Die Halbwertszeit von Konzernplänen liegt bei Thyssenkrupp bei höchstens zwei Jahren. Bei Vorstandschef Miguel López sind es dieses Mal sogar nur 17 Monate, wie wir seit diesem Montag wissen. Ende November 2023 hatte der bullige Manager eine neue Strategie verkündet: "Stärkere operative Steuerung" aller Sparten durch die Zentrale in Essen. Nun strebt López genau das Gegenteil an: Der Konzern will alle Bereiche - vom Stahl über den Handel bis zum Autogeschäft - verselbstständigen und nur noch eine kleine Holding an die Spitze setzen, die nach Zahlen führt und sich nicht mehr groß ums Tagesgeschäft kümmert.
Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.
Der größte Witz an dem neuen Konzept: es ist genau das alte. Die Vorgängerin des jetzigen Chefs, Martina Merz, hatte es bis zu ihrem erzwungenen Abgang im Mai 2023 unter dem denglischen Namen "Group of Companies" verkauft. Auch damals sollten die einzelnen Bereiche höchstmögliche Freiheit genießen und nur noch eine kleine Oberaufsicht in Essen über die Ziele und deren Erreichung wachen. López schaffte das Merz-Konzept ab, mischte sich vor allem beim Stahl in alles ein und rudert jetzt wieder zurück.
Thyssenkrupps Sparten können allein nicht überleben
Schon jetzt kann man sagen: Es wird auch dieses Mal nicht so funktionieren, wie es sich López vorstellt. Thyssenkrupp will eine Mehrheit an den Sparten behalten, wenn sie an die Börse gehen oder sich mit Partnern verbinden. Nur den Stahl möchte der Konzern so schnell wie möglich aus der Bilanz schieben. Doch wer beteiligt sich an Unternehmensbereichen, in denen ein Mutterkonzern weiter mitredet, der sich seit Jahren als unfähig erweist, sie nach vorne zu bringen? Auf jeden Fall muss Thyssenkrupp mit einem sehr hohen Bewertungsabschlag rechnen, wenn sich überhaupt Investoren finden. Und die Verselbstständigung kostet erst einmal viel Geld und kann lange dauern. López spricht in seiner Pressemitteilung vom Montag von "mehreren Jahren". Und was passiert in der Zwischenzeit?

Zerschlagungspläne Ruf aus der CDU: "Der Kanzler muss ThyssenKrupp zur Chefsache machen"
Richtig ist: Alle Sparten können ohne neues Kapital von externen Investoren nicht überlegen. Das gilt gerade für die Perlen des Konzerns, zum Beispiel die Marinesparte TKMS oder den grünen Spezialisten Nucera. Doch dieses Ziel lässt sich am besten erreichen, wenn sich der Mutterkonzern nach und nach ganz von seinen Töchtern trennt. Und zwar so schnell wie möglich, bevor der Konzern noch mehr Kapital verbrennt. Widerstand dagegen kommt natürlich von der IG Metall, die bereits gegen López trommelt und das böse Wort von der "Zerschlagung" in die Öffentlichkeit schiebt. In Wahrheit aber wären große Teile der Belegschaft in einigen Bereichen wohl eher erleichtert, wenn sie die Konzernzentrale endlich los wären.
Für Thyssenkrupp gilt auch nach der neusten Wende: Die Springprozession geht weiter in Essen. Und wir haben längst noch nicht die letzte Kehre erreicht. Und auch nicht den letzten Chefwechsel, selbst wenn López jetzt erst einmal auf eine Verlängerung seines Vertrags hoffen kann, wenn man den Parolen aus dem Lager der Gewerkschafter trauen darf.
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