Polen wählt einen ehemaligen Türsteher und Boxer zum Präsidenten - der aber auch promovierter Historiker ist und sich für die Ukraine einsetzen will. Er wird ein "sperriger" Präsident, sagt Osteuropa-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Polen wählt einen ehemaligen Türsteher und Boxer zum Präsidenten - der aber auch promovierter Historiker ist und sich für die Ukraine einsetzen will. Er wird ein "sperriger" Präsident, sagt Osteuropa-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
ntv.de: Herr Lang, was kommt mit Nawrocki als Präsident auf die Bundesregierung zu?
Kai-Olaf Lang: Die Bundesregierung muss sich auf einen sperrigen und selbstbewussten polnischen Staatspräsidenten einstellen. Er hat eine andere Vision von Europa als die Parteien der deutschen Koalition. Fragen der Geschichtspolitik sind für den promovierten Historiker und bisherigen Leiter des Instituts für Nationales Gedenken sowie Exponent des nationalkonservativen Lagers sicherlich eine Priorität im Umgang mit Deutschland. Gegenüber Deutschland hat er eine misstrauische Grundhaltung – dem westlichen Nachbarn wird Hegemonialstreben in Europa und trotz "Zeitenwende" sicherheitspolitische Unzuverlässigkeit vorgeworfen. Zugleich hat er enge Beziehungen zu US-Präsident Donald Trump und seinen Make-America-Great-Again-Republikanern.
Nawrocki fordert von Deutschland Reparationen für das Leid im Zweiten Weltkrieg. Wie sehr ist das ernst zu nehmen? Deutschland ist der Auffassung, die Frage sei rechtlich abgeschlossen.
Die Nationalkonservativen, konkret die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Nawrockis Kandidatur unterstützt hat, fordern das seit Jahren. Entscheidend ist aber, was die Regierung unter Donald Tusk macht. Der Ministerpräsident hat versucht, das Thema zu beruhigen. Seine Regierung erwartet eher eine humanitäre Geste und andere Formen der realen und symbolischen Politik, um das Leid, das Polen von Deutschen im Zweiten Weltkrieg zugefügt wurde, zu würdigen.
Nawrocki ist ein Quereinsteiger, war Boxer und Türsteher - ein ganz ungewöhnlicher Typ als Staatsoberhaupt. Warum hat er gewonnen?
Die Wahl war zum einen eine Auseinandersetzung zwischen zwei Visionen der polnischen Zukunft. Nawrocki will einen starken Nationalstaat, der zwar in der EU bleibt, aber sich gegen vermeintliche Übergriffe aus Brüssel wehren soll. Er will ein Polen, das an der Seite der USA steht, insbesondere der USA Donald Trumps. Er betont außerdem traditionelle konservative Werte.
Welche Vision vertrat sein Gegner?
Sein Rivale Rafal Trzaskowski war dagegen eher europafreundlich, progressiv, als Bürgermeister Warschaus ein Mann der Großstadt. Polen ist in dieser Frage gespalten. Aber schon in der ersten Runde zeigte sich, dass rechtsorientierte und nationalistische Parteien mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten hatten.
Welche Rolle spielte es, dass er ein Außenseiter der Politik war?
Die Wahl war eben zum anderen auch eine Auseinandersetzung zwischen zwei Lebensläufen. Trzaskowski spricht Fremdsprachen, sein Vater ist ein bekannter Jazzmusiker, er umgibt sich gern mit Intellektuellen und Künstlern.
Und Nawrocki ist das komplette Gegenteil.
Nawrocki mischte bei den Fußball-Hooligans mit, war Boxer, kommt aus einer Arbeiterfamilie. Er hat sich aber hochgearbeitet. Er hat einen Doktortitel in Geschichte, leitete ein Museum und das Institut für nationales Gedenken. Auch wenn das vielleicht ein wenig weit hergeholt ist: Sein Lebenslauf erinnert ein wenig an US-Vizepräsident JD Vance. Auch wenn der unter noch schwierigeren Bedingungen aufwuchs. Das sprach offenbar viele Menschen an. Die Nawrocki angelasteten Affären und dubiosen Kontakte sahen sie als Schmutzkampagne oder Jugendsünden an.
Welche Rolle spielte die Unzufriedenheit mit der Regierung Donald Tusks bei der Wahl?
Die oppositionelle PiS hat es geschafft, diese Wahl zu einer Art Generalabstimmung über die Regierung Tusk zu machen. Dessen Koalition ist unbeliebt. Was sie zusammengebracht hat, war vor allem der Wunsch, die PiS abzulösen. Der Erfolg von Nawrocki war vor allem ein Votum gegen Tusk. Davon konnte sich Trzaskowski nicht lösen. Wie auch? Er ist stellvertretender Vorsitzender der Bürgerplattform, der Partei Tusks. Die Präsidentschaftswahlen und vor allem die Stichwahl waren insofern auch eine Art Stellvertreterkrieg: Wieder standen sich die beiden großen Lager der polnischen Politik gegenüber, die beiden verfeindeten Stämme, die seit vielen Jahren von Donald Tusk und seinem Widersacher Jarosław Kaczyński, dem Vorsitzenden der PiS, geführt werden. Das Duell Trzaskowski vs. Nawrocki war also eine Fortsetzung dieses Dauerclinches, wenn auch ohne die beiden Hauptfiguren. Die Auseinandersetzung – von der übrigens immer mehr Menschen in Polen genug haben – ging dieses Mal knapp zugunsten der PiS aus.
Wird Polen jetzt autoritärer regiert werden? Wie kann der neue Präsident Einfluss auf die Regierung nehmen?
Nawrocki kann selbst nicht autoritär regieren. Aber er kann als "Spielverderber" und Störer agieren. Er wird die Regierung in der Außen- und Europapolitik als nachgiebig darstellen – gegenüber der EU, gegenüber Deutschland, wenn nicht direkt als Handlanger Berlins. Es könnte sein, dass Nawrocki seine Kritik noch deutlicher als sein Vorgänger Andrzej Duda formuliert. Gegen Gesetze kann er ein Veto einlegen. Das kann man nur mit einer Dreifünftel-Mehrheit überstimmen. Eine so starke Mehrheit hat die Regierung Tusk aber nicht. Der Staatspräsident kann auch dem Verfassungsgericht Gesetze zur Überprüfung vorlegen.
Was die Regierungsarbeit verzögern würde.
Genau. Außerdem kann er bei der Personalpolitik mitmischen. Er muss beispielsweise die von der Regierung ernannten Botschafter bestätigen. Das hat schon Duda nicht gemacht. Daher sind viele Leitungspositionen in polnischen Auslandsvertretungen zwar besetzt, nominell aber nicht mit Botschaftern – so auch in Deutschland. Kompetenzen bei Ernennungen gibt es in anderen Bereiche wie bei hochrangigen Militärs und wichtige Gremien wie den Rechnungshof. Außerdem vertritt er Polen beispielsweise bei Nato-Gipfeln.
Wie sieht es mit der Außen- und Europapolitik aus?
Formell hat er auch hier wenig Befugnisse. Die Regierung macht die Außen- und Europapolitik. Aber Nawrocki wird natürlich den Kontakt zu ähnlich denkenden Staatspräsidenten und Regierungschefs in Europa suchen. Das kann Giorgia Meloni sein, vielleicht auch punktuell Viktor Orbán, obschon es mit diesem Differenzen in der Russlandpolitik gibt. Auch zu Donald Trump und dessen Umfeld hat Nawrocki einen guten Draht. Er ist als Präsident ohnedies der natürliche Ansprechpartner für den polnischen Präsidenten in den bilateralen Beziehungen beider Länder. Dass es einen guten Draht nach Washington gibt, zeigt sich, daran dass Donald Trump Nawrocki im Wahlkampf sogar einen Fototermin im Weißen Haus gewährte.
Was meinen Sie, was denkt Putin über Nawrockis Wahlsieg? Freut er sich?
Tendenziell ja. Moskau ist immer daran gelegen, dass wichtige EU-Staaten europapolitisch gespalten und intern polarisiert sind. Dass Polens neuer Präsident Deutschland- und europaskeptisch ist und sich von Tusk absetzt, wird Putin als positiv verbuchen. Das gilt auch für die Diskussionen über die Ukraine-Unterstützung.
Aber auch Nawrocki will die Ukraine unterstützen.
Das ja, außenpolitisch ist er eher auf Kurs von Meloni und nicht auf dem von Orbán. Nawrocki steht ja sogar auf einer Fahndungsliste Russlands, weil er sowjetische Ehrenmale abreißen ließ. Aber er könnte fordern, die Ukraine-Hilfe an Bedingungen zu knüpfen. Zwischen beiden Ländern gibt es durchaus Spannungen. Da geht es um die Aufarbeitung der Geschichte, etwa um Massenmorde ukrainischer Nationalisten an Polen während des Zweiten Weltkriegs. Ein Streitpunkt ist die Exhumierung und von Leichen aus Massengräbern. Es gibt aber auch aktuelle Probleme. Polnische Bauern kämpfen mit ukrainischen Getreideimporten, die Preise drückten. All diese Fragen sind aber auch von der polnischen Regierung schon aufgegriffen worden. Nawrocki wird hier aber darauf drängen, dass Polen seine Forderungen konsequent durchsetzt.
Die Nähe Nawrockis zu Trump - ist das vor allem ein Problem oder kann es auch eine Chance sein? Noch jemand in Europa, der sich gut mit dem US-Präsidenten versteht?
Nawrocki teilt den polnischen Konsens in der Sicherheits- und Russlandpolitik. Er strebt keine sicherheits- und geopolitische Neuausrichtung Polens an. So feindselig die beiden Lager in Polen sind: Geht es um Russland, ziehen beide im Grunde an einem Strang. Nawrocki will zwar keine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Aber grundsätzlich will er eine Stärkung der Ostflanke der Nato und eine Zurückdrängen Russlands. Er will, dass die Amerikaner in Europa bleiben. In diesem Sinne hilft es natürlich. Es ist besser, einen Kontakt mehr zu haben als einen weniger. Die Frage ist, ob er nennenswerten Einfluss auf Trump hat.
Mit Kai-Olaf Lang sprach Volker Petersen
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