Sein Vater, der Medienunternehmer und Aktivist Jimmy Lai, wurde im Dezember 2020 in Hongkong festgenommen, weil er sich dagegen auflehnte, dass China die Freiheit der „Sonderverwaltungsregion“ einschränkt. Seitdem kämpft sein Sohn unermüdlich für seine Freilassung, überall auf der Welt. So auch in Kopenhagen, wo er auf dem „Democracy Summit“, einer Initiative des ehemaligen dänischen Premiers Anders Fogh Rasmussen, stellvertretend für seinen Vater den „Award for Courage“ der Axel Springer Freedom Foundation entgegengenommen hat.

WELT: Die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es Ihrem Vater Jimmy Lai? Er ist jetzt seit mehr als vier Jahren in Haft in Hongkong.

Sebastian Lai: Ich bin ehrlich gesagt sehr besorgt. Mein Vater befand sich die vergangenen zwei Jahre in Isolationshaft. Er ist jetzt 78 Jahre alt, und mit seiner Gesundheit geht es bergab. Als er vor einigen Monaten vor Gericht stand, hat man es ihm angesehen: Wie dünn er geworden ist, wie schmal…

WELT: Das war das letzte Mal, dass Sie ihn gesehen, ihn gesprochen haben?

Lai: Gesehen ja – also natürlich nicht vor Ort, ich konnte nicht nach Hongkong fahren, aber ja. Er kämpft nach wie vor, er hat einen starken Willen und Geist. Aber gerade beginnt der Sommer, und das ist auch in Hongkong der Fall. Dort wird es schnell sehr heiß. Und mein Vater sitzt in einer winzigen Zelle in dem Sicherheitsgefängnis. Er hat keinen Zugang zu natürlichem Licht. Es heizt sich auf. Das ist für jeden Menschen eine Qual, für einen fast 80-Jährigen kaum zu ertragen. Tatsächlich gesprochen habe ich ihn Ende 2020. Er kann gegenwärtig viermal im Monat Besuch bekommen, es gibt also Familienmitglieder, die ihn sehen. Und die Anwälte vor Ort. Die internationalen Anwälte, mit denen ich arbeite, dürfen nicht nach Hongkong.

WELT: Sie sind ständig unterwegs, Sie versuchen, auf seine Situation aufmerksam zu machen, ohnehin: Auf Hongkong, das kein freier Ort mehr ist. Es wird mühsamer neben all den anderen Krisen auf der Welt dafür Aufmerksamkeit zu bekommen. Frustriert das?

Lai: Es ist ein Marathon, kein Sprint. Das war immer klar. Man kann immer etwas tun, jeden ansprechen, der in einem demokratischen Land sitzt. Aber natürlich wächst die Sorge um meinen Vater, denn die Zeit drängt, er könnte im Gefängnis sterben. Die Regierung in Hongkong behauptet, Rechtsstaatlichkeit walten zu lassen. Aber das stimmt natürlich nicht. Sie sperren Kritiker, sie sperren Journalisten ein, nur weil sie etwas schreiben, dass ihnen nicht passt. Aber wenn Du als Journalist nur schreibst, was der Regierung passt, dann ist das nichts anderes als Propaganda.

WELT: Ihr Vater kam 2019 in Haft, im Zuge der Proteste, ihm wurde unter anderem vorgeworfen, gegen das chinesische Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben. Es geht in dem Verfahren unter anderem um die Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften. Als Medienunternehmer gründete er einst die inzwischen eingestellte Apple Daily, eine der letzten Zeitungen, die als unabhängig galten. Er stand bereits mehrfach vor Gericht. Wie haben Sie den letzten Prozess gegen ihn erlebt?

Lai: Es ist ein Schauprozess. Die Regierung hat die Richter ernannt, es gibt keine Geschworenen, angebliche Zeugen. Es geht auch um Aufwiegelung, ein Straftatbestand aus der Kolonialzeit. Und eben um Verschwörung zur Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften. Es ist absurd. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. In einem Fall ging es um die Teilnahme an einer Demonstration, an der zwei Millionen Menschen teilnahmen. Natürlich hat man nicht zwei Millionen Menschen verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Das wären 30 Prozent der Bevölkerung gewesen. Eine zweite Verurteilung erfolgte, weil er bei einer Mahnwache auf dem Tian’anmen-Platz eine Kerze angezündet und ein Gebet gesprochen hatte. … im Moment geht es um das Sicherheitsgesetz, und das sieht als Höchststrafe lebenslänglich vor. Aber selbst wenn er fünf Jahre bekommt, ist das in seinem Alter praktisch dasselbe.

WELT: Im Grunde spielen konkreten Anklagen keine Rolle, weil man sich mit juristischen Mitteln ohnehin nicht wehren kann?

Lai: Ja, es geht im Grunde um geringe Verstöße, wegen derer in Hongkong oder in anderen Ländern, in denen man sich an Rechtsstaatlichkeit hält, niemand zu einer Haftstrafe verurteilt wird.

WELT: 2019, als die Proteste auch gegen das chinesische Sicherheitsgesetz auf dem Höhepunkt waren, war auch im Ausland die Aufregung groß, man blickte auf Hongkong. Das Gesetz wurde durchgesetzt, und es ist sehr ruhig geworden….

Lai: Ja, der Nachrichtenkreislauf ist immer schneller, gerade zuletzt. Ich glaube, dass Hongkong damals vielen die Augen geöffnet hat, was China wirklich über unsere Freiheit denkt – wie China mit Freiheit umgeht.

WELT: Aber offenbar ohne Konsequenzen.

Lai: China versucht ja gegenwärtig, näher an Europa zu rücken, an Kanada, Australien … – das wird nicht leichter, wenn es weiter politische Gefangene in Hongkong gibt. Man kann ja nicht behaupten, die freie Welt zu respektieren, wenn man die Freiheit beschneidet in einem Land, das eigentlich nach dem Prinzip ein Land, zwei Systeme leben sollte.

WELT: Ihnen bleibt also vor allem die Hoffnung auf Druck aus dem Ausland?

Lai: Mein Vater würde sagen, am Ende musst Du versuchen, Dich auf das zu konzentrieren, was Du ändern kannst. Seine Geschichte ist die eines Mannes, der bereit ist, sehr weit zu gehen für die Freiheit, der im Grunde bereit ist, diesem Ziel alles unterzuordnen. Nein, die Welt sieht nicht immer zu. Aber es gibt so viele andere Orte, an denen Menschen kämpfen, ohne, dass irgendein Licht auf sie fällt, ohne, dass es jemanden interessiert. Es bleibt dennoch wichtig.

WELT: Hat Peking vorerst gewonnen?

Lai: Haben sie gewonnen, oder haben sie schlicht einen Ort zerstört? Hongkong ist ja nicht mehr der gleiche Ort, eine Menge Menschen verlassen die Stadt. Die Wirtschaft läuft nicht mehr besonders gut und viele Strukturen wurden kaputt gemacht. Das sieht für mich nicht nach einem Sieg aus. Die lokale Presse hat ohnehin einen Maulkorb, und es ist doch klar, welche wichtige Rolle sie spielt, auch als Kontrollinstanz. Kennen Sie den Ausspruch: Ich kann Redefreiheit garantieren, aber nicht Freiheit nach der Rede?

WELT: In der veränderten globalen Lage – und sie hat sich einmal komplett geändert seit 2019 – wo sehen Sie die größten Chancen, dass sich etwas verändert für Hongkong?

Lai: In den vergangenen fünf Jahren hat sich nicht nur die Wirtschaft in Hongkong, sondern auch in China verschlechtert. Aus unterschiedlichen Gründen, aber mit ähnlichem Resultat. Ich glaube nicht, dass China Interesse daran hat, dass Hongkong weiter absteigt. Sie haben ja etwas davon, wenn es ein Finanzzentrum bleibt, dass hier investiert wird. Das gibt mir auch Hoffnung für meinen Vater. Ein politischer Gefangener sieht nicht gut aus, und es wäre ein einfacher Weg, der Welt zu zeigen: Wir kommen zurück zur Professionalität, Normalität. Es wäre ein Gewinn für die chinesische Regierung, ein kostenfreier.

WELT: Ihr Vater hat einmal gesagt, das Beste, was passieren kann mit Blick auf China, ist ein Präsident Trump, weil er der Regierung dort wirklich etwas entgegensetzt.

Lai: Ja, und das stimmte ja auch: Trump war der erste US-Präsident, der eine wirklich starke Haltung gegenüber der Volksrepublik eingenommen hat. Biden hat das übernommen. Trump hat sich in Äußerungen auch einige Male auf meinen Vater bezogen. Und dafür sind wir sehr dankbar. Die Zoll- und Handelsverhandlungen geben uns auch eine Menge Hoffnung.

WELT: Sie knüpfen ihre Hoffnung auch daran, dass Investoren zögerlicher sind aufgrund der menschenrechtlichen Situation. Wir haben in den vergangenen Jahren aber gesehen, dass diese, gerade auch mit Blick auf China, oft keine große Rolle spielt.

Lai: Ja, Menschen sind in der Hinsicht – flexibel. Aber Finanzzentren funktionieren auch über die Währung Vertrauen, sie bauen darauf. Und das hat mit Sicherheit zu tun. Auch Geschäfte macht man lieber in einer sicheren Umgebung, und Verlässlichkeit ist entscheidend. Im Fall von Hongkong geht es ja nicht um bestimmte Ressourcen, sondern um einen Marktplatz.

WELT: Was ist Ihr Antrieb weiterzumachen?

Lai: Mein Vater hat oft einen Satz wiederholt, der denke ich sehr wichtig ist: Die billigste Waffe, die Autokratien haben, ist Angst. Ja, es gibt wahnsinnig viel Anlass, besorgt zu sein, und viele schlimme Szenarien. Aber sich dafür zu entscheiden, sich nicht einschüchtern zu lassen, ist etwas Grundsätzliches. Mein Vater wurde oft gefragt, warum er Hongkong nicht verlassen hat. Denn es war ja abzusehen, was ihm passieren würde. Seine Antwort war: Es kann nicht Angst sein, die mich leitet. Alles aufzugeben, für Freiheit – das ist Freiheit.

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