Einst wurde Aldi in den USA wegen seiner spartanischen Filialen und der 25-Cent-Münze für den Einkaufswagen belächelt. Heute rennen die Leute dem Discounter die Türen ein: Aldi ist einer der am schnellsten wachsenden Einzelhändler des Landes. Das wirft Fragen für den Heimatmarkt auf.
Während Aldi in Deutschland preislich und optisch kaum noch von einem klassischen Supermarkt zu unterscheiden ist, feiert der Discounter in den USA als Billiganbieter wie in seinen Anfangszeiten einen überraschenden Erfolg. Mit günstigen Eigenmarken, schlanken Prozessen und einem minimalistischen Einkaufserlebnis trifft Aldi offenbar den Nerv der Zeit.
Früher wurde der US-Ableger von Aldi Süd in den USA für seine spartanischen Filialen und die 25-Cent-Münze für den Einkaufswagen belächelt. Heute ist Aldi mit rund 100 neuen Filialen pro Jahr einer der am schnellsten wachsenden Einzelhändler des Landes, wie aus dem "Grocery Report 2024" des Immobiliendienstleisters JLL hervorgeht. Im März kündigte der Discounter an, die Expansion noch schneller vorantreiben zu wollen. Das Ziel ist es, bis Ende 2025 mit 2600 Filialen zur drittgrößten Supermarktkette der USA aufzusteigen – hinter Walmart und Kroger. Aktuell gibt es 2400 Aldi-Filialen. Weitere 600 Geschäfte stellte Amerika-Chef Jason Hart für die kommenden fünf Jahre in Aussicht. Hinzu kommen sogar noch Filialen von Aldi Nord, die in den USA aber nicht unter dem Namen Aldi firmieren. Aldi Nord betreibt seit 1979 die Kette Trader Joe's.
Für den deutschen Markt wirft das Fragen auf. Denn in den USA setzt Aldi auf Tugenden, die den Discounter einst in Deutschland groß gemacht haben: niedrige Preise, ein übersichtliches Sortiment und effiziente Abläufe. Rund 90 Prozent der Produkte sind Eigenmarken, die qualitativ mit Markenprodukten mithalten können, aber deutlich günstiger sind. Ein Beispiel: Während eine Packung "Fruit Rounds"-Frühstücksflocken bei Aldi 1,68 Dollar kostet, schlägt das Markenprodukt "Froot Loops" mit 4,48 Dollar zu Buche.
"Können die Filialen nicht schnell genug öffnen"
Die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den USA kommen Aldi zugute. Die Lebensmittelpreise sind in den vergangenen vier Jahren um gut 20 Prozent gestiegen. Zölle auf importierte Waren wie Obst, Gemüse und Reis treiben die Kosten zusätzlich in die Höhe. Während traditionelle Supermärkte diese Kosten oft direkt an die Verbraucher weitergeben, gelingt es Aldi die Preise stabil zu halten oder sogar zu senken. So reduzierte der Discounter im Sommer 2023 die Preise für ein Viertel seines Sortiments. Dabei dürfte auch die Marktmacht des Lebensmittelriesen gegenüber den Herstellern eine Rolle spielen.
"Nach Jahren der Inflation ist das Geld der Amerikaner knapp", zitiert die "New York Times" den Chef von Aldi in den USA, Dave Rinaldo. "Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Nachfrage so groß ist, dass wir die Filialen buchstäblich nicht schnell genug öffnen können." Mit der Konzentration auf Eigenmarken ist Aldi bestens auf diese Entwicklung vorbereitet. Kunden müssen ihre Einkäufe selbst einpacken und die Waren werden oft direkt in den Kartons der Großhandelslieferungen präsentiert. Diese einfachen Maßnahmen sparen Kosten.
Auch die Filialen selbst tragen zum Erfolg bei. Mit einer Fläche von durchschnittlich 20.000 Quadratmetern sind sie deutlich kleiner als die oft riesigen US-Supermärkte. Das spart ebenfalls Kosten und macht den Einkauf für die Kunden gleichzeitig übersichtlicher. Anstelle eines überwältigenden Sortiments von bis zu 30.000 Artikeln, wie es in einem typischen amerikanischen Supermarkt zu finden ist, bietet Aldi laut "Economist" eine kompakte Auswahl von durchschnittlich 1600 Produkten.
Lidl bleibt hinter Aldi zurück
Dass die Grundidee der deutschen Brüder Theo und Karl Albrecht, die in den 1950er Jahren mit Aldi den ersten Lebensmitteldiscounter der Welt überhaupt gründeten, immer noch ein Erfolgsmodell ist, zeigen auch die kontinuierlich steigenden Kundenzahlen in den USA. Laut einer Analyse von PlacerAI verzeichnete Aldi im ersten Halbjahr sieben Prozent mehr Kunden als im Jahr zuvor, während klassische Supermärkte nur 1,8 Prozent mehr zählten.
Erobert der deutsche Discounter mit seinem Konzept die amerikanische Lebensmittelmarktlandschaft, wie das "Wall Street Journal" kürzlich titelte? "Aldi ist seit den 1970er-Jahren im US-Markt aktiv und damit kein 'Strohfeuer' mehr, sondern ein ernstzunehmender Player", sagt der Experte für Lebensmittelhandel Carsten Kortum ntv.de. Das Besondere sei, dass er "im Kern ein klar definiertes, radikal einfaches Discountmodell entwickelt hat – und dieses dann je nach Marktbedingungen erstaunlich flexibel an die Bedingungen in den jeweiligen Ländern anpasst".
Während Aldi in den USA durchstartet, kämpft der zweite große deutsche Discounter mit Herausforderungen. "Mit nur etwas mehr als 190 Filialen ist Lidl deutlich kleiner als Aldi. Lidl tut sich schwerer, die Expansion verlief zögerlicher und einige Standorte wurden sogar wieder aufgegeben", sagt Kortum, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Lebensmittelhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.
Die Botschaft, dass US-Verbraucher eine klare Discount-Alternative zum klassischen Supermarkt wollen, ist zwar angekommen. In New York wirbt Lidl mit den "Lidl-est prices", einem Wortspiel mit der Marke und dem englischen Wort für die kleinsten Preise. Dennoch bleibt das Unternehmen, das sich zwischen Discounter und Supermarkt positioniert, für den Experten ein "großes Experiment mit unklarem Ausgang". Gelingt der Turnaround nicht, ist seiner Ansicht nach sogar ein Exit aus dem US-Markt möglich.
Discount ist nicht alles - "hybride Formate" sind die Zukunft
Der Erfolg von Aldi in den USA sei auch die Folge eines Lernprozesses, wie Kortum betont. Beide Ketten hätten in den USA lernen müssen, "dass der reine deutsche Discountansatz dort nicht automatisch funktioniert". Aldi habe in den vergangenen Jahren auch in die Verbesserung des Erscheinungsbilds seiner Filialen und die Lebensmittelqualität investiert, mit "mehr Frische, mehr Marken und mehr Convenience", also verarbeiteten Lebensmitteln, die Zeit bei der Zubereitung sparen. Auch das Design der Läden sei heute amerikanischer.
Eine Rückkehr zum puristischen Discounter der 1970er Jahre hält Kortum auch deshalb für Deutschland für unwahrscheinlich. Das Rad lasse sich nicht zurückdrehen, so der Experte. Über die Jahre hätten Kunden hierzulande gelernt, auch von Discountern Qualität, Bio-Produkte, Regionalität und Markenvielfalt zu erwarten. Der deutsche Markt sei extrem gesättigt, der Wettbewerb intensiv und die Marktanteile seien relativ fix. Aldi und Lidl mussten reagieren: mit mehr Frischetheken (ohne Bedienung), größeren Märkten, Eigenmarken mit Premium-Anspruch, neuen Convenience-Sortimenten und moderneren Ladenkonzepten.
Denkbar sind in Deutschland aus Sicht des Experten in Zukunft jedoch "hybride Formate": "Aldi und Lidl könnten parallel zu ihren modernisierten Filialen kleinere, stark preisorientierte Formate fahren – etwa für sehr preissensible Zielgruppen oder in wirtschaftlich schwächeren Regionen." In gewisser Weise sei das schon in Testformaten der Discounter sichtbar: So teste Lidl Non-Food-Sonderformate und Aldi Süd experimentiere mit City-Filialen. Die Entwicklung Richtung "Supermarkt mit Discount-DNA" sei irreversibel. "Aber punktuelle Rückbesinnungen auf den harten Preis-Discount sind möglich, gerade wenn die Konjunktur weiter schwächelt oder bestimmte Kundengruppen wieder stärker auf den Cent achten."
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