In Europa waren Universitäten oft Ausgangspunkte des Widerstands. In den USA spielten sie eine wichtige Rolle bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg und der Liberalisierung der Gesellschaft. Und heute, in diesem entscheidenden Moment der US-Geschichte, wo sind da die Studierenden?

"Harvard hatte reichlich Gelegenheit, das Richtige zu tun", schrieb die US-Heimatschutzministerin Kristi Noem vergangene Woche auf X. Doch die Elite-Universität habe sich geweigert. Sie fördere Gewalt und Antisemitismus auf dem Campus und dürfe deshalb keine Studierenden aus dem Ausland mehr aufnehmen. Als "Warnung an alle Universitäten im ganzen Land" wollte Noem die Maßnahme verstanden wissen.

Die Warnung war längst angekommen. Schon vergangenes Jahr übte das Umfeld von Präsident Donald Trump Druck auf die Universitäten aus, erwirkte ein hartes Durchgreifen gegen Protestierende. Nach Trumps Amtsantritt fror dessen Regierung bundesweit Forschungsgelder ein, kürzte Mittel in Milliardenhöhe, verlangte weitgehende Strukturreformen.

Das alles lastet schwer auf den Universitäten. Studierende berichten von einer Atmosphäre der Angst, mehr als die Hälfte des Lehrpersonals gibt an, sich mit öffentlichen Äußerungen zurückzuhalten und führt das auf das politische Klima in den USA zurück. Warum wehren sich dagegen nur die Anwältinnen und Anwälte der Unis? Wo sind die Protestcamps, wo die Banner und Gesänge?

Konkreter Angriffspunkt fehlt

Dass Studierenden momentan nur sehr dosiert Widerspruch äußern, hat drei Gründe. Erstens wirkt Trumps Durchgreifen: Die drastischen Einzelmaßnahmen strahlen aus, erzeugen ein Klima der Ungewissheit, lassen Abwarten und Stillhalten als beste Option erscheinen. Zweitens hat das vergangene Jahr viel Kraft gekostet. Das sagen Studierende im Gespräch mit ntv.de, das ist bei den Protesten zu sehen, die noch stattfinden. Übrig geblieben ist dort die Rumpftruppe einer Bewegung, die nie Massen mobilisierte - auch, weil sie früh auf massiven Widerstand stieß.

Cohen nennt als dritten Grund für die Regungslosigkeit der Studierenden: "In der Regel haben Proteste ein konkretes Ziel vor Ort." So wie die Investments der Universitäten in Israel. Trump aber biete diese örtliche Dimension nicht, sagt Cohen. Studierende, die Trump etwas entgegensetzen wollten, würden ihre Energie am ehesten auf Wahlkampfaktivitäten richten, glaubt der Forscher: "Sie werden sich für Kandidaten einsetzen, die Trumps Handlanger bei den Kongresswahlen im kommenden Jahr besiegen können."

Eskaliert waren studentische Proteste Mitte April 2024 gegen die israelische Kriegsführung in Gaza. Die Demonstranten forderten von ihren Universitäten, deren finanzielle Verbindungen nach Israel zu kappen. Sie errichteten Camps und blockierten Gebäude. Je länger die Proteste dauerten, desto lauter wurden in der US-amerikanischen Öffentlichkeit Antisemitismusvorwürfe. Die Universitäten ließen Camps räumen, setzten eigene Studierende vor die Tür. Mehr als 3000 Festnahmen zählt die "New York Times". Anteilig seien das weit mehr als während der Vietnamkriegsproteste, sagt der New Yorker Protestforscher Robert Cohen im Gespräch mit ntv.de. Und dennoch kamen die Unis nicht aus der Defensive.

"Sie brauchten Trump nicht dazu"

Den "Stein ins Rollen" brachte laut Cohen die Trump-Vertraute Elise Stefanik, als sie die damalige Harvard-Präsidentin Claudine Gay und zwei ihrer Kolleginnen in einem Ausschuss befragte: Ob der Aufruf zum Völkermord an den Juden gegen die Regeln der Elite-Uni verstoße? Dreimal stellte Stefanik diese Frage, dreimal verzichtete Gay auf ein klares "Ja" als Antwort. Das Entsetzen war groß. Einen Monat später trat Gay zurück - auch wegen aufgekommener Plagiatsvorwürfe.

Laut Cohen wurden Unis danach erfolgreich zur Unterdrückung der Proteste gedrängt. Der Druck kam vom Kongress und Geldgebern, die Hochschulen reichten ihn an die Studierenden weiter. Die Bewegung sei so zerschlagen worden, bevor Trump überhaupt im Amt war. Trumps Anhänger spielten laut Cohen eine zentrale Rolle - "aber sie brauchten Trump nicht dazu".

Am Tag seines Amtsantritts verbot Trump Inklusionsprogramme, seine Regierung fror in der Folge Milliarden Fördergelder ein, kündigte Verträge auf, trieb die Abschiebung eines Studenten mit palästinensischen Wurzeln voran, untersagte Harvard, neue internationale Studierende aufzunehmen. Zuletzt stoppte sie die Vergabe von Visa.

Forscher: Trump duldet keinen Widerspruch

Harvards neuer Präsident Alan Garber sagte am Dienstag in einem Interview mit dem Sender NPR, die Trump-Regierung habe berechtigte Anliegen, ihre Lösungsansätze aber seien "verblüffend". Sie träfen nicht die Menschen, die die Regierung für die Verursacher der Probleme halte, so Graber. Forschungsgelder zu streichen etwa schade Harvard, aber eben auch den USA, weil diese Gelder wichtige Arbeit finanzierten: "Arbeit, die sie erledigt haben wollen". Ihm falle es schwer, hier einen Zusammenhang zu Antisemitismus herzustellen, sagte Harvards Präsident.

In einer wissenschaftlichen Befragung gaben im Januar mehr als drei Viertel des jüdischen Lehrpersonals an US-Unis an, die Maßnahmen gegen Antisemitismus seien effektiv. NYU-Professor Cohen sagt, Trump nutze die ohnehin ausgehöhlte Protestbewegung nun als Ausrede, um das Hochschulsystem als solches anzugreifen. Universitäten seien unter Republikanern traditionell ein beliebtes Feindbild.

Cohen hält die Angriffe für übertrieben, die Universitäten seien ohnehin nie besonders frei gewesen, "auf gewisse Weise waren sie schon vor Trump trumpifiziert", sagt der Forscher. Studierende hätten kaum Mitspracherechte, besonders an privaten Universitäten. Aber Trumps Regierung dulde eben keinen Ort, von dem Widerspruch kommen könnte - "egal ob es Anwaltskanzleien, Medien oder Universitäten sind".

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