Die IG Metall zieht ihre Forderung nach einer Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich zurück. Angesichts der wirtschaftlichen Lage sehen Experten das Modell kritisch. Doch die Debatte um Arbeitszeitverkürzung bleibt weiter hochbrisant.

Vor zwei Jahren ist die IG Metall in der Stahlindustrie mit der Forderung in Tarifverhandlungen gegangen, dass Beschäftigte nur noch 32 Stunden die Woche arbeiten sollen. Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage rückt die Gewerkschaft von ihrer Forderung nach der Einführung einer Viertagewoche jetzt wieder ab.

"Eine Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich steht aktuell nicht auf der gewerkschaftlichen Forderungsliste", sagte die Gewerkschaftsvorsitzende Christiane Benner der "Bild"-Zeitung. Das mache sie aber nicht weniger sinnvoll. Mit Blick auf die angespannte wirtschaftliche Situation in vielen Betrieben betonte Benner, seien es vielmehr die Arbeitgeber, die derzeit die Arbeitszeit verkürzten - auf Kosten der Beschäftigten.

Dass ausgerechnet eine Gewerkschaft von dieser Forderung Abstand nimmt, überrascht den Arbeitsmarktexperten Guido Zander. Er ist geschäftsführender Partner der SSZ Beratung und unterstützt Unternehmen bei der Dienstplanung und der Gestaltung von Arbeitszeitmodellen. "Ich habe damit gerechnet, dass das Thema Viertagewoche ein Stück weit im Sande verläuft. Ich hätte aber tatsächlich nicht damit gerechnet, dass jetzt aus dem Gewerkschaftsumfeld aktiv eine klare Absage kommt", sagt Zander im Gespräch mit ntv.de. Eine flächendeckende Einführung der Viertagewoche hält er darüber hinaus ohnehin nicht für umsetzbar.

Dem stimmt auch Arbeitsmarktexperte Enzo Weber auf Anfrage zu. Ein starres Fünftage-Modell durch ein starres Viertage-Modell zu ersetzen, hält er nicht für sinnvoll. Arbeitnehmer sollten vielmehr ihre Arbeitszeit selbst festlegen, und Politik sollte dafür die Hürden aus dem Weg räumen. "Weder 'mehr arbeiten' noch die 'Viertagewoche' ist das Modell für alle, sondern die selbst bestimmte Arbeitszeit, also die X-Tage-Woche", sagt Weber.

"Hebel sind Effizienz und höhere Produktivität"

Ob die Einführung einer Viertagewoche machbar ist oder nicht, will Zander derweil nicht an wirtschaftlich schwierigen Zeiten festmachen, sondern eher daran, ob sie verlustfrei umzusetzen ist. Ohne Krise könnten sich Unternehmen eine geringere Arbeitszeit ihrer Beschäftigten bei vollständigem Lohnausgleich zwar eher leisten. "Aber Fakt ist: Die Viertagewoche ist aus meiner Sicht für ein verpflichtendes Pauschalmodell nicht geeignet", sagt Zander. "Das heißt aber nicht, dass die Viertagewoche auch in Krisenzeiten unter bestimmten Voraussetzungen in Unternehmen eine sinnvolle und auch wirtschaftliche Lösung sein kann."

Arbeitnehmer müssten außerdem der Realität ins Auge sehen, dass sie in Deutschland im internationalen Vergleich von sehr vielen Urlaubstagen, vielen Feiertagen und deutlich höheren Lohnkosten profitierten. In der Diskussion geht es dem Experten zufolge nicht darum, Beschäftigten etwas vorzuenthalten. "Wenn die Viertagewoche uns allerdings in der aktuellen Situation in unserer Wettbewerbsfähigkeit einschränkt und die Kosten erhöht, ist es an dieser Stelle wichtiger, Arbeitsplätze zu erhalten, als die Viertagewoche einzuführen."

Den Hebel, um sich eine Viertagewoche als Volkswirtschaft leisten zu können, sieht Zander in der Effizienz und einer höheren Produktivität. Das könnte unter anderem durch einen höheren Automatisierungsgrad in Schichtbetrieben, Digitalisierung oder KI erreicht werden. Unter dieser Prämisse ist es für den Arbeitsmarktexperten sinnvoll, dass auch Arbeitnehmer entlastet werden. Der Experte räumt ein: "Gerade im Schichtbetrieb verzeichnen Unternehmen hohe Krankenstände. Allein deswegen ist es notwendig, Mitarbeitern etwas zurückzugeben, sollte es die wirtschaftliche Lage zu lassen.

Als Reaktion auf den Vorstoß der IG Metall heißt es bei Verdi, es werde höchste Zeit, die Debatte um die Arbeitszeit "vom Kopf auf die Füße zu stellen". Wie Arbeitsmarktexperte Zander verweist auch Frank Werneke auf Anfrage von ntv.de, dass in vielen Dienstleistungsbranchen und im öffentlichen Dienst überdurchschnittlich lange Wochenarbeitszeiten gelten. "Angesichts der anhaltend hohen Arbeitsbelastung - physisch und psychisch - beispielsweise in der Pflege oder auch in Kitas bleibt für uns mehr Entlastung, insbesondere durch zusätzliche freie Tage, auf der Tagesordnung."

Unternehmen fürchten negative Effekte

Der Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bekräftigt auf Anfrage von ntv.de zwar, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Stagnation dazu führe, dass zurzeit weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Schon in absehbarer Zeit brauche Deutschland aber wieder mehr Arbeitsstunden, um die in das Rentenalter eintretenden geburtenstarken Jahrgänge ersetzen zu können. Sonst drohe die Stagnation zum Dauerzustand zu werden, da für Wachstum die Arbeitskräfte fehlen. "Vor diesem Hintergrund ist es an der Zeit, Ideen wie die Viertagewoche endgültig zu beerdigen. Wir werden das Problem nicht lösen, wenn im Angesicht einer sinkenden Anzahl potenzieller Arbeitskräfte der Einzelne auch noch weniger arbeitet", sagt Schäfer.

Bei einer flächendeckenden Einführung der Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich sehen Unternehmen negative Effekte für die deutsche Wirtschaft. Bei einer Umfrage des IW hätten 94 Prozent der befragten 823 Unternehmen gesagt, dass sie dadurch Wertschöpfung verlieren würden. Zudem befürchteten knapp 70 Prozent, dass Arbeit liegen bleibe und Deutschland international den Anschluss verliere.

Weit verbreitet ist das Modell der Viertagewoche der Umfrage zufolge bislang nicht: 82 Prozent der Unternehmen hätten es bislang nicht getestet. Rund die Hälfte der Befragten sehe allerdings auch Chancen in der Viertagewoche, etwa um das eigene Unternehmen für Bewerber und Fachkräfte attraktiver zu machen. Aber nur sechs Prozent glaubten, dass der Fachkräftemangel mit einer Viertagewoche bekämpft werden könne, hieß es.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke