Das ist neu: Die britische Regierung will eine zweite landesweite Untersuchung zu bandenmässigen Fällen von sexuellem Missbrauch anordnen. Das sagte der britische Premierminister Keir Starmer am Wochenende. Entsprechende Forderungen der Opposition hatte der Regierungschef zuvor monatelang zurückgewiesen.

Die Vorgeschichte: Hintergrund sind Fälle von systematischem und jahrelangem sexuellem Missbrauch von schutzbedürftigen Mädchen und Frauen in verschiedenen Städten des Landes durch sogenannte «Grooming Gangs» meist Männer pakistanischer Herkunft. Die Opfer, oft minderjährige Mädchen aus schwierigen Verhältnissen, wurden mit Alkohol und Drogen gefügig gemacht oder mit Gewalt zum Sex gezwungen und vergewaltigt.

Behörden schauten weg: Solche Fälle hatten immer wieder grosse Schlagzeilen gemacht, auch, weil auffällig viele Täter aus Pakistan stammten. Die Opfer hingegen gehörten überwiegend zur Mehrheitsbevölkerung. Für Empörung sorgte vor allem, dass Polizei und Behörden lange Zeit tatenlos blieben – teils, weil den Opfern nicht geglaubt wurde, teils aus Angst, als rassistisch zu gelten, wie die erste Untersuchung ergab.

Legende: Der erste Bericht kommt zum Schluss, dass kommunale Politikerinnen und Politiker, Polizei und selbst Jugendsozialdienste dabei versagt haben, die Kinder und Jugendlichen adäquat zu schützen. Keystone/CHRISTOF SCHUERPF

Angst vor Protesten: Um rassistische Vorurteile oder gar Proteste zu vermeiden, wurde die Herkunft der Täter damals verschwiegen, erklärt der SRF-Korrespondent für Grossbritannien, Patrick Wülser: «Klar ist, dass Pauschalisierungen aufgrund der Herkunft rassistisch sind. Aber dies bewusst zu ignorieren und zu verheimlichen, ist ebenso eine Fehlleistung und für diese Bevölkerungsgruppe auch nicht hilfreich. Denn das Gegenteil passiert: Die Erkenntnisse werden nun von der anderen politischen Seite kapitalisiert.»

Auftrieb für Verschwörungstheorien: Das Thema wird auch von rechtspopulistischen Akteuren ausgenutzt, um Stimmung zu machen. Grosse Aufmerksamkeit erhielt es zuletzt, als sich Multimilliardär Elon Musk öffentlich hinter die Forderung nach einer zweiten Untersuchung stellte und auch unbelegte Vorwürfe mit Nähe zu rechtsextremen Verschwörungstheorien gegen Starmer und andere Labour-Politiker erhob.

Dutzende Täter bereits verurteilt: Starmer hatte eine zweite Untersuchung lange ausgeschlossen. Er argumentierte, zuerst müssten die Empfehlungen der ersten Untersuchung umgesetzt werden. Das sei aber von der konservativen Vorgängerregierung verschleppt worden. Eine Überprüfung sei nun aber zu dem Ergebnis gekommen, dass eine zweite Untersuchung notwendig sei. Es geht dabei nicht um die strafrechtliche Aufarbeitung, die unabhängig davon geschieht. Dutzende Täter wurden bereits zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Bei den «Inquiries» geht es um politische Konsequenzen.

Labour-Regierung in der Kritik: Der Entscheid ist der jüngste in einer Reihe von Kehrtwenden, wie Wülser einschätzt: «Bereits vor seiner Wahl wurde Starmer von Kritikerinnen und Kritikern als wankelmütig bezeichnet. Dieser Eindruck bestätigte sich in den vergangenen zwölf Monaten immer mehr. Starmer entscheidet oft und macht später unter grossem politischem Druck spektakuläre Kehrtwendungen. Dies schadet der Autorität der Labour-Regierung, führt zu Rissen in der eigenen Fraktion und macht Starmer angreifbar. Erste Kommentare in den Zeitungen zweifeln mittlerweile an der politischen Urteilskraft des Premierministers. Diese fluide, eher wirbellose Politik wird Labour zunehmend schaden.»

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