Einigt sich Wladimir Putin in Alaska nicht mit Donald Trump, kann er den Ukraine-Krieg beruhigt fortsetzen. Moskau hat einen unschlagbaren Wettbewerbsvorteil: Zehntausende Russen stürzen sich weiter bereitwillig in den Tod. Als Kanonenfutter sind sie mehr wert als lebendig.

Als Michail sich im vergangenen Sommer entschloss in den Krieg zu ziehen, hatte er dafür eigentlich wenige gute Gründe. Seine Frau Xenia arbeitete in einem Schönheitssalon, er hatte einen guten Job als Lagerist in einem Warenhaus. Gemeinsam lebten sie ein russisches Mittelklasseleben, mit einem Hund und zwei Katzen, in einem Apartment in der Millionenmetropole Sankt Petersburg. Doch als der 27-jährige eines Tages mit dem Bus zur Arbeit fuhr, erspähte er auf einem großen Werbeplakat der russischen Armee ein Argument, das ihn überzeugte.

Ob er die Arbeit echter Männer verrichten wolle, hieß es darauf. Die Anwerbeprämie lag bei 2 Millionen Rubel, mehr als 20.000 Euro, und damit mehr als 20 Mal so hoch wie sein Monatsgehalt. Michail hatte Schulden, und obwohl ihn Xenia bekniete, nicht zu gehen, unterschrieb er. Er dachte, er dürfte in den hinteren Linien dienen und sei in drei Monaten wieder zu Hause, hat Michail dem "Wall Street Journal" (WSJ) erzählt. Nun sitzt er in einem ukrainischen Kriegsgefangenenlager und bereut: "Wenn ich könnte, würde ich das Geld zurückgeben". Beim Angriff auf ein zerschossenes Industriegebiet in Wowtschansk fielen fast alle der etwa 100 Männer in seiner Einheit. Michail kam gerade so mit dem Leben davon.

So wie ihm geht es zehntausenden russischen Soldaten. Viele von Ihnen schließen sich auch mehr als drei Jahre nach Wladimir Putins Überfall dem Krieg gegen die Ukraine immer noch freiwillig an. Mindestens 50.000 unterschreiben laut Putin selbst jeden Monat einen Vertrag mit der Armee. Auch westliche Quellen gehen von mindestens 30.000 monatlich aus. Dabei ist es selbst im Reich der Putin-Propaganda kein großes Geheimnis mehr, was sie erwartet.

Rund eine Million russische Soldaten sind laut westlichen Schätzungen bislang verwundet oder getötet worden. Ihre eigenen Kommandeure behandeln sie wie Wegwerfsoldaten, als entbehrliche Ressource, die in Putins erbarmungslosem Abnutzungskrieg genauso kaltblütig verbraucht wird wie Patronen, Granaten und Panzer. In menschenverachtenden Wellenangriffen werden sie für ein paar Meter Geländegewinn brutal verheizt. Viele werden von Drohnen zerfetzt, noch bevor sie überhaupt einen Schuss abgeben können. Und wenn sie sich weigern vorzurücken, werden sie von den eigenen Kameraden misshandelt, gefoltert oder hingerichtet.

"Es war ihnen egal, ob wir leben oder sterben", sagt Michail dem "WSJ" über seine Befehlshaber. Warum wollen Männer wie er trotzdem weiter Kanonenfutter des Kremls sein? Warum ist es für sie ein erstrebenswertes Ziel, im Fleischwolf von Bachmut, Awdijiwka oder Pokrowsk zu enden? Die erschreckende Antwort sagt viel über das heutige Russland aus. In Putins perfider Ökonomie des Todes lohnt es sich für viele Männer eher zu sterben, als zu leben. Ökonomisch gesehen ist das ein unschlagbarer Wettbewerbsvorteil im Kampf mit dem Westen. Auch er erklärt, warum Putin keinen Frieden schließt.

Millionen Todeswillige füllen Putins Reihen

"Die Haltung gegenüber der eigenen Bevölkerung als Verbrauchsmaterial zog sich durch die gesamte Geschichte Russlands", konstatiert der russische Philosoph Nikolai Karpizki auf dekoder.org. Schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg warfen der Zar und Generalissismus Josef Stalin ihre Truppen in brutalen Massenangriffen hastig an die Front. In der russischen Armee werden neue Rekruten immer noch von Altgedienten geschlagen, schikaniert und gequält - das Regiment der Dedowtschina, ein Relikt aus Sowjetzeiten. Und in der russischen Gesellschaft herrscht eine Macho-Kultur und in vielen Regionen eine Perspektivlosigkeit, die eine "gesellschaftliche Akzeptanz für sinnlosen Tod" befördere, schreibt Karpizki.

"Keine oder nur mies bezahlte Arbeit, zu Hause ständig Streit und Sorgen, und für die Gesellschaft ein Niemand" - in einer solch "nekrophilen" Gesellschaft verblasse der Selbsterhaltungstrieb, "der Tod wird nicht mehr als Übel wahrgenommen. In Russland gibt es Millionen solcher Menschen. Daher wird der Zustrom von Freiwilligen nicht enden."

Putins Prämien fallen bei ihnen auf fruchtbaren Boden. Die Rekrutierungsbüros in Moskau werben heute offiziell mit Militärvertragsdienst ab 5,2 Millionen Rubel "garantiertem Einkommen" im ersten Jahr - rund 55.000 Euro, etwa das 55-Fache des offiziellen russischen Durchschnittsgehalts. Allein die Anwerbeprämie beträgt inzwischen umgerechnet rund 25.000 Euro. Dazu kommen noch Kitaplätze und mehr als 200 Euro monatliches Taschengeld für jedes Kind, kostenlose Berufsausbildung für den Ehepartner und Unterstützung bei der Pflege der Eltern. Sogar die Tickets nach Moskau werden bezahlt.

"Leben darauf reduziert, dass dich eine Kugel trifft"

Und falls sie fallen, geht der Geldregen weiter. Mehrere zehntausend Euro bekommen Angehörige, wenn ihr Vater oder Ehemann getötet wird. "Sarggeld" nennt der russische Volksmund die Hinterbliebenenprämien längst. Für manche russische Frauen ist es inzwischen ein Geschäftsmodell, einen Soldaten kennenzulernen, auf seinen Tod zu warten und die Entschädigung vom Staat zu kassieren.

Die hohen Zahlungen verzerren inzwischen sogar die Immobilienmärkte in kleinen Städten. Denn mit dem Krieg fließt in rückständige Regionen wie Tuwa oder Burjatien in Sibirien zum ersten Mal richtig Geld. Der russische Ökonom Wladislaw Inosemzew hat errechnet, dass die Familie eines 35-jährigen, der ein Jahr in der Ukraine kämpft und stirbt, mit umgerechnet 150.000 Euro rechnen kann - mehr als er als Zivilist in 60 Arbeitsjahren in Russland mancherorts verdient.

Ökonomisch sei das "profitabler als sein weiteres Leben", zitiert das "WSJ" Inosemzew. "Dein ganzes Leben ist nur darauf reduziert, dass dich eine Kugel trifft", sagt auch der Sohn eines gefallenen Kreml-Soldaten in einer kürzlich erschienenen Arte-Doku.

Putins Ökonomie belohnt den Tod

Putins Ökonomie des Todes funktioniert nur mit geringem Wachstum, Armut und Rechtlosigkeit. Ein Land, in dem ganze Regionen im Krieg die einzige Chance auf wirtschaftlichen Aufstieg sehen. "Manche Menschen leben kaum, und wenn sie sterben, durch Wodka oder was auch immer, ist nicht klar warum", belehrte Putin im November 2022 die Mutter einen gefallenen Soldaten. "Aber ihr Sohn hat gelebt, verstehen Sie? Er hat sein Ziel erreicht."

Die brutale Logik hat eine perverse Konsequenz: dass russisches Leben so entbehrlich ist, verschafft Moskau einen unschlagbaren Wettbewerbsvorteil bei der Produktion von Soldaten - und treibt Putins Militärmaschine an. Sie brummt schlicht, weil ihr wichtigster Rohstoff spottbillig ist. Abgesehen von Öl und Gas wird Russland damit auf lange Sicht nur ein einziges wirkliches Exportprodukt haben: Krieg.

Der Oxford-Ökonom Paul Collier hat die strukturellen Faktoren solcher Todesökonomien in seinem Buch "Die unterste Milliarde" statistisch dokumentiert: Halbiert sich die Wirtschaftsleistung eines Landes, verdoppelt sich das Kriegsrisiko. "Wenn die Realität des täglichen Lebens ohnehin trostlos ist, muss die Aussicht auf Erfolg nicht besonders groß sein, um verlockend zu wirken", schreibt Collier über die wirtschaftliche Rekrutierungslogik. "Selbst die geringe Chance auf ein gutes Leben“ im Krieg sei „trotz der hohen Gefahr des Todes" das Risiko wert. "Weil die Aussicht auf den Tod kaum schlimmer erscheint als die Aussicht auf ein Leben in Armut." Solange sich das in Putins Reich nicht ändert, wird Russland in der Kriegsfalle gefangen bleiben. Und ganz Europa mit ihm.

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