Die Welt blickt auf den Konflikt zwischen Israel und dem Iran – und auf die Situation im Gazastreifen. Wenig ist dagegen aus dem Westjordanland zu vernehmen. Aber auch dort vergeht kaum ein Tag ohne Gewalt. Israel geht rigoros vor – und begründet das mit dem Kampf gegen Terroristen. Hanno Hauenstein ist freier Journalist in Berlin, er verfolgt die Situation in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten.
SRF News: Wie würden Sie die aktuelle Situation im Westjordanland beschreiben?
Hanno Hauenstein: Ich würde schon sagen, dass sich die Situation deutlich verschärft hat. Wir erleben Razzien, gezielte Tötungen, massive Repression. Neue Siedlungen werden genehmigt bzw. gebaut. Dutzende neue sogenannte Aussenposten wurden seit Oktober 2023 errichtet, vor allem im Norden der Westbank. In den Flüchtlingslagern der nördlichen grösseren Städte sehen wir, dass zehntausende Menschen vertrieben wurden und die Gewalt durch das israelische Militär deutlich zugenommen hat.
Es geht tatsächlich darum, diese Orte unbewohnbar zu machen.
Sie haben die Vertriebenen erwähnt. Wo leben diese Menschen jetzt?
Sie leben jetzt in erster Linie in benachbarten Dörfern, bei Familien, bei Bekannten, bei Freunden oder in Notunterkünften der UNO. Und wenn diese Leute versuchen zurückzukehren, dann werden sie oft aktiv von der israelischen Armee daran gehindert. Die Zerstörung ist massiv. Es geht tatsächlich darum, diese Orte unbewohnbar zu machen.

Die israelische Armee sagt, ihre Militäroperationen dienten der Terrorbekämpfung.
Ja, natürlich. Es gibt Anschläge durch bewaffnete palästinensische Gruppen, und das ist die offizielle Legitimationsgrundlage des israelischen Militärs. Aber de facto trifft es in erster Linie zivile Strukturen. Das ist das, was ich aus eigener Erfahrung sagen kann. Die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben ihre Häuser verloren.
Seit dem 7. Oktober beklagen die Palästinenser auch, dass die israelischen Siedler aggressiver geworden seien. Was beobachten Sie in der Hinsicht?
Die Gewalt durch Siedler hat massiv zugenommen, gleichzeitig aber auch die Gewalt durch die israelische Armee und Sicherheitskräfte. Dörfer werden immer wieder angegriffen, und die Menschen dort sind massiver Gewalt ausgesetzt. Es gibt Einschränkungen, wo das Vieh weiden darf. In den letzten zwei Wochen, im Zuge des Angriffs auf den Iran, stand das Westjordanland unter einem Lockdown.
Die Zweistaatenlösung ist zur diplomatischen Floskel geworden.
Sie sprechen von Versuchen, Teile des Westjordanlandes unbewohnbar für die Palästinenser zu machen. Was bedeutet das für die Aussichten auf eine Zweistaatenlösung?
Im Westjordanland, in Ostjerusalem und in den Golanhöhen leben knapp 700'000 israelische Siedler. Tagtäglich wird neue Infrastruktur errichtet, neue Siedlungen gebaut, palästinensisches Land wird enteignet, Menschen werden vertrieben. Es gibt zwei verschiedene Rechtsprechungen für zwei verschiedene ethnische Gruppen.
Es gibt getrennte Strassen, getrennte Infrastruktur für israelische Siedler und für palästinensische Menschen. Was de facto dort herrscht, ist ein Zustand, den die Menschenrechtsorganisationen Apartheid nennen. Und ob das jetzt realistisch ist, die Zweistaatenlösung dort umzusetzen? Ich halte es für sehr unrealistisch. Ich glaube, dass es im Moment eigentlich eher so eine Art von diplomatischer Floskel geworden ist.
Das Gespräch führte Monika Bolliger.
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