Weite Teile des Gaza-Streifens sind zerstört und hunderttausende Bewohner des Küstenstreifens sitzen in der Falle, während die israelische Armee ihre Großoffensive fortsetzt, um die Terrororganisation Hamas zu vernichten.

Angesichts der Zerstörung stellt sich die Frage, wo die heimatlosen Menschen hinsollen. Und welche Perspektive es für einen Wiederaufbau Gazas abseits der Vision des US-Präsidenten Donald Trump über eine „Riviera des Nahen Ostens“ gibt. Ein Überblick über die wichtigsten Akteure zeigt, wie festgefahren die Lage ist – und wer am Ende eine Entscheidung herbeiführen könnte.

Israel

Nachdem die Hamas am 7. Oktober 2023 ein bis dato beispielloses Massaker an israelischen Zivilisten verübt und hunderte Israelis als Geiseln nach Gaza verschleppt hatte, setzte Jerusalem eine Militäroperation gegen die Terrororganisation in Gang, die zwei zentrale Ziele hatte: Die Hamas zu zerstören und zu entmachten und die Geiseln zurückzubekommen.

Beide Ziele widersprachen sich, weil die Hamas mit den Geiseln einen Hebel in der Hand hatte, Israel zu Verhandlungen und Kompromissen zu zwingen. Größtes Manko der Politik von Premierminister Benjamin Netanjahu war jedoch, dass er nie einen Plan vorstellte, wie Gaza nach einem Sieg gegen die Hamas aussehen und wer das zu erwartende Machtvakuum füllen soll. So haben die Israelis auch nicht versucht, eine Alternative zur Hamas in Gaza aufzubauen.

Und dann schlug Trump auch noch Anfang Februar vor, einen großen Teil der Palästinenser aus Gaza zu deportieren, um den Streifen wieder aufzubauen. Dieses Vorhaben fand großen Widerhall bei der extremen Rechten in Israel und eröffnete dem den Plänen ebenfalls nicht abgeneigten Netanjahu die Möglichkeit, eben jene Kräfte in seiner Regierungskoalition zu halten und seine Macht zu festigen.

Die israelische Regierung spricht davon, die „freiwillige Deportation“ von Palästinensern aus Gaza erreichen zu wollen – wie Israel sich die Zukunft des Streifens konkret vorstellt, ist jedoch völlig unklar. Offen ist ebenfalls, was Jerusalem mit der Einstellung der Hilfslieferungen nach Gaza bezwecken wollte, die in den vergangenen elf Wochen zu einer erheblichen Verschärfung der humanitären Lage geführt hatte. Seit dieser Woche erlaubt Israel wieder Lieferungen von Hilfsgütern in den Gaza-Streifen.

Ging es wirklich – wie von der Regierung kolportiert – nur darum, Druck auf die Hamas auszuüben, die Geiseln freizulassen und zu verhindern, dass Hilfe von der Terrororganisation abgegriffen wird, mit deren Verkauf wiederum der bewaffnete Kampf gegen Israel finanziert wird? Oder stand dahinter das Ziel, Palästinenser zur Ausreise in Staaten zu bewegen, die sie aufnehmen wollen?

Am Mittwoch sagte Netanjahu jedenfalls, die Umsetzung von Trumps Gaza-Plan sei eine Voraussetzung für das Ende des Konfliktes. Die vergangene Woche gestartete, neue Militäroffensive in Gaza werde zu einer kompletten Einnahme des Streifens und zur Niederlage der Hamas führen. Israel sei nur „unter klaren Bedingungen, die Israels Sicherheit garantieren“ zu einem Frieden bereit: „Wenn alle Geiseln heimkommen, die Hamas die Waffen niederlegt, die Macht aufgibt und ihre Führung ins Exil geschickt wird“, so Netanjahu.

Israel wird mit der derzeitigen Hardliner-Politik jedoch zunehmend zu einem Paria der internationalen Politik. Und auch intern wird die Kritik an Netanjahus Kurs immer heftiger. So sagte etwa der ehemalige konservative Premier Ehud Olmert in dieser Woche, die israelische Politik der Aushungerung der Palästinenser im Gaza-Streifen grenze an Kriegsverbrechen.

USA

Am Anfang von Trumps zweiter Amtszeit sah es so aus, als würde seine Regierung gänzlich aufseiten Israels stehen. Trumps Deportations- und Wiederaufbauplan für Gaza schien geradezu einem Fiebertraum der israelischen Rechten zu entspringen. Das hat sich deutlich geändert: Die Trump-Regierung geht zunehmend auf Distanz zu Jerusalem und hat Netanjahu unter erheblichen Druck gesetzt, wieder Hilfslieferungen nach Gaza zu lassen.

Es war auch auffällig, dass Trump in der ersten Nahostreise seiner zweiten Amtszeit die Golfstaaten besuchte, nicht aber Israel. Laut einem Bericht von „Axios“ ist der US-Präsident zunehmend frustriert darüber, dass der Gaza-Krieg weiter andauert. Er möchte den Konflikt vom Tisch haben – steht er doch seiner Vision von einem prosperierenden Nahen Osten im Wege, der der amerikanischen Wirtschaft Chancen eröffnen soll.

Internationale Gemeinschaft und Europa

Die UN-Institutionen haben sich seit Beginn des Krieges mit einseitiger Kritik an Israel hervorgetan, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass sie auch Israels neue Offensive und die Zurückhaltung von Hilfslieferungen in den vergangenen elf Wochen scharf kritisiert haben. Inzwischen droht Israel aber auch die Unterstützung vieler westlicher Partner zu verlieren. So drohten Kanada, Großbritannien und Frankreich in dieser Woche mit Konsequenzen, wenn Israel seinen Kurs nicht ändert. „Wenn Israel seine erneute Militäroffensive nicht beendet und seine Restriktionen für humanitäre Hilfe nicht aufhebt, werden wir als Reaktion weitere konkrete Aktionen ergreifen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der drei Länder. Großbritannien stoppte zudem die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Israel.

Auch der EU reißt inzwischen der Geduldsfaden. So kündigte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas am Mittwoch an, die Kommission werde dem Wunsch einer starken Mehrheit der EU-Mitglieder nachkommen und das Assoziationsabkommen mit Israel überprüfen. Diese Positionierung der westlichen Partner Israels weist aber eine entscheidende Schwäche auf: Sie zeigt keinen gangbaren Weg auf, wie die Hamas zur Freilassung der Geiseln und zum Abschied von der Macht in Gaza bewegt werden kann. Und wie verhindert werden kann, dass sich der Kreislauf der Gewalt der Hamas gegen Israel und dessen militärischen Reaktionen, der seit der Machtübernahme der Hamas 2006 zur Regel geworden ist, nicht in Zukunft fortschreibt.

Arabische Liga

Arabische Staaten lehnen die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen geschlossen ab und bleiben bei ihrem Mantra der Zwei-Staaten-Lösung. Als Trump Ende Januar die „Umsiedlung“ der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen vorschlug, nannte er Ägypten und Jordanien als mögliche Aufnahmeländer. Im Gegenzug stellte Ägypten einen Plan für Gaza vor, der auch von der Arabischen Liga angenommen wurde.

Der Wiederaufbauplan sieht unter anderem das Ende der Kampfhandlungen im Gaza-Streifen, die Entwaffnung aller dortigen palästinensischen Milizen und die Rückkehr der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nach Gaza vor. Ägypten und Jordanien verpflichteten sich, für die Ausbildung der PA-Polizeikräfte zu sorgen.

Palästinensische Autonomiebehörde

Die PA wird von der säkularen Fatah, einem Konkurrenten der Hamas, kontrolliert und verwaltet Teile des Westjordanlands. Bis zum Hamas-Putsch 2007 war die PA das palästinensische Verwaltungsorgan in Gaza und strebte eine Zwei-Staaten-Lösung mit einem Staat für die Palästinenser in Gaza und in Teilen des Westjordanlands an.

Wenig überraschend lehnt die PA eine Vertreibung der Palästinenser „kategorisch“ ab. Der Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sagte Mitte Mai, solche Pläne seien „Schwachsinn“. Eine amerikanische Verwaltung für den Streifen hält Abbas für inakzeptabel. „Daher müssen die Amerikaner entweder helfen oder diese Ideen aufgeben.“

Hamas

Die Terrororganisation unterstützt offiziell das Wiederaufbau-Vorhaben des arabischen Plans, blendet jedoch die Bedingungen über eine Entwaffnung aus. Seit Jahrzehnten lehnen die radikalen Islamisten jegliche PA-Forderungen zur Entwaffnung ab. Sie beharren auf dieser Position, selbst nachdem Israel ihre militärischen Kapazitäten und Führungsstruktur im Kriegsverlauf dezimiert hat.

Darüber hinaus fallen Hamas-Anführer regelmäßig mit Aussagen auf, in denen sie den Wert des Lebens der Palästinenser im Gaza-Streifen schlicht missachten. Ende vergangenen Jahres sagte der frühere Hamas-Chef Chaled Maschaal, die Verluste seiner Terrororganisation seien „taktischer Natur, während die Verluste unseres Feindes strategischer Natur sind“.

Kürzlich sagte Sami Abu Zuhri, einer der Auslandssprecher der Terrororganisation, in einem Podcast, die zerstörten Häuser könne man neu bauen. Tote „Märtyrer“ könne man „zu Dutzenden wieder herstellen“. Das seien alles „Kosten“ für den Kampf gegen Israel.

Derweil kommt es in Gaza immer öfter zu Anti-Hamas-Protesten. Mitten während der neuen israelischen Offensive bezeichneten die Demonstranten dabei Abu Zuhri als „verabscheuungswürdig“ und hielten „das Recht auf Leben“ der palästinensischen Kinder hoch.

Ägypten

Stets unter Betonung der gemeinsamen Position der Arabischen Liga bestreitet Kairo Berichte über inoffizielle Zusagen zur Aufnahme von einer halben Million Menschen auf der Sinai-Halbinsel, die an den Gaza-Streifen grenzt. Ägypten betrachtet „jeglichen Versuch einer erzwungenen oder freiwilligen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Gaza-Streifen an einen Ort außerhalb Gazas – insbesondere nach Ägypten“ als eine „ernsthafte Bedrohung der ägyptischen nationalen Sicherheit“, hieß es in einer Regierungserklärung von Ende März.

Kairos Ablehnung einer Vertreibung der Palästinenser in jeglicher Form hat Tradition, denn bereits vor dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023 hatten rechtsextremistische Politiker in Israel einen „Transfer“ der Palästinenser befürwortet – darunter der aktuelle Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir.

Dies veranlasste Ägypten, sich weniger als zwei Wochen nach dem Terrorüberfall vom 7. Oktober erneut gegen eine Vertreibung auszusprechen. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) führte Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi aus, dass eine Vertreibung der Palästinenser auf die Sinai-Halbinsel bedeuten würde, dass diese von dort aus Israel angriffen. Dies würde Israel zu Vergeltungsschlägen auf ägyptischem Boden zwingen, was al-Sisi nicht hinnehmen könne, da dies den seit 1979 bestehenden Frieden zwischen Israel und Ägypten gefährde. „Das große Investment, das wir in diesen Frieden getätigt haben, darf nicht für eine nicht umsetzbare Idee zunichtegemacht werden“, sagte der ägyptische Präsident.

Libyen

Laut einem Bericht des US-Senders „NBC News“ entwickelt die Trump-Regierung einen Plan für eine „permanente Umsiedlung“ von einer Million Menschen aus Gaza nach Libyen.

Im Gegenzug für die Umsiedlung der Palästinenser könnten die USA der Regierung in Libyen Gelder in Milliardenhöhe zukommen lassen, die Washington vor über einem Jahrzehnt eingefroren hatten. Libyens Botschafter in den USA bezeichnete den Bericht jedoch als „unwahr“, US-Außenminister Marco Rubio ebenfalls. Vor dem US-Kongress sagte Rubio, bei Gesprächen mit Drittländern handele es sich um die vorübergehende, freiwillige Aufnahme von Verletzten aus Gaza.

Golf-Staaten

Selbst Länder am Persischen Golf, die vor wenigen Jahren mit Israel Frieden geschlossen und das Abraham-Abkommen unterzeichnet haben – wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain – lehnen eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen ab. Saudi-Arabien hat das Abkommen zwar nicht unterzeichnet, nähert sich jedoch seit Jahren Israel an, mit der Aussicht auf ein historisches Friedensabkommen. Ein solches Abkommen ist auch ein zentrales Projekt von US-Präsident Trump.

Kürzlich veröffentlichte Dokumente der Hamas zeigen zudem, dass die Annäherung Saudi-Arabiens an Israel ein ausschlaggebender Grund für den Terrorangriff der Hamas war. Laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ zielte die Terrororganisation darauf ab, den saudisch-israelischen Friedensprozess durch einen regionalen Krieg zu torpedieren oder zumindest zu verzögern.

Dieses Ziel haben die radikalen Islamisten mit dem Gaza-Krieg bisher zumindest teilweise erreicht. Seit etwa einem Jahr wirft Saudi-Arabien Israel in offiziellen Statements und Ansprachen „Kollektivbestrafung“ und „Völkermord“ im Gaza-Streifen vor. Ende 2024 bekräftigte der saudische Thronprinz Mohammed bin Salman den Genozid-Vorwurf in einer Rede auf einem islamischen Gipfel. Für einen Frieden mit Israel verlangt Saudi-Arabien ein Kriegsende und Garantien für einen palästinensischen Staat.

Dies lehnt Israels Premier Netanjahu jedoch ab. Anfang Februar sagte er in einem Interview: „Die Saudis könnten einen palästinensischen Staat in Saudi-Arabien errichten, sie haben dort viel Land zur Verfügung.“ Riad bezeichnete Netanjahus Aussagen als Ausdruck einer „extremistischen Besatzungsmentalität“, die Israel vom Frieden fernhalte.

Clemens Wergin ist seit 2020 Chefkorrespondent Außenpolitik der WELT. Er berichtet vorwiegend über den Ukraine-Krieg, den Nahen Osten und die USA.

Amin Al Magrebi ist Volontär an der Axel Springer Academy. Für WELT schreibt er unter anderem über Syrien und den Nahost-Konflikt.

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