Die israelische Armee will eigenen Angaben zufolge die Offensive im Gazastreifen weiter ausdehnen – für die dortigen Menschen ein weiteres Desaster: Seit Monaten sind sie auf der Flucht, es fehlt an Nahrung und Wasser. Die aktuelle Lage kennt Stephen Cornish von Ärzte ohne Grenzen.

SRF News: Wie ist die aktuelle Versorgungslage für die Menschen im Gazastreifen?

Stephen Cornish: Es ist eine absolute Hölle auf Erden. Die Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag. Es herrscht grosse Wasserknappheit, jeden Tag sehen wir in unseren Kliniken viele Fälle von hungernden Kindern und Erwachsenen sowie sich erholende Patienten, die Schlange stehen, um Nahrungsmittelhilfe zu erhalten.

Niemand sollte mit seinem Leben bezahlen müssen, weil er für Brot ansteht.

Und immer wieder werden Menschen von der israelischen Armee erschossen, während sie versuchen, Nahrung zu erhalten. Doch niemand sollte mit seinem Leben bezahlen müssen, um Brot für seine Familie zu bekommen.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie das sehen?

In gewisser Weise können wir wenigstens etwas tun. Doch wir sind auch verzweifelt. Viele Regierungen sagen, dass diese Situation ein Ende haben muss. Aber wir hören nur Worte von ihnen und sehen keine Taten. Und angesichts der andauernden Gewalt gegen die Zivilbevölkerung liegt es in der Verantwortung aller internationalen Regierungen, alles zu tun, was sie können, um sie zu beenden. Wir brauchen ein Ende der Blockade.

Wir brauchen einen vollständigen, ungehinderten Zugang für humanitäre Akteure in Gaza.

Israel kann das tun, indem es die Grenzen öffnet. Wir wissen, dass unsere Freunde bei der UNO 6000 Lastwagen haben, die auf die Einreise nach Gaza warten. Wir brauchen humanitäre Korridore und den Schutz der Zivilbevölkerung. Wir brauchen ein Ende der Bombardierung von Spitälern, der Erschiessung von Zivilisten und einen vollständigen, ungehinderten Zugang für humanitäre Akteure in Gaza.

Legende: Seit einigen Tagen gelangen wieder einzelne Trucks mit Hilfsgütern in den Gazastreifen. Doch laut den humanitären Organisationen viel zu wenige. Reuters / Hatem Khaled

Wie viel Zeit bleibt, um die ganz grosse Katastrophe noch zu verhindern?

Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun. Wir brauchen aber nicht nur Mehl und andere ähnliche Lebensmittel. Wir müssen in der Lage sein, beispielsweise auch Flüssignahrung abzugeben. Denn viele Menschen, die bereits hungern, können keine feste Nahrung mehr verdauen. Sie brauchen eine medizinische Behandlung, um zu überleben und wieder gesund zu werden. Im Moment ist noch Zeit, das zu tun.

Können die Helfer derzeit im Gazastreifen noch versorgt werden?

Unser Personal erhält derzeit noch eine Mahlzeit pro Tag. Immer wieder kommt es vor, dass Pfleger, Krankenschwestern oder Ärzte auf den Stationen ohnmächtig werden. Die Patientinnen wiederum brauchen Bluttransfusionen, doch es gibt nicht genug Blut. Wir mussten also unser Personal und die Mitglieder der medizinischen Gemeinschaft Blut spenden lassen – und dabei sind sie selber unterernährt. Es ist absolut entsetzlich, dass das in der heutigen Zeit, in der dies alles in die ganze Welt übertragen wird, passiert.

Es braucht viel mehr Druck auf die israelische Regierung, damit sie das alles stoppt.

Und jetzt plant die israelische Regierung offenbar einen noch umfassenderen Angriff. Dabei gibt es schon jetzt keinen sicheren Ort mehr im Gazastreifen. Es wäre Aufgabe der israelischen Armee, dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung aus dem militärischen Konflikt herausgehalten wird. Stattdessen greift sie medizinische Einrichtungen, Wasserstellen und Flüchtlingslager an. Wir sind absolut am Ende unserer Weisheit. Es muss viel mehr Druck auf die Regierungen und die UNO ausgeübt werden, damit diese wiederum die israelische Regierung dazu bringen, dies alles zu stoppen.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

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