Die Fronten sind verhärtet - Kritiker des Bürgergelds sind überzeugt, dass es vom Arbeiten abhält, Befürworter betonen die Existenzsicherung der Ärmsten unserer Gesellschaft. Ein Blick auf die Fakten.
Steigt mit der Höhe des Bürgergelds die Zahl der Arbeitslosen?
Grundsätzlich ja: Bei steigenden Regelsätzen wechseln weniger Menschen aus dem Bürgergeld in Arbeit, wie Arbeitsmarktexperte Enzo Weber erklärt. Die Effekte höherer Zahlungen auf die Arbeitsaufnahme spielen sich allerdings in überschaubarer Größenordnung ab, viel entscheidender ist ihm zufolge die wirtschaftliche Entwicklung. Weber leitet den Forschungsbereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Arbeitsagentur, lehrt an der Universität Regensburg empirische Wirtschaftsforschung und hat die Folgen der Einführung des Bürgergelds auf die Arbeitssuche untersucht.
Nach Angaben der Arbeitsagentur meldeten sich von September 2024 bis August 2025 monatlich im Schnitt 5,64 Prozent der Arbeitslosen aus der Arbeitslosigkeit ab, weil sie eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt oder eine Ausbildung begonnen hatten. Das war einer der niedrigsten Werte, seit der Indikator berechnet wird. Dabei ist der Wechsel aus dem Arbeitslosengeld zudem weit häufiger als der aus dem Bürgergeld.
In der Corona-Pandemie waren die Wechselchancen aus der Arbeitslosigkeit heraus auf ein ähnlich niedriges Niveau gesunken, im Anschluss normalisierte sich der Wert gewissermaßen. "Dann kam allerdings die Energiekrise und die Transformationskrise mit einem starken Einknicken der Industrie dazwischen", erklärt Weber ntv.de. Im Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine, danach wechselten wieder weniger Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung. Mitte 2022 wurden mit dem sogenannten Sanktionsmoratorium vorübergehend Leistungskürzungen für Arbeitslose ausgesetzt, Anfang 2023 dann das Bürgergeld eingeführt - anstelle von "Hartz IV".
Die ausgesetzten Sanktionen und die Bürgergeldreform seien nicht die Hauptursachen, warum weniger Menschen aus der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung wechselten, sagt Weber. "Das liegt vor allem an der schlechten wirtschaftlichen Lage", ergab seine Studie. Dabei untersuchte der Wissenschaftler die Folgen für die Arbeitsaufnahme auf Basis umfangreicher Verwaltungsdaten und eines Kontrollgruppenansatzes.
Auch der Wechsel aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Ausbildung in die Arbeitslosigkeit hat wieder zugenommen. Im Jahresdurchschnitt meldeten sich bis August monatlich 0,58 Prozent der zuvor sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeitslos. Der niedrigste Wert von 0,50 Prozent im Spätsommer 2022 wurde damit wieder deutlich überschritten. Im langjährigen Vergleich ist der aktuelle Wert allerdings weiter niedrig: "Vor der Corona-Pandemie hatte er niemals unter 0,6 Prozent gelegen", schreibt die Arbeitsagentur.
Kündigungen, um sich auf dem Bürgergeld "auszuruhen", statt erwerbstätig zu sein, sind dabei Weber zufolge nicht der Treiber von Arbeitslosigkeit. "Das gibt die Statistik nicht her." Der Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Einführung des Bürgergelds sei auf Entlassungen aufgrund der Rezession zurückzuführen. Die Betroffenen rutschten nicht ins Bürgergeld, sondern ins Arbeitslosengeld.
Hat die Bürgergeld-Reform wenigstens zu qualifizierteren Jobs geführt?
Die negativen Beschäftigungseffekte des Bürgergelds waren einkalkuliert: Die Reform des vorherigen Hartz-IV-Systems sollte Arbeitslose nachhaltiger in Arbeit vermitteln, also zwar teils weniger schnell, aber dafür auf Dauer. "Wir schaffen die Chance, dass Menschen nicht in Hilfstätigkeiten vermittelt werden müssen, sondern einen Berufsabschluss nachholen können, um dauerhaft in Arbeit zu sein", sagte der damalige Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD. "Das ist auch ein Beitrag zur Fachkräfte- und Arbeitskräftegewinnung."
Arbeitsmarktforscher Weber hält dieses Ziel, Arbeitslose stärker zu qualifizieren, weiterhin für richtig. Schließlich haben zwei Drittel der arbeitslosen Bürgergeldempfänger keinen Berufsabschluss, wie der Forscher im Deutschlandfunk-Interview betonte. Gelungen sei das bisher aber nicht - die Qualifizierung habe nicht zugenommen. "Die Budgets waren knapp. Es sind seit 2022 deutlich mehr Arbeitslose geworden, aber die Budgets haben real nicht zugelegt", erklärt Weber ntv.de. "Der Bürgergeldbonus, der Anreize für Qualifizierung bieten sollte, wurde aus Spargründen schnell wieder abgeschafft. Und in vielen Fällen kommt es auch auf eine individuelle Betreuung an, um die richtige Qualifizierung erfolgreich umzusetzen. Auch dafür waren die Möglichkeiten aber nicht besser geworden."
Wie kommen mehr Menschen aus dem Bürgergeld in Arbeit?
Neben einer besseren Qualifizierung und Beratung plädieren die IAB-Forscher dafür, die verschiedenen Sozialleistungen - etwa auch Wohngeld oder Kinderzuschlag - in der Grundsicherung zu bündeln. Sozialleistungen sind oft so gestaltet, dass ein höheres Erwerbseinkommen kaum zu mehr Nettogesamteinkommen führt - es sich also vermeintlich nicht lohnt, mehr zu arbeiten. "Wir schlagen vor, diese Leistungen in ein System zu integrieren, in dem Sozialleistungen dann gleichmäßig abgeschmolzen werden, aber auf eine Art und Weise, dass sich mehr Arbeiten immer lohnt. Wer 100 Euro mehr verdient, verliert zwar 70 Euro an Sozialleistungen, hat aber auf jeden Fall 30 Euro mehr zur Verfügung", erklärte Weber dem "Spiegel". Zudem sei in einem integrierten System eine durchgängige aktive Unterstützung möglich.
Nach Berechnungen des IAB würde ein solcher 30-prozentiger Selbstbehalt zu zusätzlicher Erwerbstätigkeit von umgerechnet einer sechsstelligen Zahl an Vollzeitstellen führen. Darüber hinaus fordert Weber eine klare wirtschaftspolitische Linie, auf deren Basis Unternehmen planen können, um wieder ein höheres Wirtschaftswachstum zu schaffen. Die Zahl der neu gemeldeten offenen Stellen sei dramatisch niedrig. Besonders Langzeitarbeitslose bräuchten diese, um sich darauf bewerben zu können. "Die Jobchancen von Arbeitslosen sind seit Jahren dramatisch gesunken. Das ist kritisch, weil sich Arbeitslosigkeit irgendwann verfestigt. Die Leute kommen da dann einfach nicht mehr raus. Der größte Teil davon geht auf das Konto des aktuellen Wirtschaftsabschwungs."
Wie könnte der Staat beim Bürgergeld sparen?
"Wenn der Staat Geld sparen möchte, muss man Menschen in Arbeit bringen", sagte Weber im Gespräch mit ntv.de. Denn dann sinken nicht nur die Sozialausgaben, sondern der Staat erhält zusätzliche Steuern und Abgaben. "Wenn 100.000 Arbeitslose in einem Jahr in die Erwerbstätigkeit kommen, bringt das dem Staat insgesamt drei Milliarden Euro an Einsparungen und neuen Einnahmen - dann erreichen wir relevante Dimensionen", rechnete Weber vor. Kanzler Friedrich Merz fordert, dass Arbeitsministerin Bärbel Bas beim Bürgergeld fünf Milliarden Euro einspart.
Was bringen Sanktionen?
Durch schärfere Sanktionen lässt sich deutlich weniger Geld sparen, denn es werden nur wenige Sanktionen ausgesprochen. Größer ist der Effekt laut Weber dadurch, dass Bürgergeldempfänger ihr Verhalten im Vorhinein anpassen, um Sanktionen zu vermeiden. Das Bürgergeld wird zum Beispiel gekürzt, wenn Termine nicht wahrgenommen oder zumutbare Jobs verweigert werden.
Auf der anderen Seite führten gerade starke Sanktionen auch dazu, "dass man Menschen in erstbeste Jobs drückt, aus denen sie vielleicht schnell wieder zurück sind, wo es wenig Perspektive gibt, wo die Löhne schlecht sind", sagte Weber im Deutschlandfunk. "Damit drückt man übrigens auch das Lohnniveau, das hat man nach den Hartz-Reformen gesehen." Daneben könne es passieren, "dass sich Menschen einfach gestraft fühlen, dadurch das Vertrauen verlieren, vielleicht in der Arbeitsvermittlung gar nicht mehr aufschlagen" - damit sei der Maximalverlust erlitten.
Das IAB fasst es so zusammen: "Forschungsergebnisse zeigen: Sanktionen wirken, sind aber kein Allheilmittel." Weber plädiert daher für einen umfassenden Ansatz: "Wir brauchen sowohl mehr Qualifizierung als auch mehr Verbindlichkeit, sowohl mehr Unterstützung als auch mehr Arbeitsanreize", sagte er dem "Spiegel". Die schwarze-rote Koalition sollte "wirklich alle Hebel in Bewegung" setzen.
Wie sinnvoll sind die geplanten Nullrunden?
Der Arbeitsmarktforscher schlägt zudem vor, die Anpassung der Regelsätze zu ändern. 2023 und 2024 gab es starke Bürgergeld-Erhöhungen von jeweils rund zwölf Prozent. "Das hat alle Lohnempfänger in dieser Zeit abgehangen und die Aufregung war groß", sagte Weber dem Deutschlandfunk. "Dann folgen 2025 und 2026 zwei Nullrunden, einfach um dieses zu starke Erhöhen wieder abzuschmelzen. Auch die Wut darüber ist wieder groß." Die Berechnung solle daher möglichst zeitnah an die jeweils aktuelle Inflation gekoppelt werden, aber kontinuierlich - "so dass es kein Hin und Her gibt". Die Kaufkraft der Bürgergeldempfänger müsse jedenfalls jederzeit erhalten bleiben, betont der Arbeitsmarktexperte. "Denn es geht hier um das Existenzminimum."
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