Nach Angaben des UNO-Menschenrechtsbüros sind im Gazastreifen bereits mehr als 1000 Menschen umgekommen, als sie versuchten, an Lebensmittel zu kommen. 766 seien nahe den umstrittenen Verteilzentren der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) getötet worden, andere in der Nähe von Hilfskonvois, die oft von Verzweifelten gestürmt werden, sagte Sprecher Thameen Al-Kheetan. Marie-Elisabeth Ingres arbeitet bei Ärzte ohne Grenzen und ist vor Kurzem aus dem Gazastreifen zurückgekehrt.
SRF News: Was können Sie über die Zustände bei den GHF-Verteilzentren sagen?
Marie-Elisabeth Ingres: Diese Zonen sind so gross wie Fussballfelder, und ziemlich weit weg. Das heisst, Frauen, Kinder und Kranke kommen nicht hin. Das System ist völlig ungerecht und nicht für die Verletzlichsten gemacht. Schlussendlich kommen eigentliche Meuten an; die Essensverteilung selbst dauert nur etwa 10-15 Minuten. An diesen Verteilungen kommt es regelmässig zu Schüssen. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob die Schüsse von der israelischen Armee stammen oder der GHF. Im Endeffekt aber kriegen wir in unseren Spitälern die Verletzten solcher Aktionen. Die Schussverletzungen der Eingelieferten sind schwerwiegend. Dadurch, dass die meisten Spitäler im Krieg zerstört wurden, werden die Verletzten bei den Essensabgaben ebenfalls bei uns behandelt. Das heisst aber auch, dass andere Hilfsbedürftige in den Feldspitälern hinten anstehen müssen. Dies destabilisiert das Gesundheitssystem noch mehr.
Haben Sie eine solche Essensabgabestelle besucht?
Nein.
Woher holen Sie sich Ihre Informationen?
Die Informationen beziehen wir von unseren Patienten. Sie sind es, welche uns die Geschichten erzählen. Die Geschichten, welche wir hören, wiederholen sich und in Kombination mit den Wunden der Patienten besteht für uns kein Zweifel, dass diese Geschichten der Wahrheit entsprechen.
Familienväter lassen ihre Kinder nicht mehr hin.
Was für Personen kommen zu Ihnen in Behandlung?
Es sind vor allem Männer, Familienväter, welche bei diesen Verteilstellen verletzt werden. Seit sie verstehen, was dort passiert, lassen sie ihre Kinder nicht mehr hin.
Manche sprechen in Zusammenhang der GHF-Verteilzentren von einer «Todesfalle». Würden Sie dieser Bezeichnung zustimmen?
Ja. Solch tödliche Zustände bei einer Verteilung habe ich bisher noch nicht erlebt.

Kratzt Israel an der Glaubwürdigkeit Ihrer Organisation?
Ja. Sie stellen alle Quellen der Vereinten Nationen und des Gesundheitsministeriums infrage, behandeln sie als voreingenommen.
Warum?
Weil es nicht dem Bild entspricht, das sie zeigen wollen.
Wie viele Male haben Sie Gaza bereits besucht?
Ich kenne Gaza vor dem Krieg. In den Jahren 2017-2019 war ich bereits verantwortlich für den Bereich, nun habe ich vor Kurzem Gaza wieder besucht und es fühlte sich wie ein Schock an, man hat nichts wiedererkannt. Das war nicht mehr das Gaza, welches ich kannte. Alles war zerstört, im Süden ist ein Meer von Zelten vorzufinden. Im Norden sind die Gebäude zerstört, man sieht viele Ruinen.
Die Menschen in Gaza haben alles verloren.
Seit Kurzem sind Sie wieder zu Hause. Was ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?
Was mich am meisten berührt hat, ist, dass die Menschen in Gaza alles verloren haben. Vor dem Krieg war der Gazastreifen ein urbanes Gebiet, inzwischen befindet sich alles in Sand, Staub und Zelten. Die Menschen befinden sich auf der Strasse, es kommt kaum Nahrung zu ihnen. Kinder können nicht zur Schule gehen, die Studierenden können nicht zur Uni gehen.
Das Gespräch führte Benedikt Hofer.
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