Die Demütigungs-Momente bleiben aus. Mit lockerer Souveränität sorgt Friedrich Merz nicht nur für ein Friede-Freude-Eierkuchen-Treffen mit Donald Trump. Er entlockt dem US-Präsidenten sogar ein Kompliment. Damit wird der Kanzler zum Überflieger der Woche.

Was für eine Woche im Regierungsviertel! Traumwetter in Berlin - und das, obwohl das Kabinett von Friedrich Merz erst seit genau einem Monat im Amt ist. Der perfekte Zeitpunkt also für analysestarke Fachjournalistinnen wie mich, die ersten Gewinner der Legislatur-Frühphase zu küren. Selbstverständlich nur temporär, denn in dieser schnelllebigen Zeit kann der Überflieger von heute bereits morgen zum Ikarus der Woche transformieren.

Mit Ikarus, das nur für den geringen Anteil an Leserinnen und Lesern dieser Elitekolumne, die mit der griechischen Mythologie nur so vertraut sind wie Tino Chrupalla mit deutscher Lyrik, ist kein neues E-Auto aus China gemeint, sondern der Sohn von Dädalus. Dädalus wiederum gilt als der Otto Lilienthal der Antike. Der Luftfahrt-Pionier erfand ein Gestänge, an dem mit Wachs befestigte Federn als Flügel fungierten. Der Jungfernflug seines Sohnes Ikarus geriet allerdings ähnlich schief wie der Versuch des FC Bayern München, Florian Wirtz zu verpflichten. Ikarus wollte trotz Warnung, so jedenfalls geht der Mythos, zu hoch hinaus. Er flog zu nah an die Sonne - den Rest kann man sich denken, selbst wenn man nie zu den Favoriten auf den Physik-Nobelpreis gehörte. 6000 Grad, Wachs, Schmelzeffekt, Sie verstehen.

Jetzt aber erstmal zur Award-Verkündung. Here are the results of the von-den-Benken-Jury: Der Gewinner des Startmonats in die neue Merz-Ära ist aus meiner Sicht (an dieser Stelle bitte ein Trommelfeuer sauerländischer Tontauben-Schützen-Klubs denken) ihr Namensgeber höchstpersönlich. Nach der Asyl-Zurückweisungs-Pleite zu Beginn der Woche (kassiert vom Verwaltungsgericht Berlin), gelang dem 10. Bundeskanzler seit 1949 wenig später ein fulminantes Comeback! Mit lockerer Souveränität, die dem zumeist eher mit dem Charme eines Schadensregulierungs-Sachverständigen der Capitol-Versicherung auftretenden Briloner nicht von jedem vorab zugetraut wurde (die Verfasserin dieser Kolumne eingeschlossen), gewann Merz beim Antrittsbesuch in Washington das Herz von Donald Trump, dem Leader der (nach seiner Amtszeit womöglich nicht mehr ganz so) freien Welt und Deutschlands wichtigstem Verbündeten.

1949, das nur nebenbei, ist auch das Geburtsjahr von Horst Seehofer und Bruce Springsteen. Ja, die beiden sind gleich alt. Aus unerfindlichen Gründen war Seehofer nie Kanzler und Springsteen - naja, nach seiner aktuellen Trump-Positionierung kann er vermutlich froh sein, wenn er in Zukunft in Amerika überhaupt noch wählen und auftreten darf.

Matsch is no longer a Steak

Merz jedenfalls, dem auf seiner Kanzler-Premierenreise ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten mehr Journalisten folgten als der Einladung zum Deutschen Presseball, cashte beim gefürchteten Trump-Gästebingo ordentlich ab. Und das nicht nur, weil er - anders als der ukrainische Präsident Wolodymyr "Why don't you wear a suit?" Selenskyj - einen Anzug trug. Oder weil Trumps Vize-Präsident und Kommunikations-Dampfwalze JD Vance gar nicht zu Wort kam.

Statt der erwarteten knappen Viertelstunde widmete sich der laut jüngster Schlammschlacht-Schach-Eröffnung von Elon Musk angeblich prominent in den berüchtigten "Epstein Files" dokumentierte US-Präsident dem Berliner Regierungschef überraschend volle 40 Minuten.

Sehr zur Freude der turbofeministischen Annalena-Baerbock-Hater, die die Ex-Außenministerin gerne als Völkerrechts-Bachelorette mit den Englisch-Kenntnissen eines durchschnittlichen Waldorfschülers desavouieren, nur weil sie gelegentlich die Tragweite eines dringend notwendigen Unterfangens ("much is at stake") mit einer kuriosen veganen Variante für kurzgebratene Rindfleischscheiben ("Matsch is a steak") verwechselt hatte, glänzt Merz mit ordnungsgemäßem Businessenglisch. Der Kanzler entlockt Trump dafür sogar etwas, das der Präsident sonst ausschließlich an sich selbst verteilt: ein Kompliment.

Aber bitte mit Sahne

Ebenfalls nicht unbemerkt bleibt, dass Friedrich Merz sich selbst auf Details wie den obligatorischen Publikums-Handschlag besser vorbereitet hat als Olaf Scholz auf seine Cum-Ex-Befragungen. Mit Stringenz, jedoch gleichzeitig angstfrei, reichte Merz dem Begrüßungsfloskel-Autodidakt Trump die Hand. Damit umging er geistesgegenwärtig die bei der Gelegenheit stets drohende Meme-Falle, in die vor ihm bereits zahllose hochrangige Staatsgäste erschreckend blauäugig getappt waren.

Der vermutlich legendärste Moment bleibt der rund 20-sekündige Dauerhändedruck, den Trump seinerzeit dem japanischen Premierminister Shinzō Abe zuteilwerden ließ. Unbestätigten Gerüchten zufolge konnte Abe seine Audienzhand etwa drei Wochen lang mühelos unter jedem Türspalt durchschieben, bis sich sein Greiforgan der oberen Extremitäten langsam wieder erholt hatte.

Vor Merz hatte bislang lediglich Emmanuel Macron ausreichend alte Bud-Spencer-Filme konsumiert, um bei Handschlagorgien adäquat mithalten zu können. Der französische Staatspräsident leistet sich mit Trump schon seit Jahren legendäre Empfangshallen-Duelle, bei denen sich die zwei sogenannten Alphatiere wahlweise so lange in die Augen starren, bis nach einigen quälend bizarren Minuten einer der beiden als Erster wegschaut.

Oder sie legen sich gegenseitig gönnerhaft die Hände auf die Knie. Eine Geste, die in der wissenschaftlichen Rezeption nonverbaler Kommunikation oftmals als körpersprachliches Erniedrigungs-Ritual klassifiziert wird. Besonders in Erinnerung geblieben ist bei dieser beinahe schon zeremoniellen Machtspiel-Oper aber vor allem jener klassische Handschlag, bei dem Macron die Hand seines Kontrahenten derartig in den Pranken-Schraubstock nahm, dass es dem Gastgeber im Weißen Haus mit ziemlicher Sicherheit die Karpalwurzeln aus der Grußhand gesprengt hat.

Die Hand Gottes

Amtierender Armwrestling-Weltmeister des transatlantischen Handshake-Grand-Slams ist bislang also der Mittelhandknochen-Zertrümmerer aus dem Élysée-Palast. Was notabene wenig überraschend ist. Denn wenn Macron sich von einer Hand erniedrigen lässt, dann höchstens von der seiner Frau. Auch die von Friedrich Merz hat sich zuweilen zupackend und konfrontationsaffin präsentiert. Also die Frau, nicht die Hand. Die Kollegen des Bildungs-TV-Startups "heute show" können da ein Lied von singen.

In Washington hielt sich Charlotte Merz diese Woche mit Verteidigungs-Allüren zurück. Zum einen war Lutz van der Horst nicht in der Nähe, zum anderen gab es keinen Grund. Der so wichtige Vibe zwischen ihrem Gatten und Trump stimmte. Trump und Merz kokettierten sich gegenseitig in eine Art Friede-Freude-Eierkuchen-Trance, über die selbst die in stattlicher Anzahl mitgereisten deutschen Begleitberichterstatter anerkennend staunten. Nicht wenige von ihnen hatten ihre Dienst-Laptops im Weißen Haus wahrscheinlich mit einer ordentlichen Portion Vorfreude auf kanzlerseitige Demütigungs-Momente aufgeklappt.

Eine lange Dienstreise mit niederschmetterndem Ergebnis für die mit den Lästerhufen scharrenden Kanzler-Nörgler. Friedrich Merz zog den oft skurril unzurechnungsfähig agierenden Trump auf seine Seite, präsentierte sich in seiner westfälischen Grundbiederkeit als verlässlichen Partnerlandesführer und brachte Trump ins schwärmerische Plaudern.

In den überraschend langen 40 Minuten des gemeinsamen öffentlichen Hofhaltens referierte hauptsächlich Trump, nutzte seinen Löwensprechanteil dabei allerdings mehrfach dazu, das neue Merz-Deutschland als leuchtendes Beispiel für funktionierende Prozesse zu lobpreisen. So diktierte er den teilirritierten Pressevertretern beispielsweise in ihre Korrespondenten-Notizbücher, er beginne zurzeit damit, aus dem Weißen Haus heraus einige elementare Dinge zu ändern, so wie es die Deutschen bereits erfolgreich vorgemacht hätten.

Schläft Donald Trump in Merz-Bettwäsche?

Dass Friedrich Merz erst seit vier Wochen halbwegs wirksam dafür verantwortlich zeichnet, blieb dabei von untergeordneter Relevanz. Auch die interessante Enunziation, was exakt sich der Präsident von Good old Germany gerade so alles abschauen würde, beließ er unkonkretisiert. So wusste niemand, ob er deutsche Verlässlichkeit und industrielle Überlegenheit meine, oder doch eher hübsche deutsche Interieur-Ideen für das Esszimmer.

Ich persönlich hoffe auf Letzteres, denn wenn man sich mal die aktuellen Verkaufszahlen von Volkswagen und die Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn anschaut, sollte sich Amerika nicht unbedingt daran orientieren. Dennoch bleibt als Fazit: Auf ein Merz-Fiasko an der Seite des stets unberechenbaren Ego-Impulspolitikers Donald Trump wurden hohe Summen gewettet, aber das Geld ist weg. Tja, Merz kommt halt aus der Hochfinanz - und die Bank gewinnt immer. Das gilt beim Black Jack wie beim Weltpolitik-Roulette.

Zur kommenden Woche möchte ich dann, dass Sie ähnlich gut präpariert zu dieser Kolumne erscheinen, wie Friedrich Merz zum Tête-à-Tête mit Donald Trump. Also beschäftigen Sie sich bis dahin bitte ausreichend mit der Frage: Wer könnte als Gegenpart zu Wochenchampion Merz der Verlierer oder die Verliererin der Intro-Analyse über die ersten Tage der Merz-Ägide werden - und warum ist es Jette Nietzard? Bis dann!

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