Joschka Fischer vollzieht die Kehrtwende: Einst lehnte der frühere Außenminister die Wehrpflicht ab, jetzt setzt er sich für die Wiedereinführung ein - auch für Frauen: "Beide Geschlechter sind gefragt", sagt er in einem Interview.

Joschka Fischer spricht sich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. "Ich bin der Meinung, dass wir wieder eine Wehrpflicht brauchen", sagte der frühere Außenminister und Vizekanzler der Grünen dem "Spiegel". "Der Personalbestand der Bundeswehr ist verdammt niedrig."

Die neue Bundesregierung aus Union und SPD plant derzeit, zunächst einen freiwilligen Wehrdienst einzuführen. Nach Ansicht von Fischer reicht dieses Modell jedoch nicht aus: "Wenn wir abschreckungsfähig werden wollen, wird das ohne eine Wehrpflicht nicht gehen", sagte er. Diese solle auch für Frauen gelten. "Beide Geschlechter sind gefragt. Entweder wir haben die Gleichstellung, oder wir haben sie nicht."

Fischer bezeichnete es zudem als Fehler, einst selbst gegen die Wehrpflicht gewesen zu sein: "Für die eigene Freiheit muss man einstehen. Wenn es darauf ankommt, auch kämpfen."

60.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten

Die Nato-Verteidigungsminister haben in der vergangenen Woche angesichts der Bedrohung durch Russland das größte Aufrüstungsprogramm seit dem Kalten Krieg beschlossen. Für Deutschland bedeutet dies, dass bis zu 260.000 Soldaten in der aktiven Truppe nötig werden können. Derzeit sind rund 181.000 Männer und Frauen in der Bundeswehr.

Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte die Zahlen zuvor bereits konkretisiert: Ihm zufolge benötigt die Bundeswehr bis zu 60.000 Soldatinnen und Soldaten zusätzlich in den stehenden Streitkräften. "Und gleichzeitig wird sich die Frage natürlich stellen: Reicht der neue Wehrdienst aus über die nächsten Jahre?", sagte Pistorius.

Vorbereitung jetzt beginnen

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, drängte derweil darauf, die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht zumindest vorzubereiten. Alles andere wäre ihm zufolge unverantwortlich: "Man kann einerseits nicht ständig zurecht auf die Bedrohungslage hinweisen oder der Nato weitere Zusagen machen und zugleich andererseits sich den entsprechenden Vorbereitungen für einen beschleunigten personellen Aufwuchs verweigern", sagte Wüstner.

Es müssten notwendige Instrumente im Personalmanagement und zusätzliche Infrastruktur geschaffen werden. Zudem müsse es mehr Zeit- und Berufssoldaten für die Ausbildungsorganisation geben, sagte Wüstner. "All das wird dauern und man muss damit jetzt beginnen, egal ob die Menschen künftig weiterhin freiwillig kommen oder verpflichtet werden."

"Verantwortungslos"

CDU-Politiker Henning Otte, der neue Wehrbeauftragte des Bundestags, kündigte kürzlich an, für einen Pflichtdienst einzutreten, falls die Bundeswehr über den freiwilligen Wehrdienst nicht ausreichend personell aufgestockt werden könne. Laut SPD-Fraktionschef Matthias Miersch wird es in dieser Legislaturperiode jedoch keine Verhandlungen über dieses Thema geben: "Im Koalitionsvertrag ist eindeutig festgelegt, dass wir auf Freiwilligkeit setzen", sagte Miersch der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Über eine Wehrpflicht kann man dann gegebenenfalls in der kommenden Legislaturperiode verhandeln, in dieser nicht."

Wüstner hat Zweifel, ob ein auf Freiwilligkeit basierendes Modell Erfolg beim Aufwuchs der Bundeswehr bringen wird. Die Aussagen von Miersch sieht der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes kritisch: "Wer eine neue Form der Wehrpflicht für diese Legislaturperiode trotz anderslautender Verabredungen im Koalitionsvertrag bereits jetzt aus ideologischen Gründen kategorisch ausschließt, handelt verantwortungslos."

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke