Es heißt Abschied nehmen vom nostalgischen Charme des klassischen tschechischen Speisewagens. Warum das rollende Wirtshaus zum flinken Bistro wird und was von der Gastlichkeit auf Gleisen erhalten bleibt.
Prag Hauptbahnhof, Gleis 8. Am Nachmittag um kurz vor halb fünf rollt pünktlich der Eurocity 170 nach Berlin ein. Hinter der Lok reihen sich acht moderne Wagen mit spiegelnden schwarzen Fensterbändern. Die neue ComfortJet-Garnitur ist der Stolz der tschechischen Bahn. Doch der letzte Waggon passt gar nicht zu dem Zug, wirkt wie ein Provisorium. Es ist der Speisewagen, Wagentyp WRmz815, der sichtlich aus einer anderen Zeit stammt.
Aus einer besseren Zeit, sagt der Schriftsteller Jaroslav Rudiš. Denn der tschechische Speisewagen auf der Strecke von Prag nach Berlin und oft auch weiter nach Hamburg sei weit mehr als nur Essen auf Rädern. Er sei ein Stück gelebter europäischer Kultur, Treffpunkt, Bühne und Sinnbild deutsch-tschechischer Verständigung.
"Du steigst ein - und sitzt in einem tschechischen Wirtshaus", schwärmt Rudiš. "Und so heißt der Speisewagen übrigens auch in der Eisenbahnersprache - das ist das Wirtshaus. Und ich sitze liebend gerne in diesem Wirtshaus, das ist mein zweites Zuhause."
Ort gelebter Demokratie
Rudiš pendelt regelmäßig zwischen Berlin und Prag. Ein fester Bestandteil: Die Svíčkova, der klassische böhmische Sonntagsbraten. Im Speisewagen verlässlich ein Gedicht, findet Rudiš: "Sechs Knödel müssen es sein. Immer sechs! Dazu diese unglaublich cremige Sauce, das Rindfleisch, die Preiselbeeren - ich liebe dieses Essen!"
Für ihn ist der Speisewagen ein Ort gelebter Demokratie. Punk sitzt neben Anzugträger, alle bekommen das gleiche frisch Gezapfte. Hier ist man mehr als Fahrgast - hier ist man Gast.
Nach 30 Jahren aufs Abstellgleis
Gekocht wird dabei traditionell. Koch Tomáš Ludvík bringt Böhmen auf den Teller - vom Schnitzel bis zur legendären Svíčkova. Das Fleisch wird noch im Takt der Gleise geklopft. "Wir sind hier immer in Bewegung. Das ist etwas ganz als in einem normalen Restaurant - und für mich immer ein Erlebnis," sagt Ludvík. Früher kochte er auf einem Moldaudampfer - schwankender Boden unter den Füßen, das ist seine Welt.
Doch bald wird er sich an eine neue Küche gewöhnen müssen. Nach 30 Jahren hat der alte Speisewagen WRmz815 auf internationalen Strecken ausgedient. Er erfüllt nicht mehr die Anforderungen an die Geschwindigkeit. Auf den Schienen - und wohl auch in der Küche.
Im Laufe des Sommers werden daher die alten Wagen durch neue Bordbistros ersetzt. Dann gibt es ein durchgehendes schwarzes Fensterband im ganzen Zug und keinen Stilbruch mehr in der Wagenfolge. Aber es gibt für Koch Tomáš Ludvík kein Brettchen mehr zum Schnitzelklopfen. In modernen Konvektor-Öfen wird dann Vorbereitetes nur noch erwärmt. Ludvík hat die neuen Wagen schon getestet: "Die sind nicht schlecht. Aber es ist eben etwas völlig anderes."
Neuer Bistrowagen mit weniger Sitzplätzen
Der heutige Speisesaal wird sich zum Bistro wandeln - mit LED-Beleuchtung an Stelle von Tischlämpchen und abwischbaren Oberflächen statt weißer Tischwäsche. Alles viel moderner - doch viele Gäste suchen gerade die kleine Zeitreise im klassischen tschechischen Speiswagen. "Ich mag dieses rustikale Ambiente, die roten Ledersitze, die Stoffservietten, das Personal," sagt eine junge Frau. Ein anderer Gast fügt hinzu: "Hier lebt noch das Gefühl vom alten Europa - vom Reisen in alten Tagen."
Das elegische, zeitlose Dahingleiten vor dem halb gefüllten Bierglas - vielleicht ist es damit bald vorbei. Die neuen Bistro-Wagen bieten nur noch die Hälfte der Sitzplätze. Wird man dann noch gemütlich noch auf ein zweites oder drittes Bier sitzen bleiben können?
Es wird moderner, schneller, effizienter, fürchtet Schriftsteller Jaroslav Rudiš. Doch er ist sich sicher: Es wird auch vieles bleiben. Die böhmische Svíčkova mit der cremigen Sauce. Die unveränderlichen sechs Knödel als Beilage. Und vor allem Zapfhahn und Zufallsbegegnungen. "Der Zug bleibt, die Menschen bleiben, die Gespräche bleiben. Und wenn der Zug fährt, fließt das Bier. Das ist doch schön."
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