Jetzt streiten auch noch die Gerichte über Trumps Zoll-Tiraden. Das lasse selbst die Allerletzten an der Börse abstumpfen, sagt ING-Chefökonom Carsten Brzeski.

Herr Brzeski, erst kassiert ein Gericht Donald Trumps Zölle, tags darauf setzt sie ein Berufungsgericht vorerst wieder in Kraft. Die Märkte haben kaum auf dieses Zoll-Hickhack reagiert. Warum nicht?
Ich glaube, die Märkte sind mittlerweile abgestumpft – selbst die Aktienmärkte, die ja davor immer noch sehr, sehr nervös waren und eigentlich auf alles, was mit Zöllen zu tun hatte, positiv wie auch negativ reagiert haben. Diese Abstumpfung liegt wohl auch daran, dass jetzt noch mal eine neue Dimension hinzugekommen ist, nämlich die juristische. Davor war es immer nur Donald Trump, der Deals ausruft oder Zoll-Pausen. Diese juristische Dimension lässt nun auch den Allerletzten abstumpfen. Die Börsen haben nahezu aufgegeben, und gleichzeitig ist ihre Reaktion ein Versuch, diesen hochfrequenten Lärm von Trump auszublenden und eine neue, langfristige Tendenz zu suchen.

Ist es auch ein Zeichen von Gewöhnung an das Trump-Stakkato?
Ich würde es nicht mal Gewöhnung nennen, sondern eher Aufgeben. Wir haben uns bisher immer gefragt: Was ist Trumps neue Strategie? Was ist der Masterplan? Passt diese und jene Handlung da rein? So haben wir und vor allem die Aktienmärkte die ganze Zeit reagiert. Die Nicht-Reaktion jetzt ist am ehesten noch eine Kombination aus Abstumpfen, Aufgeben und Gelassenheit, nach dem Motto: Es hat doch keinen Sinn, um darüber zu spekulieren.

Wo sehen Sie gerade die größte Gefahr durch dieses Zoll-Chaos?
Es gibt mehrere Gefahren. Die erste Gefahr ist die bleibende hohe Unsicherheit und damit auch Verunsicherung, die einfach realwirtschaftliche Folgen hat: Investitionen und Konsumausgaben werden zurückgehalten. Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Europa. Die andere Gefahr ist langfristiger und struktureller: die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der USA. Diese Willkür finde ich bemerkenswert, genauso wie den offenen Angriff der Trump-Regierung auf das Gericht. Man stelle sich mal vor, ein Mitglied der Bundesregierung würde sich mit Ausdrücken wie "Hinterzimmer-Gauner" so abfällig über Richter auslassen. Niemals. Diese Kritik und die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit, die jetzt wieder gestreut werden, machen es langfristig unheimlich schwer, dass ausländische Unternehmen aus Europa mit ihrer Produktion in die USA kommen. Ich denke, das schlechte Investitionsklima ist für die USA eigentlich die größte Gefahr. Deshalb reagieren die Anleihemärkte auch so deutlich. 

Neben den Anleihemärkten reagierte auch der Dollar und wertete ab. Kann Trump das ernsthaft wollen, nur weil US-Importe dann billiger werden?
Nein. Was die ganze Zeit schon schiefläuft, ist aber gar nicht mal so sehr der schwächere Dollar, sondern der Verkauf von Anleihen und der damit verbundene Anstieg der langfristigen Zinsen. Das ist etwas, was Trump nicht wollen kann. Und auch den Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit kann er nicht wollen. Er hat sich quasi seinen Plan, Amerika wieder groß zu machen, verbaut. Mit dieser absolut erratischen Wirtschaftspolitik, mit dieser Verunsicherung und dem Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit, bekommt man keine Produktion und Investitionen in die USA. Beim schwächeren Dollar glaube ich übrigens nicht, dass seine bewusste Schwächung wirklich Teil von Trumps Maßnahmen ist. Aber es ist natürlich ein interessanter positiver Nebeneffekt, den die amerikanische Regierung gerne in Kauf nimmt. Die Zinsparität lehrt uns, dass normalerweise die Schwächung des Dollars nicht einhergeht mit steigenden Zinsen.

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Was heißt, Stand heute, dieses ganze Hin und Her für Deutschland?
Die Einzelhandelsdaten für April sind wieder etwas eingebrochen, was zeigt, dass die Verunsicherung schnelle Schleifspuren in der deutschen Konjunktur hinterlässt. Ein Teil der Zölle ist weiter in Kraft, das Zollniveau ist höher als zu Anfang des Jahres. Das heißt für Deutschland, dass unser Exportsektor hiervon deutlich getroffen wird. Die schlechtere Planungssicherheit werden wir wahrscheinlich im zweiten Quartal bei den Exporten und bei der Industrie zu spüren bekommen. Die politische Unsicherheit in den USA beeinflusst Deutschland auf kurzfristige Sicht negativ bei Investitionen und Konsum. Gleichzeitig könnten wir mittel- bis langfristig davon profitieren: wenn nämlich deutsche Unternehmen, die jetzt erst mal abwarten, vielleicht doch eher in Deutschland bleiben und hier investieren, statt in die USA zu gehen.

Was kurzfristig schlecht ist für die Konjunktur, könnte aber die Verhandlungsposition der EU bei den Zöllen stärken, oder?
Jein. Da bin ich nicht so sicher. Bei Donald Trump ist wohl davon auszugehen, dass, je mehr er sich in die Enge gedrängt fühlt, umso stärker wird er zurückschlagen. Das Gerichtsurteil in New York heißt ja nicht, dass alle Zölle illegal sind, sondern dass andere Handelsgesetze benutzt werden müssen. Der Druck bei sektorbezogenen Zöllen wie auf Autos, Stahl und Aluminium wird zunehmen. Ich glaube nicht, dass Donald Trump hier klein beigeben wird. Ich bin zögerlich zu sagen, dass sich unsere Verhandlungsposition verbessert hat. Es bleibt einfach dabei: Wir haben diesen Außenhandelsbilanzüberschuss, wir sind in den Verhandlungen in der Position der Schwächeren gegenüber den USA. Ich denke, es wäre in unserem Interesse, irgendwie einen Deal zu finden. Wir sollten die Verhandlungsstrategie nicht verändern und jetzt härter spielen wollen, sondern relativ sachlich schauen, ob man für beide Seiten eine Reduzierung der Handelsbarrieren hinbekommen könnte.

Was wäre denn das Wunschszenario: Welcher Deal würde den Dax und die europäischen Börsen am meisten freuen? 
Ein neues Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA würde die Märkte am meisten beflügeln. Aber das ist in so kurzer Zeit unrealistisch. Ein realistisches Wünsch-dir-was-Szenario wäre, dass man bei den Zöllen von 10 bis 15 Prozent bleibt, die wir jetzt haben; und dass sich Europa bereiterklärt, etwas mehr Sojabohnen und Flüssiggas zu kaufen, um die es Trump symbolisch geht. Diplomatisch wünschenswert wäre die Ankündigung, dass man in den nächsten Monaten und Jahren ernsthaft über ein komplett neues Freihandelsabkommen verhandelt.

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Was sollten Anleger jetzt tun?
Die klassischen Regeln beherzigen: sich nicht durch die hohen kurzfristigen Schwankungen verrückt machen lassen und eine klare langfristige Strategie haben. Dazu gehört, dass man ordentlich diversifiziert, damit die Länderrisiken einigermaßen ausbalanciert sind. Niemand weiß, wo es hingehen soll. Ich denke, jeder Anleger muss für sich selber einschätzen, welche langfristigen Wachstumsperspektiven er Europa und den USA zugesteht. Wir kennen das Potenzial, das Europa hat. Jede und jeder muss sich fragen, ob Europa dieses Potenzial endlich mal abrufen kann. Oder ob sich die USA von dem aktuellen Trump-Schock doch erholen.

Glauben Sie, dass sich die USA wieder erholt?
Ich habe die Befürchtung – wobei das aktuell nur Bauchgefühl ist und keine Analyse –, dass wir hier wirklich mitten in einer strukturellen Verschiebung sind. Die USA werden sich natürlich irgendwann wieder beruhigen. Aber dass die USA zurückkehren zu einem Führungsland beim Freihandel und begrenzt selbstlos versucht, Wirtschaftswachstum im Rest der Welt zu unterstützen, das sehe ich nicht. Denn egal wer dann Nachfolger wird von Donald Trump, ob Republikaner oder Demokrat, diese Abkehr vom Welthandel hin zu einer egoistischeren Wirtschaftspolitik in den USA wird bleiben. Da muss man sich eher überlegen, was die Wirtschaftsfaktoren der Zukunft sein werden: KI zum Beispiel. Da spricht natürlich vieles für die USA. Die Amerikaner werden in den kommenden Jahren eher mit China den Wirtschaftskampf weiter ausfechten. Europa muss sich extrem anstrengen und viel unternehmen, um nicht noch weiter ins Hintertreffen zu geraten.

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