Asylsuchende sollen weiterhin an den Grenzen zurückgewiesen werden - das fordern Söder und Dobrindt bei Sandra Maischberger in der ARD und Markus Lanz im ZDF. Einer Expertin zufolge bräuchte es aber dazu eine Notlage. Doch besteht die auch?

Juristisch ist die Sache klar. Das Verwaltungsgericht in Berlin hat am Montag drei Somaliern recht gegeben, die gegen ihre Zurückweisung an der Grenze am 9. Mai geklagt hatten. Die Journalistin und Juristin Melanie Amann vom "Spiegel" erklärt am Dienstagabend bei Markus Lanz im ZDF die Sache so: Die Entscheidung sei eine Einzelentscheidung, deswegen sei Bundesinnenminister Alexander Dobrindt im Recht, wenn er auch weiterhin Asylbewerber an der Grenze zurückweisen lasse. "Aber in dieser Eilentscheidung stehen juristische Argumente. Und diese juristischen Argumente sind so allgemein, dass sich daraus ableiten lässt: Diese Praxis ist rechtswidrig."

Das europäische Recht erlaube, Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen, so Amann. "Aber nur in dem Ausnahmefall, wenn es eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gibt. Was die Regierung bisher macht, ist zu sagen: Wir ziehen diese Ausnahme, aber sie liefert keine Gründe und keine Argumente. Sie erklärt nicht, warum sie das juristisch macht."

Amann kritisiert die Entscheidung Dobrindts scharf. Diesem gehe es vor allem um die Symbolik, um zu zeigen: "Wir weisen zurück, schaut her, wir bringen die Asylwende herbei. Und alle, die jetzt irgendwie mit dem Recht kommen, das sind die Nervensägen, das sind diese Korinthenkacker, die dann auf irgendwelche Paragrafen zeigen." Jeder sehe, das System funktioniere nicht, die Stimmung im Land sage: "Diese Juristen sollen jetzt mal aufhören mit dem Quatsch."

Man verfahre nach dem Motto: Keiner hält sich dran, also halten wir uns auch nicht dran. "Und in dieser Stimmung kann es sich ein Innenminister natürlich leisten, in dieser Art und Weise zu verfahren." Europäische Länder verstießen zum Teil gegen die Dubliner Gesetze, gibt Amann zu. "Der Rechtsverstoß gegen Dublin geht jetzt auch von Deutschland aus, und das hat das Gericht festgestellt", fasst sie die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Berlin zusammen.

Dobrindt: Überforderung, aber keine Notlage

Am Dienstagabend waren auch zwei CSU-Granden Gäste in zwei Talkshows. Innenminister Alexander Dobrindt begründet seine Entscheidung bei Sandra Maischberger in der ARD, Markus Söder könnte ihm dabei bei Markus Lanz im ZDF helfen. Doch scheinen sich die beiden nicht so ganz einig zu sein.

Fangen wir bei den Gemeinsamkeiten an. "Das Gerichtsurteil haben wir uns angeschaut. Es ist nicht tragend", sagt der als Law-and-Order-Mann geltende Markus Söder. Dobrindt handelt entsprechend, lässt Asylsuchende an den Grenzen weiter zurückweisen. Das darf er aber laut europäischem Recht nur, wenn er erklären kann, dass sich Deutschland in einer Notlage befindet. Deutschland sei aber in keiner Notlage, hatte Dobrindt noch vor wenigen Wochen gesagt. Da war er gerade zum Bundesinnenminister ernannt worden und saß bei Maybrit Illner im ZDF. Er wolle keine Notlage ausrufen.

Das klingt am Dienstagabend bei Maischberger ein bisschen anders. Das Gericht habe entschieden, dass die Begründung für die Zurückweisungen nicht ausreichend sei. "Wir haben einen Auftrag", sagt Dobrindt: "Wir müssen diese Begründung entsprechend liefern."

Viele Menschen würden erkennen, dass Deutschland überfordert sei. Migranten könnten nicht mehr ausreichend integriert werden. "Das spürt man in den Kindergärten, in den Schulen, bei den Sprach- und Integrationskursen, die von irgendjemandem gemacht werden müssen. Am Wohnungsmarkt merkt man das deutlich. Die Kommunen sind überfordert. Wir merken doch, dass wir das nicht leisten können. Und diese Überforderung dürfen wir geltend machen." Überforderung, aber keine Notlage. Fragt sich nur, wie Dobrindt eine "Überforderung" begründen will, ohne eine Notlage auszurufen.

Auch in der Koalition stoßen die Entscheidungen Dobrindts nicht nur auf Zustimmung. Justizministerin Stefanie Hubig von der SPD kritisiert sie - was Dobrindt jedoch kaltlässt. Er wolle die dysfunktionalen europäischen Regeln verändern. "Aber wenn ich jedes Mal erkläre, warum es nicht geht, warum wir nicht mehr in der Lage sind, Regeln zur Anwendung zu bringen, wenn wir das nicht mehr hinbekommen und es nicht einmal versuchen, dann geht die Polarisierung in der Gesellschaft weiter, dann gewinnen die Populisten, und dann haben die Bürger das Gefühl, dass die Politik nichts mehr entscheiden kann." Dies halte er "für die größte Gefahr". Nun müsse sich der Europäische Gerichtshof der Sache annehmen. "Es wäre gut, wenn wir eine solche Entscheidung hätten", sagt Dobrindt.

Söder sieht Notlage gegeben

Markus Söder verweist dabei stolz auf sein Bundesland: "Wir haben in Bayern im ersten Halbjahr einen Rückgang der Asylbewerber um die Hälfte", verkündet er. Da stellt sich die Frage: Wie will man eine Notlage ausrufen, wenn doch weniger Asylbewerber ins Land kommen? Und warum war sie offensichtlich nicht vorhanden, als noch mehr Asylbewerber ins Land kamen?

Die Zahl der Migranten geht laut Söder zurück, da auch die Zahl der Ausreisen auf einem Rekordhoch sei. Also keine Notlage? Doch, sagt Söder. Aber nicht wegen der hohen Zahl von Geflüchteten in Deutschland. Oder doch ein bisschen. Deutschland habe ein Integrationsdefizit, unterstützt Söder den Innenminister. Aber das ist offenbar gar nicht das Problem. Sondern: "Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist gefährdet, weil das Recht in Europa nicht angewendet wird."

Deutschland habe jahrelang die europäischen Partner vergeblich ersucht, das Gesetz einzuhalten. "Daraus folgt, dass wir unsere eigenen Grenzen selbst schützen müssen." Man habe auch keine Probleme, dies beim Europäischen Gerichtshof so zu begründen. Der werde Deutschland recht geben. Da ist sich Söder absolut sicher.

"Damit kommen Sie nicht durch", sagt Amann. "Da wird Ihnen jedes Gericht sagen: Das ist Quatsch", so die Journalistin. "Ich habe Respekt vor Ihrer Meinung, aber ich teile sie nicht", antwortet Söder. "Die Länder um uns herum halten sich zum Teil nicht an europäisches Recht, dadurch ergibt sich für uns eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung."

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke