FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, bis zum Ausscheiden seiner Partei aus dem Bundestag Anfang des Jahres auch einer der Vizepräsidenten des Parlaments, hatte jüngst im Gespräch mit WELT AM SONNTAG beklagt, wie langweilig es dort geworden sei. Am Mittwoch war es das nicht. Die Luft brannte, der Ton war bisweilen hart. Es gab Tumult auf der Zuschauertribüne und eine Abgeordnete wurde des Saals verwiesen.

Es ging um Außenpolitik an diesem Sitzungstag. Um Israel und Palästina, vor allem. Außenminister Johann Wadephul (CDU) musste sich einer Regierungsbefragung der Abgeordneten stellen. Das war brisant für den Außenminister, denn der hat am morgigen Donnerstag seinen israelischen Amtskollegen Gideon Sa‘ar in Berlin zu Besuch. Ein heikles Treffen, denn vor ein paar Tagen hatte Wadephul erklärt, angesichts des militärischen Vorgehens der israelischen Armee im Gaza-Streifen und der Not der Zivilbevölkerung dort müsse man darüber nachdenken, ob man Israel überhaupt noch Waffen liefern könne. Der Ärger in der eigenen Partei und noch mehr in der CSU war riesig. Aber wie wird der israelische Außenminister darauf reagieren?

Dass Wadephul dafür im Parlament bei der Befragung hart angegangen würde, von der Opposition, war klar. Aber damit nicht genug. Die Befragung verlagerte sich auf die Innenpolitik. Auf das Thema Zurückweisungen, die Reaktion der Bundesregierung auf den jüngsten Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts, wonach die Zurückweisung von drei Somaliern, die aus Polen gekommen waren und in Deutschland Asyl beantragen wollten, sei unzulässig. Wadephul musste also als eine Art Superminister zur Außen- und Innenpolitik Rede und Antwort stehen und geriet massiv in Erklärungsnot. Was er schließlich erklärte, überzeugte nicht wirklich. Die Opposition nicht und vermutlich auch das Regierungslager nicht. Aber der Reihe nach.

Trubel, Rausschmiss, Rangelei

Selten sind Debatten im Bundestag so emotional, wie wenn das Thema Israel und das Vorgehen der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegen die Terrororganisation Hamas auf dem Programm steht. Israel muss sich der Attacken der Hamas erwehren, führt eine Militäraktion nach der anderen im Gaza-Streifen durch, und weil sich die Hamas hinter der Zivilbevölkerung versteckt, leidet die außerordentlich.

Wo die Abgeordneten der Linken, Cansın Köktürk, steht, zeigte sie mittels ihrer Oberbekleidung. Auf ihrem Pullover prangte der Aufdruck „Palestine“. Was Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) mit folgender Reaktion quittierte: „Ich habe die Abgeordnete, Frau Köktürk, gebeten, ihren Pullover zu wechseln. Und das haben wir nicht öffentlich gemacht. Sie lehnen das anscheinend ab. Dann würde ich Sie bitten, die Sitzung zu verlassen. Bitte“.

Die Abgeordnete folgte, nicht ohne verärgert Widerworte zu geben. Damit war die Ruhe aber nicht wieder hergestellt. Auf der Zuschauertribüne begann eine junge Frau mit lauten Verbalattacken die Befragung zu stören. Da sie sich nicht beruhigte, musste sie schreiend und tobende von der Security von der Tribüne gezerrt werden.

Anlass des Ausbruchs war eine Bemerkung des Außenministers zu einer Frage der Linke-Abgeordneten Katrin Fey, wie Cansın Köktürk aus NRW. Fey hatte wissen wollen, ob die Bundesregierung als Konsequenz „der Katastrophe in Gaza das politische Handeln ändert“. Was Wadephul folgendermaßen beantwortete: „Eine Bemerkung zum Terror der Hamas hätte auch zum Kontext dazugehört.“

Jedes Wort, das Wadephul zu Israel, Gaza und der Hamas derzeit sagt, wird noch genauer beobachtet und bewertet als sonst. Seit seinem Interview, in dem er die Waffenlieferungen an Israel zur Debatte stellt. Nun ist der CDU-Politiker aus dem Norden, ein altgedienter Parlamentarier und anerkannter Außenexperte, alles andere als ein Umfaller. Aber der Sturm der Entrüstung in seiner Partei nach dem Vorstoß zu Waffenlieferungen war so groß, intern und öffentlich vor allem bei der CDU, dass der Minister im Bundestag nun zurückruderte. Vor allem, als die Grünen immer wieder nachhakten, wo Wadephul denn nun im Fall von Israel stehe.

Wie steht Wadephul nun zu Israel?

„Es gibt völlige Geschlossenheit in der Fraktion, wir stehen völlig klar an der Seite Israels“, sagte der Außenminister. Ein Land, das mit dem Terror der Hamas konfrontiert sei, das immer noch Landsleute als Geiseln in den Händen der Terrororganisation habe, dem nicht einmal zugestanden werde, dass die Leichen dieser Geiseln überführt würden, lasse man nicht allein. Deutschland müsse sich am Völkerrecht orientieren – mehr als diese vage Distanz zur Politik Netanjahu gab es nicht. Dann aber den ganz klaren Satz: „Deutschland wird Israel unterstützen, auch mit Waffenlieferungen.“ Das ist gemessen an dem, was Wadephul vor einigen Tagen gesagt hatte, eine Kehrtwende.

Der Druck auch in der eigenen Fraktion war zu groß geworden. Die einen sprachen von Irritation, die anderen von Entsetzen und von einem „Schock“ nach den Äußerungen des Ministers zu Hilfen für Israel. Also wurde Wadephul bearbeitet. Bis zum Besuch des israelischen Außenministers am Donnerstag brauche man eine neue Tonalität des Ministers in der Sache, dann sei sie vom Tisch, hieß es in der Fraktionsspitze. In der Fraktionssitzung am Dienstag hatte Fraktionschef Jens Spahn (CDU) laut Teilnehmerkreisen erklärt: Israel müsse sich nicht nur gegen die Hamas verteidigen können, sondern sei zahlreichen Bedrohungen ausgesetzt, unter anderem durch den Iran. Israel habe das Recht und müsse die Möglichkeiten haben, sich zu verteidigen.

Das war als Appell auch an Wadephul gesehen, nicht von der Seite Israels zu weichen. Der Minister folgte dem an Ende. Bei der Befragung im Parlament erklärte er schließlich, zurückrudernd aber taktisch nicht ungeschickt, dass für die Genehmigung von Waffenlieferungen ohnehin der Bundessicherheitsrat zuständig sei. Also nicht er allein. Der tage bekannt geheim. „Und das ist richtig so“, erklärte Wadephul.

Nicht weniger hitzig war die Debatte zu den Zurückweisungen an den Bundesgrenzen, die die Grünen über weite Teile der Befragung immer wieder hochkochen ließen. Die Grünen nutzen den Moment, die Bundesregierung auch innenpolitisch anzugehen. Mehrere Abgeordnete der Grünen wollten wissen, wie die Bundesregierung auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu den Zurückweisungen der drei Somalier reagieren werde. Den Grünen ist das schärfere Grenzregime der Union seit Übernahme der Bundesregierung insgesamt ein Dorn im Auge. Wadephul geriet in eine Art Kreuzverhör, wieder war er in der Defensive – und erneut war die Reaktion nicht überzeugend.

Der Beschluss sei eine Einzelfallentscheidung, erstinstanzlich, die Entscheidung eines Gerichts. Mehr nicht. Sie habe keine allgemeine Wirkung, so Wadephul. Was die Grüne-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann zu der - sachlich richtigen - Bemerkung veranlasste: „Ich bin irritiert. Sie haben von mehreren Instanzen geredet, aber der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unanfechtbar.“ Der Minister solle die Entscheidung der Richter also nicht kleinreden. Genau das ist aber die Taktik der Union.

Die Grünen bohrten also weiter nach. Provozierten Wadephul mit der Vorhaltung, er würde das Gericht gering schätzen. Der hielt, inzwischen gereizt dagegen: „Es bleibt ein einziges Urteil, machen sie nicht mehr daraus, als es ist, auch wenn es ihnen politisch gelegen kommt.“ Die Grünen ließen aber nicht locker. Und was wäre, wenn es nun weitere Beschlüsse von Gerichten geben würde, die die Zurückweisungen kassieren, wollte eine Abgeordnete wissen. Genau das ist das Problem der Bundesregierung und von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Wenn Zurückweisungen von einer zunehmenden Zahl von Gerichten als unrechtmäßig erklärt werden würden, müsste wohl der Kurs geändert werden. Einfach weitermachen? Geht dann kaum.

„Wie viele Beschlüsse bräuchte es, um Sie zu überzeugen, dass dieser Weg falsch ist?“, wollte die Abgeordnete Awet Tesfaiesus wissen. „Nur weil sie die Erwartung haben, dass es entsprechende Entscheidungen geben könnte, erwarten sie ein entsprechendes Handeln der Bundesregierung? Wir halten uns an Gerichtsentscheidungen, nicht an Erwartungen“, so Wadephul. Der Minister und sein Kabinettskollege Dobrindt gehen – wie Kanzler Friedrich Merz, als er im Januar ein Gesetz zur Begrenzung der Migration zur Not auch mit den Stimmen der AfD durch den Bundestag bringen werde, gesagt hat – „all in“. Sie gehen voll ins Risiko.

Nikolaus Doll berichtet für WELT seit Jahren über die Unionsparteien.

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