Man muss als Außenstehender nicht alles kapieren, was an diesem Juli-Freitag bei Thyssenkrupp Steel in Duisburg-Bruckhausen gefeiert wird. Die nagelneue Stranggießanlage. Das umfassend modernisierte Warmbandwerk. Die zwei neuen Hubbalkenöfen. Die vollautomatisierte Brammenlogistik. Die Beschäftigten hier verstehen es aber ganz genau.
Sie sagen: All diese Anlagen sind gut für Thyssenkrupp, dieses eisenharte Stück Germany. Sie sind entscheidend für die Stadt Duisburg mit all ihren sozialen Problemen. Sie sind lebenswichtig für den ganzen Industriestandort Deutschland. Gigantische 800 Millionen Euro hat der Vorstand dafür in die Hand genommen. „Hammer!“, sagt ein Kumpel mit ruhrpöttischer Kürze, während in seiner Schulterhöhe rotglühende Brammen auf Bändern vorbeiziehen. Brammen sind bis zu zehn Meter lange Stahlblöcke, die später, warm oder kalt, zu dünnem Stahl gewalzt werden.
Thyssenkrupp soll den beste Stahl Europas liefern
Es ist ein Festtag, das finden auch unabhängige Stahlexperten: Die neue Technik im größten Stahlwerk von Thyssenkrupp, die hochwertigeres Material in kürzerer Zeit erzeugt, habe das Zeug, hier künftig den besten Stahl Europas zu produzieren. „Das sichert unsere Führungsrolle“, beteuert Dennis Grimm, Vorstandsprecher von Thyssenkrupp Steel Europe. Jubel aus der Belegschaft. Wer mag es nicht glauben wollen? 800 Millionen Euro müssen doch helfen, um endlich aus diesem von Angst um den Arbeitsplatz erfüllten, nicht enden wollenden Alptraum aufzuwachen!

Aber auch heute wieder dringt die andere, die dunkle Seite des Jobs durch. Seit längerem ist klar, dass 11.000 Beschäftigte gehen müssen. Und nun, ausgerechnet an diesem Feiertag, hat die IG-Metall einen Vorstandsplan durchgestochen, nach dem die Belegschaft auch noch auf jährlich 200 Millionen Euro Leistungen verzichten soll. Tarifliche Einmalzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld: futsch. Nullrunden bei den Tarifverhandlungen.
Der Thyssenkruppkonzern unter dem ruppigen Chef Miguel Lopez will die Stahlsparte abtrennen und am liebsten in ein 50:50-Joint Venture mit einer Holding des umstrittenen tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky überführen. Die Arbeitnehmervertreter fühlen sich dauerüberrumpelt und an der Nase herumgeführt. Es ist ordentlich Druck auf dem Kessel, mal weniger, mal mehr. Furcht und Wut wechseln sich mit Zuversicht und Aufbruchstimmung ab. Was immer bleibt, ist der Arbeitskampf. Vor dem Werkstor eins gibt es eine Dauermahnwache. Zwei Betriebsratsfrauen auf einer Bank strecken die Beine in die Sonne und schenken bei Bedarf Kaffee aus. Ihr graues Widerstandszelt dürfte den nächsten Sturm kaum überstehen.
Niemand weiß, was die Bundesregierung will
Es sind und bleiben schwere Zeiten, und es gibt auch keinen Hoffnungsschimmer aus Berlin. Hinter den Kulissen munkelt man, dass niemand so richtig weiß, woran der deutsche Stahl unter dem neuen Kanzler Friedrich Merz in den nächsten Jahren ist.
Die vergangenen Jahre sollte der Traditionskonzern zu einer neuen Weltmacht avancieren, indem die Produktion auf klimaschonende, grüne Wasserstoff umgestellt wird, grüner Stahl sollte zum neuen Kassenschlager werden. Bund und Land versprachen Milliardensubventionen.

Doch nun ist das Thema Klimaschutz irgendwie in der Flut von schlechten Nachrichten aus der Ukraine und dem Nahen Osten abgesoffen. Der grüne Hoffnungsschimmer verblasst. Kanzler Merz hatte schon vor der Wahl klargemacht, dass er an eine schnelle Umstellung auf grünen Wasserstoff nicht glaubt. Und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche? „Wir haben noch keine Ahnung, was die wirklich will“, sagt ein Vorstandsmitarbeiter.
Der starke Wettbewerber ArcelorMittal hat gerade verkündet, seine Pläne für die Produktion von grünem Stahl in Bremen und Eisenhüttenstadt vorerst zu stoppen. Das Verfahren sei weder wirtschaftlich, noch gebe es genügend nachhaltigen Wasserstoff. Bund und das Land Bremen hatten dem Unternehmen bereits Fördergelder in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zugesagt.
Anschied nehmen vom Traum grüner Stahl?
Ein paar Arbeiter bei Thyssenkrupp kommen ins Erzählen: Die bei ArcelorMittal können leicht Abschied nehmen. Sie produzieren weltweit und können Produktionsstätten und Produkte nach Blieben hin- und herschieben. Wir aber sind darauf angewiesen, unsere Weltmarktposition in Deutschland zu auszubauen. Für uns ist grüner Stahl dafür noch immer Hoffnungsträger Nummer eins. Dem Thyssenkrupp-Steel-Vorstand, so munkelt man, komme Merz‘ Einschätzung dagegen nicht ganz ungelegen, weil man so mehr Zeit bekomme.

Wenn die Stimmung richtig unten ist, dann reißt gern Mona Neubaur nach Bruckhausen an, die grüne Wirtschaftsministerin von NRW. Auch heute ist sie gekommen, ganz in schwarz, wie immer, nur dieses Mal wirkt ihr Outfit etwas trauriger. Er ist nicht nur zum Feiern zumute. „Hier gibt es viel ernstes zu besprechen“, beginnt sie ihre Rede. Ein paar Lautsprecher helfen ihr dabei, sich gegen das Getöse der Brammen und Bänder und Kräne durchzusetzen.
Neubauer lobt Thyssenkrupp über den grünen Klee. Dann wird sie noch einmal richtig emotional: Das „Zukunftsprojekt grüner Stahl in Deutschland“ gehe unvermindert weiter, sie und die Landesregierung unter CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst stünden ohne Wenn und Aber zu ihrem Wort, man gehe „auf die Zielgerade“. Hier entstehe „das leichtere, dünnere Metall für die zukünftige Mobilität.“ Großer Beifall.
Die einen müssen investieren, die anderen verzichten
Sie sagt auch: Stellenabbau und Lohnverzicht gingen mit einer guten Zukunft einher. Beide Seiten müssten sich nun mal ins Zeug legen, um die Kurve zu kriegen. Die einen eben mit 800 Millionen Investments, die anderen mit Kürzertreten. In dem Moment steigt eine Taube über der Ministerin auf. Es ist keine weiße, aber immerhin.
Am Ende der Veranstaltung gibt es Currywurst in rauen Mengen. „Kommste vonne Schicht / Wat schönret gibt et nich'/ als wie Currywurst“, sang Herbert Grönemeyer aus dem nahen Bochum. Fürs erste sind alle satt und zufrieden.
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