«Gschämig» ist ein berndeutsches Wort, das Grossmutter noch aktiv benutzte – lange hab ichs vergessen, hier kommt es mir in den Sinn: Der Fall der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf und wie sie in einer hässlichen Melange aus Anfeindungen, Lügen und Verbohrtheit demontiert wurde, ist erst einmal «gschämig» – also beschämend.
Es gelang radikal rechten Kreisen, die Staatsrechtlerin erst in den sozialen Medien, dann auch öffentlich im Bundestag zur Extremistin zu stempeln: Mit Falschinformationen und Lügen wurde die Juristin politisch fertiggemacht – mit Hass und Hetze privat bedroht.
Dabei teilt eine grosse Mehrheit in Deutschland Brosius-Gersdorfs liberale Haltung zur Abtreibung, die zur Diskussion stand – das ist in Umfragen mehrfach belegt. Auch ein nachweislich falscher Plagiatsvorwurf schaffte es, zum Argument gegen die Kandidatin zu werden.
Alles widerlegt und doch waren Mitglieder der Unionsfraktion nicht mehr bereit, auch nur über die SPD-Kandidatin zu sprechen.
Spahns Fraktion wird zum Unsicherheitsfaktor
Ja, die Juristin löst mit ihrem Rückzug einen Knoten zwischen SPD und Union. Das ermöglicht die heillos verfahrene Situation mit einer neuen Kandidatur zu überwinden.
Gerettet ist damit diese Regierung nicht – dass sie sich so sehr treiben lässt von aussen, dass sie sich so leicht spalten lässt, zeigt, wie schwach sie ist.
Ein besonders schlechtes Bild gibt der Fraktionschef von CDU/CSU, Jens Spahn, ab: Erst war seine Fraktion für Brosius-Gersdorf, dann plötzlich nicht mehr – Spahn, der seine Leute zusammenhalten müsste, fehlte also entweder die Antennen oder die Autorität.
Seine Fraktion wird zum Unsicherheitsfaktor in dieser Regierung, anderseits dürften sich wohl einige in der SPD fragen, wie sie das Trauerspiel um Brosius-Gersdorf quittieren sollen: Etwa bei einem nächsten Geschäft? Dabei ist doch diese Regierung auf Gedeih und Verderb auf den politischen Kompromiss angewiesen.
Gegen Unwahrheit ist offenbar kein Kraut gewachsen
Dass eine normalerweise geräuschlos verlaufende Neubesetzung des Bundesverfassungsgerichts durch eine rechte Lügenkampagne zur Regierungskrise wurde, könnte schliesslich auch dem höchsten Gericht langfristig schaden. Es geniesst stets höchste Glaubwürdigkeit und wurde nun für billige Polemik verpolitisiert.
Was diese zentrale Institution der Demokratie langfristig davonträgt, ist offen. Aber die radikale Rechte sieht: Man kann potenzielle Juristinnen fürs Bundesverfassungsgericht politisch zu Fall bringen und den ganzen politischen Betrieb auf den Kopf stellen – und das erschreckend leicht.
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