Das Ergebnis ist eindeutig. Nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland sind sich die Beobachter weitgehend einig: Der Antrittsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz bei US-Präsident Donald Trump war ein Erfolg.
Die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ schreibt: „Merz trainierte für seine Einladung ins Oval Office wie für ein TV-Duell zwischen US-Präsidentschaftskandidaten – wissend, dass es nur auf eines ankam: unbeschadet aus dem Rachen des Löwen zu kommen, aus dem Hinterhalt, falls Donald einen vorbereitet hätte. (...) Die Mission ist geglückt: Soweit der ‚Erfolg‘ darin bestand, dass der Kanzler fast 40 Minuten lang einem Monolog Trumps zuhörte.“
Und die britische „Times“ meint: „Ausländische Staats- und Regierungschefs sind stets um bemerkenswerte Geschenke bemüht, wenn sie mit Präsident Trump zusammentreffen: einen personalisierten Golfschläger, eine Weihnachtskrippe aus Perlmutt, ein vergoldetes Modell eines Kampfjets oder auch ein Präsidentenflugzeug im Wert von rund 400 Millionen Dollar. Als der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz am Donnerstag das Oval Office betrat, hatte er den seltenen Vorteil, nahezu genau das mitzubringen, was Trump gefordert hatte. (...)
Die europäischen Verbündeten hatten den Besuch im Oval Office genau verfolgt. Sie hoffen, dass der Kanzler das in die Tat umsetzt, was seine Worte und Gesten versprechen: mehr Führung auf internationaler Ebene. Ein Überblick zeigt, dass die Erwartungen seit Merz‘ Amtsantritt eher noch gestiegen sind – nicht nur in Europa. Und an welcher Stelle die Partner skeptisch sind, dass er seine Wahlversprechen umsetzen kann.
Frankreich
Friedrich Merz und Emmanuel Macron sitzen beide in einem Boot: Beide sind nicht sonderlich beliebt, beide sind innenpolitisch schwach, beide sind außenpolitisch ambitioniert und versuchen, zumindest auf diesem Feld Erfolge zu verbuchen.
Doch vor allem Merz‘ offensiverer Kurs in der Ukraine-Politik kommt Paris entgegen. Erleichtertes Aufatmen rief seine Ankündigung hervor, die Reichweitenbeschränkung deutscher Waffen aufzuheben. Als „Wende“ bezeichnete „Le Monde“ die gemeinsame Reise des Bundeskanzlers mit dem französischen Präsidenten sowie dem britischen und dem polnischen Premierminister im vergangenen Monat nach Kiew. Von einer „Macht im Entstehen“ spricht die Pariser Abendzeitung.
Was die Innenpolitik betrifft, ist man zurückhaltender. Den Aufstieg der AfD zu bremsen, traut man Merz im Nachbarland nicht zu. Dort weiß man aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, den populistischen Versprechen der extremen Ränder etwas Überzeugendes entgegenzusetzen.
Die Abstimmung zum sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz wird als strategischer Fehler kritisiert, von dem nur die „Ränder des politischen Systems profitiert haben“, wie es der Historiker Patrick Moreau formuliert. Merz habe damit sowohl die AfD als auch die Linke gestärkt. Scheitert die Koalition mit der SPD, könnte die AfD auf rund 40 Prozent kommen, so die Prognose des Franzosen.
Polen
Besonders herzlich war die Begrüßung nicht, als Merz Anfang Mai nach Warschau reiste. Das war indes zu erwarten: In Polen war Wahlkampf und einen zu freundlichen Umgang mit einem deutschen Regierungschef hätten die Nationalkonservativen Premierminister Donald Tusk als Unterwürfigkeit angekreidet. Tatsächlich verlief das Treffen von Merz und Tusk dem Vernehmen nach sehr gut – nicht zuletzt, weil Merz Warschau gleich an seinem ersten Tag im Amt besuchte.
In der polnischen Hauptstadt herrscht allgemein Erleichterung über den Regierungswechsel. Nicht nur glauben viele, mit Merz schon deswegen eine gemeinsame Sprache zu finden, weil er derselben Parteienfamilie angehört wie die regierenden Liberalkonservativen; gegenüber dem Sozialdemokraten Olaf Scholz hegten die Polen stets Misstrauen. Merz traut man in Warschau auch zu, Deutschlands Migrationspolitik endlich grundlegend zu ändern.
Die Polen halten den Deutschen seit jeher vor, zu ignorieren, dass sie wie ein Magnet für illegale Migration nach Europa zu wirken, wovon auch Polen betroffen ist. Zudem erwartet Tusk eine beherztere Unterstützung der Ukraine und den Ausbau der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Polen. Dass Merz durch die Reform der Schuldenbremse die Mittel dazu hat, weckt Hoffnungen in Warschau.
Italien
Nach den Monaten des Ampel-Chaos ist die Sehnsucht nach politischer Stabilität beim nördlichen Partner groß. Dass die neue Bundesregierung mit einem Investitionspaket die Wirtschaft ankurbeln will und dafür die Schuldenbremse lockert, wird als Einzug eines neuen Pragmatismus begrüßt. Als einer der engsten Handelspartner leidet Rom erheblich unter der wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland.
Die angekündigte „Migrationswende“ betrachtet man als längst überfälligen Kurswechsel. Nachdem Ex-Bundeskanzler Scholz Italien für die restriktive Migrationspolitik getadelt hatte, frohlockt Rom nun über die neue Offenheit Berlins etwa gegenüber Drittstaatenlösungen. Am Erfolg dieser beiden Schlüsselthemen – Wirtschaft und Migration – wird sich nach Ansicht vieler Kommentatoren zeigen, ob Merz den Aufstieg der AfD bremsen kann. „Scheitert er, werden die Folgen verheerend sein“, prophezeit die Zeitung „Corriere della Sera“.
Viel Lob erntet Merz für seine außenpolitischen Initiativen, die als Indiz dafür gelten, dass Deutschland wieder eine Führungsrolle in Europa beansprucht. Die gemeinsame Reise von Merz mit anderen Regierungschefs nach Kiew wurde als neuer außenpolitischer Schulterschluss der Europäer interpretiert.
Zugleich ist die Linie zwischen Bewunderung und Argwohn angesichts einer befürchteten Marginalisierung italienischer Interessen fein. Dass die italienische Premierministerin Giorgia Meloni beim symbolträchtigen Besuch in Kiew fehlte, löste in Italien Irritationen aus. Ebenso wie die auf Drängen der Sozialdemokraten getroffene Entscheidung, Italien im Koalitionsvertrag nicht als strategischen Partner im Format „Weimar plus“ zu erwähnen.
Merz bemühte sich bei seinem Antrittsbesuch Mitte Mai im Palazzo Chigi in Rom, die Wogen zu glätten. Er betonte die Bedeutung Italiens als „unverzichtbaren strategischen Partner“ und demonstrierte deutsch-italienische Einigkeit bei der Frage, wonach Diskussionen über die Entsendung von Friedenstruppen in die Ukraine verfrüht seien. Dennoch trafen die Vorkommnisse in Rom einen wunden Punkt, kämpft Meloni doch derzeit um ihren Platz in der von London und Paris angeführten sogenannten Koalition der Willigen zur Unterstützung der Ukraine.
Nordeuropa
Die ersten außenpolitischen Schritte des neuen Kanzlers werden im Norden wohlwollend beobachtet. „Er hat eine klare Vorstellung von Europa“, sagte die dänische Premierministerin Mette Frederiksen vergangene Woche in einem „Spiegel“-Interview über Merz. Vor allem die größere Entschlossenheit bei der Unterstützung der Ukraine kommt in Dänemark gut an.
So schreibt etwa die Tageszeitung „Jyllands Posten“ über Merz‘ Entscheidung, die Reichweitenbeschränkung für westliche Waffen offiziell aufzuheben: „Diese Botschaft wird den Verlauf des Krieges kaum ändern, aber sie unterstreicht, dass Merz – zunächst in Worten – in der Ukraine-Frage eine schärfere Linie verfolgt als sein Vorgänger.“
Immer wieder schwingt aber auch die Sorge mit, dass es bei Worten bleiben könnte – weil Merz bei weitreichenderen Entscheidungen am zögerlichen Koalitionspartner scheitern könnte. Dabei hängt vom Erfolg der neuen Bundesregierung aus dänischer Sicht einiges ab.
Nicht nur für Europa, sondern auch für Deutschland selbst: „Scheitert die Koalition aus CDU und SPD, wie zuvor die Dreiparteienregierung, könnte es schwierig werden, den Vormarsch der extremen Parteien zu bremsen“, heißt es in der „Jyllands Posten“ weiter. Die Diskussion um ein Verbot der AfD wird in Dänemark weit überwiegend kritisch gesehen; der Kanzler müsse der Partei politisch entgegentreten, heißt es. Der Schlüssel dazu liegt für viele Beobachter vor allem in einem Mittel: einer härteren Migrationspolitik – nach dänischem Vorbild.
Lateinamerika
Die deutsche Parteienlandschaft als Vorbild für Argentinien: So sieht es zumindest die konservative Tageszeitung „Clarin“. Die deutsche Politik, die auf einem Gleichgewicht zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts basiere, widerstehe dem Vormarsch des Populismus, der andere Demokratien erfasst habe, kommentiert das Blatt. Und zieht einen Vergleich zu Argentinien, wo Rechtslibertäre und linkspopulistische Peronisten die Gesellschaft zerreißen würden. Die Schlussfolgerung: „Die deutsche Strategie – ein Kontrast zu unserem Land“.
Das Portal „La Republica“ aus Ecuador veröffentlichte in dieser Woche sogar eine Titelgeschichte zu Friedrich Merz. „Deutschland fordert Israel auf, humanitäre Hilfe für Gaza zuzulassen“, so die Zeile. Damit dürfte der Kanzler im überwiegend propalästinensisch aufgestellten Lateinamerika einige Sympathiepunkte gesammelt haben. Vor allem bei Brasiliens Präsident Lula da Silva, einem der schärfsten Israel-Kritiker auf dem Kontinent.
Bei den konservativen Anhängern von Javier Milei (Argentinien) oder Jair Bolsonaro (Brasilien) kommt das hingegen weniger gut an. In den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) wiederum hoffen die Kommentatoren, dass es Merz gelingt, die Widerstände in einigen europäischen Ländern gegen das Freihandelsabkommen Mercosur endlich aus dem Weg zu räumen.
China
Peking schlug nach Friedrich Merz' Wahl überraschend sanfte Töne an. In seinem Glückwunschanruf sprach Xi Jinping von einem „neuen Kapitel der strategischen Partnerschaft“ und warb für stabile Wirtschaftsbeziehungen. Hintergrund ist Chinas Wunsch, angesichts des Handelskonflikts mit den USA engere Bande zu Europas Volkswirtschaften zu knüpfen.
Merz ließ anderes anklingen. Er hatte zuvor im Bundestag klargestellt, dass das Verhältnis zu China von „systemischer Rivalität und Machtpolitik“ geprägt sei. Die Nähe Pekings zu Moskau sei ein Grund „großer Sorge“. Zwar bleibe China ein wichtiger Partner bei globalen Herausforderungen, doch Berlin werde „einseitige Abhängigkeiten abbauen“ und strategisches De-Risking betreiben.
Im Telefonat mit Präsident Xi Jinping forderte Merz auch mehr Einsatz von Peking für eine Waffenruhe in der Ukraine. Die chinesische Staatszeitung „Global Times“ kommentierte, Deutschland solle „nicht im Namen des De-Risking die Zusammenarbeit untergraben“ und warnte vor „politisch motivierter Entkopplung“. De-Risking könne das Vertrauen beschädigen.
Zugleich gilt Merz in Peking als pragmatischer Kanzler – kalkulierbar in Wirtschaftsfragen, aber klar in der Haltung. Innenpolitisch verfolgt China genau, wie Merz sich gegenüber der AfD positioniert. Seine Bemühungen, die politische Mitte zu stabilisieren und rechtspopulistische Tendenzen einzudämmen, gelten als Zeichen für Berechenbarkeit – und damit als Vorteil für einen stabilen europäischen Partner.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke