Es wird einer der wichtigsten Termine seiner bisherigen Amtszeit, den Friedrich Merz am heutigen Donnerstag wahrnimmt. In Washington soll der Bundeskanzler kurz vor Mittag (Ortszeit) US-Präsident Donald Trump treffen und die angeschlagenen transatlantischen Beziehungen kitten.
Nichts Gutes verheißt dabei, dass das Weiße Haus am späten Mittwochabend kurzfristig den Plan für den Besucher aus Berlin änderte. Eigentlich hatte Merz erst mit Trump hinter verschlossenen Türen zu Mittag essen sollen – eine Gelegenheit, mögliche Streitpunkte auszuräumen. Nun findet das Mittagessen im großräumigen Kabinettssaal im West Wing erst statt, nachdem der CDU-Chef sich Trump und dessen Team sowie den Reportern im Oval Office gestellt hat.
Dieses Büro der US-Präsidenten ist inzwischen berühmt-berüchtigt. Denn seit der erneuten Regierungsübernahme durch Trump ist es zum heißen Stuhl geworden. Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wurde der Auftritt hier Ende Februar zum Fiasko. Vor ein paar Wochen bezichtigte Trump dort Südafrikas Staatschef Cyril Ramaphosa vor laufenden Kameras fälschlich des „Genozids“ an weißen Farmern in seinem Land.
Wie wird es dem deutschen Kanzler ergehen, konfrontiert mit einem unberechenbaren Trump und dessen Vizepräsidenten J-D. Vance, berüchtigt für die Freude an der Provokation? Auf diese fünf möglichen Fallstricke muss sich der CDU-Chef in Washington einstellen.
Streit um die Ukrainepolitik
Nur wenige Stunden vor Merz‘ Ankunft telefonierte Trump mit Russlands Machthaber Wladimir Putin. Kritiklos erklärte der US-Präsident, dass Putin „sehr klar“ angekündigt habe, auf die ukrainischen Drohnenangriffe „reagieren zu müssen“. Diese absehbare Eskalation steht unweigerlich über dem Treffen mit Merz. Der Bundeskanzler hatte zuletzt erklärt, dass Deutschland die Reichweitenbegrenzungen für an die Ukraine gelieferte Waffen aufhebt. Womöglich könnte Merz die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an Kiew autorisieren.
Hingegen hat Trump in seinen Verhandlungsversuchen bisher nichts getan, um Putin unter Druck zu setzen. Gleichzeitig warnt der US-Präsident vor der Provokation eines „Dritten Weltkriegs“. Derweil gibt es Berichte in US-Medien, dass das Pentagon neuerdings für Kiew wichtige Waffensysteme zurückhält. Auch ist die Finanzierung weiterer Militärhilfen ungewiss.
Trump will Zugeständnisse in der Handelspolitik
Trump ist besessen vom Thema der deutschen Automobilindustrie. Es ist ihm einerseits ein Dorn im Auge, dass die US-Autobauer nicht mithalten können. Andererseits fordert er mehr Produktion in den USA. Im Weißen Haus will man dafür sorgen, dass Autohersteller auch ihr Herzstück, den Motor, in den USA produzieren. Dies sind jedoch Zugeständnisse, die Merz nicht geben kann – er kann nicht für die deutsche Wirtschaft sprechen. Eine Delegation mit Industrievertretern ist nicht dabei.
Merz kann lediglich auf ein neues Angebot aus Brüssel verweisen. Wie „Politico“ berichtet, haben die Spitzen der deutschen Autoindustrie mit EU-Handelskommissar Maros Sefcovic und der deutschen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche am Dienstag über den EU-Vorschlag beraten, die Regulierungen für das autonome Fahren zu lockern. Das würde vor allem US-Autobauer Tesla freuen, der auf dem Gebiet Marktführer ist.
Im Zollstreit kann Merz Trump hingegen kein belastbares Entgegenkommen zeigen, denn der Handel liegt in der Kompetenz der EU-Kommission, die für alle 27 Mitglieder die Verhandlungen führt. Allerdings kann er Trump vielleicht damit besänftigen, dass Berlin derzeit keine Digitalsteuer für US-Firmen plant. Berichte über solche Pläne sollen kurz vor dem Besuch laut „Bild“ für Spannungen mit Trump gesorgt haben.
Die Gefahr der offenen Provokation
Es ist die Falle, vor der sich deutsche Regierungsvertreter und Diplomaten fürchten. Im Oval Office wird Merz nicht nur auf Trump treffen, sondern vermutlich auch auf dessen Vize, J.D. Vance. Der war es, der beim Treffen mit Selenskyj wesentlich zur Eskalation beitrug. Seine Geschichte mit dem deutschen Kanzler ist kompliziert. Im Wahlkampf fand Merz deutliche Worte in Richtung Vance. „Ich verbitte mir solche Einmischungen“, sagte er mit Blick auf dessen Rede in München und fügte hinzu: „Ich lasse mir doch nicht von einem amerikanischen Vizepräsidenten sagen, mit wem ich hier in Deutschland zu sprechen habe.“
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie die Sprache auf den Umgang mit der AfD oder das Thema Meinungsfreiheit kommen könnte. Entweder Vance spricht es von sich aus an, oder – wahrscheinlicher – ein Reporter fragt danach. Prädestiniert dafür wäre Brian Glenn, Korrespondent des rechten Senders „Real America’s Voice“, der Selenskyj gefragt hatte, warum er keinen Anzug trage. Trumps ehemaliger Botschafter in Berlin, Richard Grenell, warf Merz am Mittwoch auf „X“ Doppelzüngigkeit vor. Merz müsse in Washington wegen seiner Kritik an der US-Regierung „überführt“ werden. Grenell weiß, dass Merz impulsiv reagiert und zu schneller Gereiztheit neigt.
Die Erwartungen der Wähler zu Hause
Sollte Trump die Konfrontation mit Merz suchen, kann sich der Kanzler keinen Kuschelkurs leisten. Denn zu Hause wollen seine Wähler klare Kante sehen. Für 73 Prozent der Deutschen sind die USA derzeit kein vertrauenswürdiger Partner mehr, wie Infratest Dimap im Auftrag von ARD-„Tagesthemen“ und WELT ermittelte.
Aus CDU-Parteikreisen und von EU-Vertretern ist die Forderung zu hören, dass der deutsche Regierungschef sehr selbstbewusst auftreten müsse. Die EU und Deutschland seien der wichtigste Handelspartner der USA mit 450 Millionen Verbrauchern. Doch ein zu großes Selbstbewusstsein kann im Oval Office schnell als Provokation verstanden werden. Für gute Umfragen zu Hause mag Merz nicht den Streit mit Trump vor laufenden Kameras riskieren wollen.
Zweiter heißer Stuhl bei Fox News
Dem Kanzler genügt der heiße Stuhl im Oval Office nicht. Vor seinem Rückflug nach Berlin gibt er zwei Interviews. Das eine findet bei CNN statt, das zweite bei Fox News. Letzterer Sender ist als Trump-nah bekannt. Die Moderatoren führen Interviews oft mit einem „America First“-Narrativ, demzufolge Europa und Deutschland die falsche Migrationspolitik machen, die Meinungsfreiheit unterdrücken und zu wenig in ihre eigene Verteidigung investieren. Merz wird sich auf harte Fragen gefasst machen müssen. Trump-Freund Bret Baier, der bekannteste Fox-Moderator, ist allerdings in Urlaub.
Auf CNN wird es dem CDU-Politiker vermutlich einfacher gemacht. Der Sender versteht sich seit Trumps Wiederwahl als TV-Opposition zum Republikaner. Dass Merz ausgezeichnet Englisch spricht, ist zusätzlich ein Vorteil. Aber auch auf CNN können Fragen kommen, die den Kanzler auf dem falschen Fuß erwischen.
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.
Gregor Schwung berichtet für WELT seit 2025 als US-Korrespondent aus Washington, D.C. Zuvor war er als Redakteur in der Außenpolitik-Redaktion in Berlin für die Ukraine zuständig.
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