Zwischen Union und SPD bahnt sich ein Streit über Frage an, ob Atomkraft als nachhaltige Technologie zu werten ist. Umweltminister Carsten Schneider (SPD) widersprach am Freitag Berichten, nach denen die Bundesregierung sich einig sei, in der Atomkraft auf EU-Ebene einen radikalen Kurswechsel zu vollziehen und die Technik in Gesetzen als nachhaltig einzustufen.

„Äußerungen von einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung, es gäbe hier eine neue Offenheit, sind Privatmeinungen“, sagte der SPD-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. „Eine Positionierung der Bundesregierung gibt es nicht und wird es mit der SPD auch künftig nicht geben.“

In einem Anfang des Monats veröffentlichten gemeinsamen Papier der Regierungen in Paris und Berlin heißt es, man werde einen deutsch-französischen Neustart in der Energiepolitik durchführen, „der auf Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität beruht“. Das bedeute etwa, die Gleichbehandlung auf EU-Ebene aller emissionsarmer Energien sicherzustellen. Auch Kernenergie, die in Frankreich eine wichtige Rolle spielt, gelte als emissionsarm.

EU-Taxonomie umfasst auch Atom- und Gaskraftwerke

In der sogenannten EU-Taxonomie sollten Technologien, die kein CO₂ ausstoßen, beziehungsweise CO₂-arm sind, bevorzugt werden, sagte Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) am Donnerstag bei einem Treffen mit EU-Amtskollegen in Brüssel. Jede eingesparte Tonne CO₂ sei gut. „Hier müssen wir technologieoffen sein“, sagte die CDU-Politikerin.

In der Taxonomie listet die Europäische Union Bereiche auf, in die investiert werden kann, um den Klimawandel zu bekämpfen. Auch bestimmte Investitionen in Gas- oder Atomkraftwerke werden dort als klimafreundlich eingestuft. Frankreich setzte sich vor allem für die Aufnahme der Atomkraft ein, Gaskraftwerke landeten auf Drängen Deutschlands auf der Liste.

Schneider betonte hingegen, Deutschland habe sich aus guten Gründen für ein Energiesystem ohne Atomkraft entschieden. „Die Atomkraft ist deutlich teurer als die erneuerbaren Alternativen, bei deren Ausbau Deutschland bereits weit vorangekommen ist und die auch wirtschaftlich ein erfolgreicher Standortfaktor sind. Atomkraft bringt unkalkulierbare Risiken mit sich – mit Blick auf Unfälle und die Verbreitung radioaktiven Materials. Ich kann eine solche Technologie nicht ernsthaft als nachhaltig bezeichnen.“

Reiche zeigte sich hingegen offen für eine Förderung der Forschung an sogenannten kleinen modularen Kernreaktoren (SMR) aus dem EU-Haushalt. Bislang sind sie in der EU nicht im Einsatz, Frankreich und Schweden forschen aber an der Entwicklung. Eine EU-Förderung dieser Reaktoren lehnt Schneider ab. „Das gilt auch für Versuche, Atomstrom mit nachhaltiger Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gleichzusetzen“, sagt er.

Deutschland hatte sich in den vergangenen Jahren mehrfach dagegen ausgesprochen, Atomkraft in EU-Gesetzen als grüne Technologie einzustufen und damit bei der Vergabe von Fördermitteln wie erneuerbare Energien zu behandeln. Diese Position konnte sich zuletzt aber nicht mehr durchsetzen. So wurde Deutschland in den Verhandlungen über eine Reform des europäischen Strommarktes überstimmt.

Grünen-Politiker: „Interessen der französischen Atomlobby“

Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Bloss kritisierte bereits vor Schneiders Widerspruch, die neue Bundesregierung gebe ihre Verhandlungsposition gegenüber Frankreich ohne Not und ohne Gegenleistung auf. „Damit werden die Interessen der Erneuerbaren Energien der französischen Atomlobby geopfert.“ Es dürfe kein naives Verscherbeln zentraler Interessen für die Energiewende und einen gerechten Wettbewerb geben, sagte er.

Eine Rückkehr zur Atomkraft in Deutschland hatte Schneider bereits ausgeschlossen. Zwei Jahre nach dem Atomausstieg plane die schwarz-rote Regierung keine Kehrtwende. Auf Belgiens Abkehr vom eigenen Atomausstieg reagierte sein Ministerium mit Skepsis.

NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) pochte nach der Entscheidung auf eine Beteiligung seines Landes. Für den vom belgischen Parlament beschlossenen Weiterbetrieb von vier Reaktorblöcken stehe nun eine Umweltverträglichkeitsprüfung an. Dabei werde er Sicherheitsinteressen seines Bundeslandes geltend machen.

Hinweis, 23. Mai: Wir haben den Artikel – zunächst unter dem Titel „Bundesregierung stuft Atomkraft künftig als nachhaltig ein“ erschienen – nach der Wortmeldung von Carsten Schneider aktualisiert und korrigiert.

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