sein, zu sagen: Der Iran führt bereits seit langem einen Krieg gegen Israel, mit Raketenabschüssen aus eigenem Gebiet, mit dem Proxykrieg der Hisbollah, die vom Libanon aus mit Raketen angreift. Das gehört in diese Bewertung hinein.
Mit Matthias Wasinger sprach Frauke Niemeyer
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