Russland hat in der Nacht auf Dienstag einen massiven Drohnenangriff auf die Ukraine verübt. Gemäss dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski war es der bislang grösste russische Luftangriff seit Kriegsbeginn. Der Grossteil der 315 Drohnen und 7 Raketen sei jedoch abgewehrt worden. Von russischer Seite heisst es, man habe mit Hochpräzisionswaffen militärische Ziele in Kiew und Odessa angegriffen. SRF-Korrespondent David Nauer ordnet ein und erklärt, dass die Ukraine insbesondere an der Ostfront vor möglicherweise dramatischen Monaten stehe.
Was bezweckt der Kreml mit der massiven Angriffswelle?
Der Kreml will die Ukraine mit diesen Luftangriffen wohl zur Kapitulation zwingen. In den vergangenen Wochen haben die Attacken mit Raketen und Drohnen massiv zugenommen und sie richten sich oft gegen zivile Einrichtungen, vor allem gegen Wohnhäuser. Es sterben immer wieder Zivilistinnen und Zivilisten. Die russische Führung versucht offenbar, die ukrainische Zivilbevölkerung derart zu demoralisieren, dass der Ukraine am Schluss nichts anderes übrig bleibt, als in den Verhandlungen mit den Russen klein beizugeben.

Wie ist die Lage in der Ostukraine?
Die Lage ist für die Ukrainer sehr schwierig. Sie kontrollieren zwar noch eine Handvoll Städte in der Region, aber die Russen rücken an mehreren Abschnitten der Front vor. Ich war im Januar in der ukrainischen Stadt Kostiantynivka, aus der inzwischen die meisten Zivilisten evakuiert worden sind. Dorthin zu fahren, ist inzwischen lebensgefährlich geworden. Die verstärkten russischen Angriffe sind bereits Teil der grösseren Sommeroffensive. Die Russen versuchen damit, bis im Herbst den Donbass so weit wie möglich einzunehmen.
Wie wahrscheinlich ist ein Erfolg der russischen Grossoffensive – und damit die Eroberung des Donbass?
Die Russen versuchen, die vier Städte Sloviansk, Kramatorsk, Druzhkivka und Konstiantynivka in der Ostukraine einzunehmen. Wenn ihnen das gelingt, ist der Weg nach Westen quasi frei und sie können weiter ins Landesinnere vorstossen. Die ukrainische Armeeführung hat Verteidigungsanlagen hinter den grossen Städten gebaut – als Vorsorge, falls der Donbass tatsächlich fallen sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland bis im Herbst die gesamte Ostukraine erobern wird, ist aber gering. Doch ein grosser Teil des Donbass könnte bald nicht mehr für Zivilisten bewohnbar sein.
Wieso steht die Ukraine so unter Druck?
Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens fehlt es massiv an Personal. Ich war vergangene Woche mit einer Infanterie-Brigade in der Ostukraine unterwegs, die gerade einmal zu 50 Prozent besetzt ist. Russland verfügt über deutlich mehr Soldaten. Zweitens sind im Ukraine-Krieg kleine FPV-Drohnen mit immer grösserer Reichweite und Präzision im Einsatz. Sie erschweren der Ukraine die Verteidigung der ostukrainischen Städte enorm, da die Russen mittels Drohnen gezielt Nachschubwege für die Frontsoldaten abschneiden können.
Was bedeuten die verstärkten russischen Angriffe für mögliche Friedensverhandlungen?
Mein Eindruck ist, dass diese Friedensverhandlungen bereits gescheitert sind. Mit den massiven Angriffen – insbesondere auf zivile Ziele in der Ukraine – geben die Russen zu verstehen, dass sie nicht an einem Frieden interessiert sind. Der Kreml besteht weiterhin auf Maximalforderungen wie der faktischen Kapitulation der Ukraine. Ein baldiger Frieden im Ukraine-Krieg ist daher sehr unwahrscheinlich.
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