Russland liefert die Blaupause: Im Kriegsfall steht die Energieversorgung auf der Liste möglicher Angriffsziele weit oben. In Deutschland sind Windparks in der Ostsee gefährdet, doch die Betreiber möchten die Kosten nicht allein tragen - und erinnern Schwarz-Rot an ein Wahlkampfversprechen.

Wie sicher ist die deutsche Energieversorgung? Aus den USA und Dänemark werden verdächtige Bauteile in chinesischen Komponenten für Solaranlagen gemeldet. Die Bundesregierung prüft aus Sorge vor Spionage und Sabotage ein Bauverbot für einen Windpark in der Nordsee mit chinesischen Windrädern. In der Ostsee häufen sich Fälle von europäischen Kommunikations- und Stromkabeln, die unter Wasser beschädigt oder durchtrennt werden.

Die Bedrohungslage ist offensichtlich, denn Russland liefert die Blaupause: Wer seine geopolitischen Gegner zermürben, dominieren oder zur Kapitulation zwingen möchte, dreht ihnen die Strom- und Gasversorgung ab. Seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 wurden 63.000 Bestandteile der ukrainischen Energieinfrastruktur beschädigt, teilt das Energieministerium in Kiew mit. Kostenpunkt: etwa 93 Milliarden US-Dollar. Stromausfälle sind an der Tagesordnung.

Die gute Nachricht ist: Die Betreiber haben die Risiken auf dem Schirm, die Politik auch. Speziell für die Ostsee diskutieren Anrainerstaaten wie Deutschland oder Schweden, wie sie ihre dortigen Windparks bestmöglich vor russischen Angriffen oder Sabotagen schützen können. Doch bei einem Treffen der europäischen Offshore-Branche wurde am Donnerstag deutlich: Die Kosten möchte niemand übernehmen.

"Das gilt an Land und auch auf See"

"Für den Schutz von kritischer Infrastruktur sind zunächst die Betreiber verantwortlich", sagte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Siemtje Möller bei dem Branchentreffen Zukunft Offshore in Berlin. "Das gilt an Land und auch auf See."

Möller ist mit dem Schutz der See vertraut. Die Ostfriesin war von Dezember 2021 bis zum Start der Merz-Regierung Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium - und sie hat eine klare Vorstellung davon, wie Deutschland, die Nato- und EU-Partner bei den Ostsee-Windparks vorgehen sollten: Das Binnenmeer muss unter Wasser und über Wasser sowie in der Luft überwacht werden. Diese Informationen müssen gesammelt und mit den Sicherheitsbehörden aller Verbündeten geteilt werden. Dann könnten potenzielle Angreifer nicht länger im Schutz der Dunkelheit agieren und würden von ihren Sabotageakten absehen.

Kurz: Möller setzt auf Schutz durch Abschreckung - auf Kosten der Windpark-Betreiber. Beim Branchentreffen in Berlin ruft die SPD-Politikerin die Unternehmen dazu auf, sich schnellstmöglich mit diesen Fragen zu beschäftigen und zu überlegen, welche "Sensorik" für welche Aufgabe passt.

"Landesverteidigung ist eine militärische Aufgabe"

Die Windpark-Betreiber stimmen zu: Zum Schutz ihres Eigentums muss das Geschehen in der Ostsee besser überwacht werden. Man sei zur Kooperation auf See bereit, entgegnet Stefan Thimm bei der Berliner Diskussionsrunde. Man teile für die Überwachung des Seeraums auch gerne die Daten der Windparks, erwidert der Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie Offshore (BWO) stellvertretend für die Branche. Auf Nachfrage von ntv.de ergänzt Thimm, dass die Branche bereits Maßnahmen zur Cybersicherheit und zum physischen Zugangsschutz umsetzt sowie Notfall- und Krisenreaktionspläne erstellt.

Bei der Frage nach konkreter Gefahrenabwehr endet diese Bereitschaft allerdings. Denn was die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Möller im Namen der schwarz-roten Koalition verlangt, ist in den Augen der Offshore-Unternehmen die vollständige Überwachung der Ostsee. "Das geht in den Bereich der Landesverteidigung und ist ganz klar eine militärische Aufgabe", sagt BWO-Chef Thimm.

Service-Techniker an der Waffen

Die Forderungen der Politik verursachen schon seit einiger Zeit Bauchschmerzen in der Branche. Ihr Standpunkt ist: Offshore-Windparks sind und bleiben zivile Infrastruktur. "Was wir nicht leisten können, ist, die Windkraftanlagen zu schützen", so BWO-Chef Thimm. "Wir haben keine bewaffneten Truppen. Unsere Service-Techniker werden nicht an der Waffe ausgebildet - das wollen wir auch nicht."

Doch beim Branchentreffen in Berlin lässt die Verteidigungsexpertin von der SPD nicht mit sich reden. Über Dual-Use-Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können, könne man diskutieren, sagt Möller. Ansonsten gilt: "Solange die Gewinne nicht vergemeinschaftet werden, werden die Kosten auch nicht vergemeinschaftet. Sonst bekommen wir ein Problem mit dem Steuerzahler."

Ihr Tipp: Wenn die Betreiber die notwendige Ausrüstung gemeinsam beschaffen, wird's vermutlich günstiger. Doch die, das betonen sie bei dem Branchentreffen in Berlin mehrfach, wissen gar nicht, welches Gerät sie eigentlich brauchen. Wonach sie über und unter Wasser Ausschau halten sollen. Welche Spezifikationen notwendig sind.

Ausbauziele in Gefahr? Oder ein Wahlkampfversprechen?

Es stimmt, für den Schutz kritischer Infrastrukturen sind in Deutschland in erster Linie die Betreiber verantwortlich - an Land und auf See. Klar sollte aber auch sein: Dieser Schutz lässt sich an Land deutlich einfacher und günstiger umsetzen als auf See, wo man keinen Zaun aufstellen kann.

Die Warnung der Branche fällt daher deutlich aus: Derzeit sind nur in der deutschen Nord- und Ostsee 1639 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von insgesamt rund 9,2 GW in Betrieb. Bis 2045 soll die installierte Leistung auf 70 Gigawatt gesteigert werden. Nur im Offshore-Bereich arbeiten 25.000 Menschen. Windkraft ist das Rückgrat der europäischen Energieversorgung.

Sollen die Betreiber für die flächendeckende Überwachung der Ostsee bezahlen, könnte der Betrieb der Windparks unwirtschaftlich werden. Potenzielle Investoren könnten kalte Füße bekommen, die Ausbauziele in Gefahr geraten.

Oder, das ist die zweite Alternative: Die Betreiber müssen die Preise für ihren Windstrom anheben - und Schwarz-Rot müsste ein zentrales Wahlkampfversprechen kassieren.

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