Nirgendwo ist die Nato-Grenze zu Russland länger als in Finnland. Vor der Haustür des Verteidigungsbündnisses macht die russische Armee eine stillgelegte Militärbasis flott, baut neue Kasernen, Lagerhallen und auch ein neues Hauptquartier. "Brigaden werden zu Divisionen", sagt Militärexperte Gustav Gressel.
Am nordwestlichsten Zipfel von Russland prallen der Kreml und die Nato direkt aufeinander. 1000 Kilometer entfernt von Moskau baut Wladimir Putin seine nächste Drohkulisse - direkt an der finnischen Grenze. Das russische Militär rüstet auf, bringt alte verrottete Militärflugplätze auf Vordermann, macht in die Jahre gekommene Kasernen wieder fit und errichtet Lagerhallen für Panzer. Das zeigen Satellitenbilder aus der russisch-finnischen Grenzregion.
Der Startpunkt für einen möglichen Test des Verteidigungsbündnisses? Nato-Offizielle versuchen in der "New York Times" zu beruhigen: Die Arbeiten an den russischen Stützpunkten seien kein Vergleich zu dem, was die Truppen von Putin in den Wochen vor dem Großangriff auf die Ukraine mobilisiert haben, heißt es. Derzeit seien "nur sehr wenige russische Truppen" an der Grenze zu Finnland stationiert.
Es stimmt, aktuell rüstet der Kreml entlang der Grenze zu Finnland und Norwegen eher moderat auf. Dennoch scheint klar: Russland verfolgt einen langfristigen Plan. Militärexperten sind überzeugt, dass der Kreml in einigen Jahren strategisch so aufgestellt sein möchte, dass ein Angriff auf Finnland zumindest theoretisch machbar wäre. Dafür muss Russland seine Luftwaffenstützpunkte im hohen Norden, auf der Kola-Halbinsel und in Karelien, auf Vordermann bringen.
"Brigaden wurden zu Divisionen aufgeblasen"
Die entsprechenden Weichen wurden bereits Anfang des vergangenen Jahres gestellt, als Kremlchef Wladimir Putin per Dekret die Militärbezirke im Nordwesten Russlands neu sortieren ließ. Der Leningrader Militärbezirk wurde wieder eingerichtet. Er umfasst seitdem den gesamten Nordwesten Russlands. "Gleichzeitig wurden die Brigaden der Armeekorps zu Divisionen aufgeblasen", berichtet Militärexperte Gustav Gressel bei ntv: "Bei Divisionen ist viel mehr Begleitwerk dabei, etwa dreimal so viel Gerätschaft wie in einer Brigade. Das alles muss natürlich in Friedenszeiten irgendwo herumstehen. Es braucht Kasernen, Munitionsdepots, Feldwerkstätten. Das wird jetzt an der finnischen Grenze aufgebaut."
Noch geht von den russischen Truppen entlang der finnischen Grenze keine akute Gefahr aus. In den vergangenen Jahren habe Moskau seine militärische Infrastruktur auf der Kola-Halbinsel und im etwas südlicheren Karelien nur ein bisschen hochgerüstet, schreibt Emil Kostahelmi auf X. Doch größere Bauprojekte dürften schon bald folgen. Derzeit sehe man erste Anzeichen "zunehmender Aktivität", ergänzt der finnische Militäranalyst im schwedischen Fernsehen.
"Außengrenzen von Finnland sind Außengrenzen von Deutschland"
Finnlands gemeinsame Grenze mit Russland ist gut 1300 Kilometer lang. Nirgendwo sonst hat die NATO eine längere Grenze mit Moskau. Der Kreml könnte hier theoretisch innerhalb der nächsten fünf Jahre seine Militärpräsenz auf ein "bedrohliches Niveau" aufstocken, schreibt die"New York Times".
Schon jetzt hat Helsinki mit dem russischen Nachbarn zu kämpfen. Der Kreml hat seine Truppen entlang der Grenze zwar längst nicht auf ein "bedrohliches Niveau" aufgestockt. Trotzdem haben vor allem die finnischen Grenzschützer bereits alle Hände voll zu tun: "Wir wissen, dass über diese Grenze auch die Migration instrumentalisiert wird, als Teil der hybriden Kriegsführung gegen uns. Wir werden das nicht hinnehmen. Deswegen ist der Schutz der europäischen Außengrenzen eine gemeinsame Aufgabe", betonte Bundeskanzler Friedrich Merz bei seinem Besuch im finnischen Turku vergangene Woche. "Die Außengrenzen von Finnland sind auch die Außengrenzen der Bundesrepublik Deutschland."
Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo ist überzeugt, dass Russland hauptsächlich wegen des finnischen Nato-Beitritts im vergangenen Jahr entlang der Grenze aufrüstet. "Dies beschreibt die unvorhersehbare Aggressivität von Russland", sagte er bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merz. "Dadurch wird die Sicherheit von ganz Europa gefährdet."
Russlands Strategie? "Offensive Verteidigung"
Wenn der Krieg in der Ukraine vorbei ist, wird Russland die Aufrüstung im hohen Norden mutmaßlich stärker vorantreiben, massiv Truppen auf die Kola-Halbinsel und nach Karelien schicken. Davon sind viele Militärexperten überzeugt. Zumal ein Teil der gemeinsamen Grenze mit Finnland in der Polarregion liegt, einem der geopolitisch wichtigsten Flecken Erde überhaupt. Für Russland ist der Zugang zur Arktis der Schlüssel zum Status einer Großmacht, zitiert die "New York Times" einen Nato-Beamten, der anonym bleiben will.
Dafür ist offenbar jedes Mittel recht. Russland verfolge das Konzept der "offensiven Verteidigung", erklärt Gressel bei ntv. "Es plant, jeden Nachbarstaat prinzipiell angreifen zu können. Die Frage ist: Wird Russland jemals in einer politischen Situation sein, die es ihnen erlaubt oder wo sie glauben, dass es ihnen erlaubt ist, das zu tun?"
Die Strategie der "offensiven Verteidigung" sieht vor, dass Putin seine Truppen möglichst schnell in die Lage bringen will, ein Nachbarland anzugreifen. Das heißt nicht, dass es dazu kommt. Der Kremlchef will aber die grundsätzliche Möglichkeit dazu haben.
Ob es einen Angriff gibt, hänge maßgeblich vom weiteren Verlauf des Ukraine-Kriegs ab, sagt Gressel. "Wie endet der Krieg und wann? Wie abgenutzt ist dann die russische Armee? Wie schnell kann sie wieder hochgerüstet werden? In welchem Zustand ist die Nato? Unterstützt Trump Europa noch? Das hat alles Einfluss darauf, ob die Russen angreifen oder nicht."
Stillgelegter Stützpunkt wieder in Betrieb
Das Prinzip "offensive Verteidigung" betreiben die Russen gerade auf der Kola-Halbinsel. Auf dem Militärstützpunkt Seweromorsk-1, nahe der Hafenstadt Murmansk, wurden die Hangars für Kampfjets in den vergangenen Jahren wieder fit gemacht.
Eine andere Luftwaffenbasis in der Nähe, Seweromorsk-2, wurde im Kriegssommer 2022 komplett restauriert und flott gemacht für Hubschrauber-Starts und Landungen. Der Standort war zuvor 24 Jahre lang stillgelegt. Möglich, dass von hier aus bald sogar auch wieder Kampfjets fliegen können, schreibt Militärexperte Kastehelmi auf X. Noch sieht der Großteil des Stützpunkts aber ziemlich verlottert aus, zeigen Satellitenbilder.
Auf dem Stützpunkt Seweromorsk-3, einem weiteren Standort auf der Kola-Halbinsel, haben die Russen Schutzwände für ihre Kampfjets gebaut - gut möglich, dass sich die Armee damit besser gegen ukrainische Drohnenangriffe schützen will.
Neues Hauptquartier in Karelien
Auf der Luftwaffenbasis Olenja, gut 150 Kilometer von Nato-Territorium entfernt, sind inzwischen vermehrt russische Bomber zu sehen. Von hier aus werden zahlreiche Angriffe auf die Ukraine geflogen, heißt es aus Kiew. Einige der Flugzeuge wurden am vergangenen Wochenende im Rahmen der "Operation Spinnennetz" des ukrainischen Geheimdiensts zerstört.
Auch weiter südlich hat Russland mit der Aufrüstung begonnen. In der Stadt Petrosawodsk in Karelien, 175 Kilometer von der finnischen Grenze entfernt, will der Kreml ein neues Hauptquartier bauen, berichtet das "Wall Street Journal". Hier sollen in den nächsten Jahren Zehntausende Soldaten unterkommen. Neben neuen Kasernen und Truppenübungsplätzen sind demnach auch neue Waffenlager und Eisenbahnstrecken geplant. Die ersten drei Lagerhallen wurden schon aufgebaut und bieten Platz für insgesamt etwa 150 Panzer, meldet das schwedische Fernsehen. Eine weitere Halle werde gerade gebaut.
Die Aufrüstung im hohen Norden Russlands hat begonnen - und ist noch lange nicht am Ziel.
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