Transparente Gehälter sind in Deutschland noch immer die Seltenheit. Dabei ist der Wunsch nach mehr Transparenz weit verbreitet. Ein Freiburger Unternehmen zeigt, wie es gehen kann.
Ian Davidson ist seinem Arbeitgeber monatlich 6.750 Euro brutto wert - Mareike Kühnel nur 3.375 Euro. Was passiert mit Motivation und Leistung, wenn beide das voneinander wissen? Dieses Experiment hat der Freiburger Mobilfunkanbieter WeTell gewagt. Passend zum Firmennamen hat Gründerin Alma Spribille entschieden: Wir sagen es unseren Mitarbeitenden und legen die Gehälter offen.
Gehaltstransparenz ist ein Thema, das längst in die gesellschaftliche Debatte gehört, sagt Arbeitsmarktexpertin Jutta Rump von der Hochschule Ludwigshafen. Denn die Zeit drängt: Ab Juni 2026 greift eine neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie. Unabhängig von ihrer Größe sind Unternehmen dann dazu verpflichtet, Gehälter in Stellenanzeigen anzugeben und Beschäftigten offen zu legen, was sie im Vergleich zu Kolleginnen und Kollegen verdienen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zu Geldstrafen.
Offene Gehälter: WeTell wagt den Versuch
Das Mobilfunk-Start-Up WeTell, gegründet 2019 in Freiburg, hat sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Gerechtigkeit und Transparenz sind Werte, die Gründerin Alma Spribille immer schon angetrieben haben. Vor allem die oft noch immer ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen treibt sie um. Sie entschied sich deshalb zu einem radikalen Schritt: In einem Meeting mit dem gesamten Team werden alle Gehälter offengelegt. Nicht ohne die Zustimmung jedes einzelnen natürlich.
Trotzdem flossen beim Anblick der nüchternen Zahlen auch Tränen, erinnert sich Alma Spribille. Für Mitarbeiterin Mareike Kühnel war der Moment ein sehr emotionaler: "Es war schwer für mich das nicht persönlich zu nehmen. Ich habe mich in dem Moment nicht so wertgeschätzt gefühlt." Auch bei Führungskraft Ian Davidson habe der Schritt zunächst "ein bisschen ein komisches Bauchgefühl" ausgelöst. "Es war auf jeden Fall sehr überfordernd. Ich habe mehr verdient als Kolleginnen und habe mich dadurch schuldig gefühlt", erzählt Mitarbeiterin Rebecca Bär.
Für viele hängt das Gehalt unmittelbar mit dem eigenen Selbstwert zusammen - das Gehalt definiert den eigenen Wert für das Unternehmen in Zahlen und damit auch den generellen Wert. Dazu kommen Ungerechtigkeiten ans Licht. Manch Mitarbeiter muss feststellen, dass er weniger verdient als Personen im selben Aufgabenbereich mit weniger Arbeitserfahrung. Andere machen die gegenteilige Erfahrung und fühlen sich schuldig.
Verschwiegenheitskultur tief verankert
Eigentlich gilt in Deutschland seit 2017 das sogenannte Entgelttransparenzgesetz. Eingeführt mit dem Ziel: Gleicher Lohn für gleichwertige oder gleiche Arbeit. Die Hürden, davon Gebrauch zu machen, sind für Beschäftigte allerdings hoch. Noch immer scheint hierzulande der Glaubenssatz zu gelten: "Über Geld spricht man nicht".
Diese Verschwiegenheitskultur sei tief verankert, meint auch Arbeitsmarktexpertin Rump von der Hochschule Ludwigshafen. "Ich glaube, wir haben auch eine Neidkultur. Wir wollen Transparenz und auf der anderen Seite scheuen wir uns, doch darüber zu sprechen."
Nur wenige Unternehmen sind vorbereitet
Wie groß die Scheu ist, zeigt auch eine Auswertung des Jobportals StepStone. Demnach wissen derzeit nur 28 Prozent der deutschen Beschäftigten, was ihre Kolleginnen und Kollegen verdienen. Und etwa 40 Prozent der deutschen Unternehmen planen aktuell nicht, für mehr Gehaltstransparenz zu sorgen.
Zudem sind nur zehn Prozent der Unternehmen auf die neue EU-Regelung vorbereitet. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Befragung der Unternehmensberatung Mercer. Der Grund liegt für Expertin Rump auf der Hand: Die Umstellung ist mit Sorgen vor bürokratischem Aufwand, höheren Personalkosten und Konfliktpotential verbunden.
Mitarbeitende in Prozesse einbinden
Auch bei WeTell bringt der Schritt erstmal Spannungen mit sich. Ungerechtigkeiten werden sichtbar, eine Kluft zwischen Geschäftsführung und Belegschaft tut sich auf. Nur durch Offenheit und sehr viele Gespräche sei es gelungen, die Wogen zu glätten, erzählt Gründerin Spribille.
Der eigentliche Schlüssel zum Erfolg habe darin bestanden, gemeinsam mit den Mitarbeitenden ein neues Gehaltsmodell zu entwerfen. In mehreren Treffen haben alle zusammen ausgelotet, was fair wäre und der jeweiligen Leistung entspricht.
Neues Modell, dass auch den Arbeitsmarkt berücksichtigt
Die Herausforderung habe darin bestanden, herauszufinden, was auch praktikabel ist. Ein ITler beispielsweise verdiene auf dem freien Markt mehr, als jemand im Kundenservice, auch wenn beide gleichermaßen hohe Leistung zeigen. "Deswegen war ein zentrales Element zu verstehen, dass wir zwar innerhalb von WeTell gerecht sein müssen, es aber auch eine gewisse Form von Gerechtigkeit gegenüber dem Arbeitsmarkt geben muss, damit die Leute überhaupt zu uns kommen wollen", so Spribille.
Die Lösung: Vier Gehaltsstufen, gestaffelt nach Leistung und Verantwortung im Unternehmen. Dazu ein variabler Bonus: Wer auf dem Markt in seinem Jobprofil mehr verdienen würde, bekommt die Hälfte dieser Differenz zum Grundgehalt dazu. Gehaltsverhandlungen hinter verschlossenen Türen gibt es nicht mehr, Gehaltssprünge greifen für alle gleichzeitig. Knapp zwei Jahre ist die Umstellung her, die anfänglichen Spannungen haben sich aufgelöst. "Wir sind viel enger und ehrlicher zueinander. Geld spielt einfach keine Rolle mehr in unserem Arbeitsleben", sagt Mitarbeiterin Rebecca Bär heute.
Pionierarbeit kann zum Wettbewerbsvorteil werden
Expertin Rump machen Pioniere wie WeTell Hoffnung, dass der Schritt hin zu mehr Transparenz auch in anderen Unternehmen gut gelingen kann. An Ländern wie Schweden oder Norwegen, die hier schon weiter seien, lasse sich erkennen, dass sich der Arbeitsmarkt dadurch beruhige, weil Machtspiele unmöglich werden und Leistung sich wieder lohne.
"Wenn jemand dort sehr viel Geld verdient, dann schaut man auch genau hin, was ist die Leistung, die dahintersteht. Damit bringen Sie zwei Dinge zusammen: Das Thema der sozialen Gerechtigkeit und das der Leistungsgerechtigkeit", so die Expertin vom Institut für Beschäftigung und Employability.
Natürlich sei auch bei WeTell nur durch die Gehaltstransparenz nicht alles Friede Freude Eierkuchen, meint Alma Spribille. Und sie muss auch zugeben: In ihrem Fall hat das Modell gut funktioniert, weil die enge Beteiligung der Mitarbeitenden in einem Team von 27 Personen leichter umsetzbar sei, als in großen Unternehmen.
Für WeTell, sagt sie, hat sich der Schritt definitiv gelohnt. Die Zusammenarbeit sei deutlich entspannter, der Umgang miteinander respektvoller. Keiner der Mitarbeitenden hat das Unternehmen wegen der Umstellung verlassen. In Bewerbungsgesprächen geben mittlerweile viele Kandidaten an, dass die Gehaltstransparenz der Hauptgrund für ihr Interesse am Unternehmen ist.
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