Es ist eine alte Klage von CDU-Generalsekretär Linnemann: In Deutschland gibt es zu wenig Leistungsbereitschaft. Doch bei Miosga im Ersten rudert er nun zurück. Es gebe natürlich Millionen Menschen in Deutschland, die fleißig seien, sagt er. Woraufhin Miosga fragt: "Wer arbeitet denn jetzt zu wenig?"
In Deutschland boomt die Wirtschaft nicht gerade, die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sprechen von einem Null-Wachstum in diesem Jahr. Das soll aber nicht so bleiben, wenn es nach der neuen Bundesregierung geht. Bundeskanzler Merz will, dass wir alle mehr arbeiten. Wie der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann das sieht, möchte Caren Miosga am Sonntagabend in ihrer ARD-Talkshow herausfinden.
Christiane Benner, Vorsitzende der IG Metall und SPD-Mitglied, berichtet in der Sendung zunächst von der "ganz großen Wut bei unseren Beschäftigten". Sie erklärt: "Wir haben im Moment in Deutschland über eine Milliarde Überstunden, und davon die Hälfte unbezahlt. Daher ist es ein Hohn, zu unterstellen, dass die Menschen nicht bereit sind, mehr zu arbeiten." Im Moment gebe es wirtschaftliche Schwierigkeiten in den Unternehmen, und deswegen vereinbare man gerade zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten eine Senkung der Arbeitszeit. Anders könnten viele Unternehmen nicht überleben, da sie Auftragseinbrüche zu verzeichnen hätten.
Allerdings gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, nach denen in Deutschland tatsächlich weniger gearbeitet wird als in anderen Ländern. "Wenn wir uns die Zahl der Einwohner im erwerbstätigen Alter anschauen, arbeiten wir etwa 30 Prozent weniger als unsere polnischen Nachbarn", stellt Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, fest. Würde man in Deutschland so viel arbeiten wie in Polen, hätte Deutschland höhere Steuereinnahmen und könnte deutlich mehr in die Infrastruktur investieren, sagt der Wissenschaftler.
Linnemann will Rentner zum Arbeiten bewegen
Noch vor Kurzem sagte Linnemann, es gebe "gar keine" Leistungsbereitschaft in Deutschland. Doch so meint er das nicht, wird bei Miosga klar. Es gebe natürlich Millionen Menschen in Deutschland, die fleißig seien. "Aber wenn die dann sehen, dass es Zehntausende gibt in Deutschland, die das Sozialsystem ausnutzen, dann haben die das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht."
Was die Arbeitsbereitschaft angeht, sagt Linnemann: "Die Leistungsbereitschaft ist da." Die Menschen hätten nur das Gefühl, dass die Abgaben und Steuern so hoch seien, dass sich Arbeiten nicht mehr lohne.
"Wer arbeitet denn jetzt zu wenig?", will Miosga konkret wissen. Linnemanns Antwort: "Die Rentner zum Beispiel." Darum wolle die Bundesregierung jetzt eine Aktivrente einführen und allen Rentnern möglichst ab dem 1. Januar 2026 die ersten 2.000 Euro im Monat steuerfrei stellen, wenn sie arbeiten würden. "Es muss niemand arbeiten", sagt Linnemann, "aber wir setzen diesen Anreiz. Ob die dann 40 Stunden arbeiten oder 20, das weiß ich nicht. Aber meine Prognose ist, dass Zehntausende, vielleicht sogar eine sechsstellige Zahl, in den nächsten vier Jahren länger arbeiten. Das ist unser Ziel."
"Wir lösen damit das Problem nicht", sagt die IG-Metall-Chefin. Viele Menschen, die körperlich arbeiten, würden dies schon vor dem Renteneintrittsalter nicht mehr schaffen. Aber: "Wir haben eine Menge Frauen, die in Teilzeit sind. Die würden gerne mehr arbeiten. Da hat die Bundesregierung an der falschen Stelle angesetzt."
"Wir können ja beides machen", lenkt Linnemann sofort ein. Schließlich hat Christiane Benner einen Punkt. Tatsächlich arbeitet fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in einem Teilzeitjob, bei den Männern sind es 11,7 Prozent. Noch dramatischer ist der Vergleich zwischen Müttern und Vätern: 68,4 Prozent der Mütter arbeiten Teilzeit, aber nur 8,4 Prozent der Väter.
Schularick erklärt: Andere Länder hätten eine bessere frühkindliche Betreuung als Deutschland, deswegen arbeiteten dort viele Frauen schon sechs Monate nach der Geburt eines Kindes wieder. Gleichzeitig sorge das nur in Deutschland existierende Ehegattensplitting dafür, dass schlechter verdienende Ehepartner oft so hohe Steuern bezahlten, dass sich für sie Arbeit gar nicht mehr lohnen würde.
Das Ehegattensplitting, 1958 eingeführt, könnte man verändern. Die SPD wäre dafür. Linnemann spricht sich für ein "Familiensplitting" aus. So könnte man den Grundfreibetrag für Kinder und Erwachsene gleichstellen. "Ich möchte in einem Land leben, das Kinder unterstützt. Das machen wir viel zu wenig." Zunächst müsse jedoch der Koalitionsvertrag abgearbeitet werden.
Millionen ohne Ausbildung
Benner benennt noch ein anderes Problem: junge Menschen ohne Ausbildungsabschluss. Das sind drei Millionen der unter 35-Jährigen. "Wenn wir uns da zusammen besser bemühen, die in die Ausbildung reinzubekommen, dann habe ich auch wieder einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel."
Gleichzeitig verlangt Benner mehr Respekt vor den Menschen, die arbeiten. Sie könne die Diskussion um mangelnde Arbeitswilligkeit der Menschen nicht verstehen. "Wenn ich Beschäftigte beschimpfe, dann kriege ich keine Zuversicht, dann kriege ich Frust, und das spielt anderen in die Karten."
Linnemann: "Deswegen wollen wir eine Wochenarbeitszeit einführen, und wir wollen Flexibilität ohne Ausweitung der Arbeitszeit. Wir wollen Überstundenzuschläge steuerfrei stellen. Und wir wollen den Steuerfreibetrag für alle, die das gesetzliche Rentenalter erreicht haben. Das machen wir nicht, um Menschen zu bestrafen, nicht um sie zu diskreditieren, sondern damit sich Leistung in Deutschland wieder lohnt."
Damit die Wirtschaft wachsen kann, spricht sich Linnemann auch für eine große Unternehmenssteuerreform aus. Aber nicht sofort. "Jetzt geht es erstmal darum, dass die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt", so Linnemann.
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