Inhalt des Artikels:
- Warum stellt sich die Frage nach der Akzeptanz Ostdeutscher in Führungspositionen immer noch?
- Wie wichtig ist mehr ostdeutsche Präsenz an Unternehmensspitzen?
- Warum sind Ostdeutsche in den Spitzenpositionen unterrepräsentiert?
- Was könnte eine Ostquote bringen?
- Welche Bilanz ziehen Sie nach Ihrer Arbeit als Ostbeauftragter?
- Warum braucht es 35 Jahre nach der Einheit noch einen Ostbeauftragten oder eine Ostbeauftragte?
Warum stellt sich die Frage nach der Akzeptanz Ostdeutscher in Führungspositionen immer noch?
Carsten Schneider: Ich habe erstmal überhaupt Zahlen erheben lassen zu den Fragen: Wie viele Menschen mit ostdeutscher Biografie, also mit einem Geburtsort in Ostdeutschland, haben in Deutschland etwas zu sagen? Wie stark sind sie in den Medien, in Wirtschaft, Justiz und in der Politik repräsentiert?
Die Zahlen sind ernüchternd. Am durchlässigsten ist der Bereich Politik beim Anteil von Ostdeutschen, die dann auch Führungsfunktionen haben, das entspricht etwa dem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent. In der Wirtschaft sieht das schon anders aus. Da sind Frauen weniger stark in Spitzenpositionen vertreten, genauso wie Ostdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund. Auch in den Medien sind Ostdeutsche deutlich unterrepräsentiert, in unseren Untersuchungen haben wir etwa acht Prozent gezählt. Und beim Militär finden sich bei den obersten Führungsrängen fast keine Ostdeutsche. Das zeigt, die fehlende Repräsentation von Ostdeutschen wächst sich nicht von alleine aus. Im Gegenteil, wenn man nicht aktiv gegensteuert, dann ändert sich gar nichts. Deshalb geht es darum, Menschen mit ostdeutschem Hintergrund zu fördern, zu erkennen, gezielt anzusprechen und zu ermutigen, sich auch für Führungspositionen zu bewerben. Und für Leute aus dem Westen stellt sich der geringe Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen gar nicht als Problem dar, im Gegenteil, es fällt ihnen nicht einmal auf, weil sie es gar nicht anders kennen.
Für Leute aus dem Westen stellt sich der geringe Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen gar nicht als Problem dar, im Gegenteil, es fällt ihnen nicht einmal auf, weil sie es gar nicht anders kennen
Wie wichtig ist mehr ostdeutsche Präsenz an Unternehmensspitzen?
Diese Präsenz ist sehr wichtig. Denn aus Untersuchungen wissen wir, dass Teams mit verschiedenen Hintergründen zu besseren Ergebnissen kommen. Das gilt für Männer und Frauen, Naturwissenschaftler, Geisteswissenschaftler oder Menschen aus anderen Ländern. Dabei bringen Ostdeutsche eine besondere Erfahrung mit, egal ob die durch das Elternhaus geprägt wurde oder sie es selbst erlebt haben, wie ein komplettes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem scheitern kann. Die Friedliche Revolution und die Wiedervereinigung führten dabei einerseits zu mehr Freiheit. Auf der anderen Seite musste aber auch das eigene Leben komplett neu aufgebaut werden. Dabei gab es keine Sicherheiten, aber viele Chancen und große Gefahren wie Arbeitslosigkeit oder der Angst vor sozialem Abstieg. Der trat dann auch häufig ein. Das prägt unser Land bis heute. Da sind diejenigen klug, die diese Erfahrungen auch in ihrem Unternehmen, in der Chefredaktion der Zeitung, aber auch in der Politik abbilden, weil dann ein besseres Gesamturteil möglich ist.
Ich treffe ja auch viele Vorstände von großen Unternehmen und schaue mir vorher deren Biografien an. Da haben manche ein Interesse an Ostdeutschland, aber die meisten haben erst einmal Vorurteile. Die kennen sich wahrscheinlich in Madrid und Paris besser aus als in Rostock oder Eberswalde. Ostdeutsche bringen großen Pragmatismus mit, Aufstiegswillen und auch Veränderungsbereitschaft, wie man es sonst nicht so häufig findet. Deswegen nimmt sich die Gesellschaft etwas vom Potenzial, wenn sie die Ostdeutschen, egal ob jung oder alt, nicht mit einbindet.
Ostdeutsche bringen großen Pragmatismus mit, Aufstiegswillen und auch Veränderungsbereitschaft, wie man es sonst nicht so häufig findet.
Warum sind Ostdeutsche in den Spitzenpositionen unterrepräsentiert?
Es ist wie immer: Vitamin B ist wichtig. Führungspositionen werden ja nicht von heute auf morgen vergeben, sondern man wird herangeführt, herangezogen. Ein Vorstand guckt sich einen Bereichsleiter an oder jemand fällt auf, vielleicht der persönliche Referent. Dazu muss man aber zuerst diese Schwelle erklimmen und dort eingeladen sein. Das funktioniert meistens über Ähnlichkeiten. Wenn Sie in Bad Homburg aufgewachsen sind und dann vielleicht auch noch wie ihre Eltern Golf spielen und im richtigen Rotary Club sind, dann kennen sie eine Menge Leute. Dann kommt man so zum Beispiel einfacher an ein Praktikumsangebot oder eine Empfehlung für ein bestimmtes Unternehmen. Aber wenn man, wie ich aus dem Plattenbau aus Erfurt kommt und dann eine Bewerbung schreibt, ist der Ort vielleicht schon erstmal unbekannt. Und wenn dann auch die erste Fremdsprache noch Russisch ist, heißt es schnell: "So jemanden brauchen wir hier nicht."
Die Chance zu sehen, dass die andere Biografie auch etwas Bereicherndes sein kann, wird nicht ergriffen. Sondern die Leute rekrutieren sich immer nach Ähnlichkeiten, das zeigt die Elitenforschung. Da der westdeutsche Mann immer noch in großen Teilen der Entscheider ist, zieht er auch genau diese Leute wieder nach. Es ist nicht nur ein Problem für Ostdeutsche, sondern auch für Frauen, das jetzt angegangen wird und doch langsam besser wird. Aber für Ostdeutsche muss man noch hart darum kämpfen. Deswegen habe ich zum Beispiel auch die Personalvorstände aller DAX-Konzerne ins Kanzleramt eingeladen, um genau darüber zu sprechen und habe sie gefragt: Gibt es in Ihrem Unternehmen besondere Förderprogramme für Ostdeutsche? Die wussten über alles in ihrem Unternehmen Bescheid, doch diese Frage hatten sie sich noch nie gestellt. Das zeigt mir, da ist ein blinder Fleck.
Da der westdeutsche Mann immer noch in großen Teilen der Entscheider ist, zieht er auch genau diese Leute wieder nach.
Was könnte eine Ostquote bringen?
Ich glaube nicht, dass man das Problem mit einer Ostquote lösen kann. Es würde aus meiner Sicht zu fast unüberwindbaren Widerständen kommen, denn man hat dann auch gleich ein Stigma. Ich bin fest davon überzeugt, dass Ostdeutsche mindestens das Gleiche einzubringen haben, wie jene, die in München oder in Frankfurt am Main geboren sind. Ich setze darauf, was ich zum Thema gemacht habe und früher kaum Thema war: dass sich gemischtere Teams mit unterschiedlichen Herkünften mehr durchsetzen und dass deshalb Ostdeutsche auch gezielt angesprochen und gefördert werden.
Im Kern ist die Frage der Repräsentation eine soziale Frage: Wir haben in Ostdeutschland geringere Vermögen und geringere Einkommen. Wir haben auch nicht den gleichen Zugang in die Spitzen des Landes, weil ein großer Teil der Elite 1989 ausgetauscht wurde. Teils auch aus guten Gründen. Nach der Einheit wurde das auch nie gezielt gefördert. Als ich das Konzept für mehr Ostdeutsche in Führungspersonen im Kabinett vorgestellt habe und auch mit Unterstützung des Bundeskanzlers beschließen lassen habe, fragten Ministerinnen und Minister, ob das denn überhaupt noch ein Problem sei, weil es sich doch auswachsen würde. Es gab einfach kein Problembewusstsein dafür. Das haben wir jetzt für die gesamte Bundesregierung und den ganzen Bereich der Personalgewinnung geschärft. Es war ein harter Kampf. Aber jetzt läuft es und ich glaube, dass wir in zehn Jahren noch stärkere Ergebnisse sehen werden.
Welche Bilanz ziehen Sie nach Ihrer Arbeit als Ostbeauftragter?
Ich habe in den unterschiedlichsten Städten und Dörfern überall in Ostdeutschland viele kluge, engagierte Leute getroffen und versucht, sie auch zu stärken. Manchmal sind ganz kleine Probleme zu lösen, manchmal ganz große. Als es zum Beispiel darum ging, nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Energieversorgung für Ostdeutschland zu sichern und gleichzeitig Arbeitsplätze in den Raffinerien in Schwedt und Leuna zu erhalten. Die letzte Bundesregierung hatte zwar keinen guten Ruf in der Bevölkerung, aber von den wirtschaftspolitischen Entscheidungen hat Ostdeutschland stark profitiert. Angefangen vom Mindestlohn, bis hin über das Wasserstoffkernnetz, über die großen Ansiedlungen im Bereich der Mikroelektronik oder der Entscheidung in Halle das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation zu bauen.
Um die Situation in Ostdeutschland weiter zu verbessern, ist es nötig, neue Unternehmen aber auch große Behörden hier anzusiedeln, um der Region eine Perspektive zu geben und der Abwanderung etwas entgegenzusetzen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Auswirkungen von Corona und auch eine veränderte weltpolitische Stimmung haben auch zu Verschärfungen des gesellschaftlichen Klimas geführt. Deswegen ist meine Bilanz als Ostbeauftragter gemischt. Aber ich bin dankbar, dass ich das machen durfte und fühlte mich auch immer stark vom Kanzler und von den anderen Kollegen im Bundestag unterstützt.
Warum braucht es 35 Jahre nach der Einheit noch einen Ostbeauftragten oder eine Ostbeauftragte?
Das Amt ermöglicht eine bevorzugte Behandlung Ostdeutschlands bei allen Entscheidungen der Bundesregierung. Die ostdeutschen Ministerpräsidenten haben sich auch ganz klar dazu ausgesprochen, dass das beibehalten wird. Und es gibt noch viel zu tun: Wir haben immer noch ein geringeres Unternehmenskapital, wir haben geringere Löhne, wir brauchen neue Wachstumsdynamik in der Region. Deshalb werden wir in den nächsten Jahren als Bund in Ostdeutschland sehr viel neu investieren in Forschung, Entwicklung und in die Infrastruktur. Und das wird vom Finanzministerium aus gesteuert. Deswegen ist es jetzt klug, mit einer Staatsministerin im Finanzministerium vertreten zu sein, die den Finanzminister beraten wird und dann auch die Entscheidung für das Kabinett so vorbereitet, dass wir den Aufholprozess nochmal deutlich voranbringen können. Um auch die exzellente Lage, die ausreichende Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie, die großen Flächen, die wir haben, und die Anbindung nach Mittel- und Osteuropa noch viel stärker zu nutzen, als das in den vergangenen Jahren der Fall war.
Wichtig ist auch der Blick auf die Bevölkerungsentwicklung. Durch die Wegzüge in den 1990er-Jahren vor allem von jungen Frauen wurden und werden in Ostdeutschland immer weniger Kinder geboren. Sie fehlen an allen Ecken und Enden. Wir brauchen wieder Wanderungsbewegung aus dem Westen in den Osten. Wir brauchen ein Bild von Deutschland, das attraktiv ist, damit sich Menschen für Halle, Leipzig oder Borna interessieren. Man muss zeigen, dass es hier wunderschön ist, dass man Schulen, Kitas und eine super Infrastruktur hat. Das wissen ganz viele noch nicht, dementsprechend gilt es dort zu werben, aber dann für den Zuzug auch offen zu sein. Wir müssen ein Klima haben, in dem sich nicht nur Menschen aus anderen Ländern, sondern auch diejenigen aus Baden-Württemberg und Niedersachsen bei uns wohlfühlen und gerne zu uns kommen. Und ich hoffe, dass viele, die in den 1990er-Jahren gegangen sind, jetzt die Chance nutzen, wieder zurückzukehren und das, was sie gelernt haben, hier mit einbringen und die Gesellschaft damit reicher machen.
Wir brauchen ein Bild von Deutschland, das attraktiv ist, damit sich Menschen für Halle, Leipzig oder Borna interessieren.
MDR (cbr)
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