Der Vatikan hat sich grundsätzlich bereit erklärt, als Gastgeber für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine aufzutreten. US-Präsident Donald Trump hatte diese Möglichkeit nach dem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Erwägung gezogen. Der italienische Kirchenhistoriker Alberto Melloni ist allerdings skeptisch: "Wenn das Treffen positiv verläuft, dann sind die Lorbeeren für Trump und Putin. Wenn’s schiefgeht, dann trägt der Vatikan die Schuld."

ntv.de: Wie wahrscheinlich ist es, dass es zu Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine im Vatikan kommt?

Alberto Melloni: Schon Papst Franziskus hatte dieses Angebot gemacht. Und natürlich bleibt auch Papst Leo XIV. dabei. Es ist aber meines Erachtens unwahrscheinlich, dass die Diplomatie des Heiligen Stuhls für ein Abkommen Schmiere steht, das Trump dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aufdrängen will.

Warum?

Aus zwei Gründen. Putin hat einerseits einen Waffenstillstand ausgeschlossen, der es ermöglicht hätte, Verhandlungen aufzunehmen, dafür aber Verhandlung vorgeschlagen, um zu einem Waffenstillstand zu gelangen. Zweitens würde es kein gerechter und anhaltender Frieden sein, den das Papsttum sowie der gesunde Verstand fordern.

Es wird also bei den Spekulationen bleiben?

Schauen wir auf die Strippenzieher. Auf der einen Seite haben wir Trump, der bei der Trauerfeier von Papst Franziskus in blauem Anzug [statt schwarz gekleidet] erschienen ist und der den Petersdom in sein Büro verwandelt hat. Auf der anderen Seite haben wir Putin. Am Ende würde es kein konkretes Ergebnis geben. Das ist nur ein gewiefter Versuch, um den Vatikan einzubeziehen. Wenn das Treffen positiv verläuft, dann sind die Lorbeeren für Trump und Putin. Wenn’s schiefgeht, dann trägt der Vatikan die Schuld.

Der Vatikan ist auch unter Robert Francis Prevost keine Bühne für die US-Regierung?

Ja, so ist es. Papst Franziskus hatte eine ganz besondere Boshaftigkeit an den Tag gelegt. Er gewährte Trumps Vize DJ Vance dann doch noch ein ganz kurzes Treffen und schenkte ihm für dessen Kinder Ostereier aus dem Supermarkt. Der Besuch von Vance vor ein paar Tagen bei Leo XIV. war eine Art Retourkutsche. Wie sollte man sonst Vance's Geschenk für den Papst lesen? Er hat Leo XIV., einem Augustiner, zwei Bücher des Heiligen Augustinus geschenkt. Das ist so, als würde man einem Staatsoberhaupt die Verfassung seines eigenen Landes schenken.

Welchen Spielraum hat der Papst gegenwärtig, wenn es um Geopolitik geht?

Wenn man auf die jüngste Vergangenheit blickt, hat Papst Johannes XXIII. wahrscheinlich den wichtigsten diplomatischen Erfolg verzeichnet. Ihm gelang es während der Kuba-Krise 1962, das Schlimmste abzuwenden. Die zwei Weltmächte USA und Sowjetunion standen kurz vor einer Nuklearkonfrontation. Papst Johannes XXIII. ließ dem US-Präsidenten John Kennedy und dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow den gleichen Friedensappell überreichen. Und der Appell wurde gehört, die Konfrontation wurde abgebrochen. Ein anderes Beispiel: Während des Vietnamkriegs setzte sich Papst Paul VI. für einen Waffenstillstand ab dem 1. Januar 1968 ein. Die Amerikaner hielten sich jedoch nicht daran und der Krieg endete erst 1975.

Das hört sich eher nach Schwäche an.

Jeder Papst hat seine Stimme immer wieder energisch erhoben, um Frieden zu fordern. Die Ergebnisse sind jedoch ernüchternd. Wobei ein weiteres positives Beispiel mit Papst Franziskus zu tun hat. Ende August 2013 plante US-Präsident Barack Obama einen Militärschlag gegen Syrien. Um ihn davon abzuhalten, hatte der Papst für die Katholiken in aller Welt zu einem Tag des Fastens und des Gebets aufgerufen. Der Appell blieb nicht ohne Wirkung: Damaskus wurde nicht bombardiert. Alle darauffolgenden Versuche, sich für den Frieden einzusetzen, verliefen ohne nennenswerte Ergebnisse. Allerdings kann der Heilige Stuhl allein nicht viel ausrichten.

Dann war da noch Papst Johannes Paul II. Es heißt, der Kommunismus sei auch seinetwegen gefallen.

Diese Art, die Geschehnisse zu erzählen, hat Papst Wojtyla richtig auf die Palme gebracht. Seiner Meinung nach war der Kommunismus ohnehin zum Scheitern verurteilt. Für ihn war der Kommunismus eine Erfindung von Atheisten und konnte nicht lange halten. Anders gesagt: Der Kommunismus fußte auf einem ungesunden anthropologischen Verständnis. Wichtig war allerdings sein Beitrag, damit der Fall des Regimes nicht in einem Blutbad endete.

Warum hat sich Franziskus eigentlich nicht klar auf die Seite der Ukraine gestellt?

Fakt ist, dass Papst Franziskus, was den Krieg zwischen Russland und der Ukraine betrifft, alles und gleichzeitig das Gegenteil davon gesagt hat. Es ist also schwer zu sagen, wie er wirklich dazu stand.

Aber warum änderte Franziskus immer wieder seine Meinung?

Er wollte die Dinge beim Namen nennen, gleichzeitig fehlte ihm aber das nötige Fingerspitzengefühl, um die Angesprochenen nicht vor den Kopf zu stoßen. Am Tag des Angriffs auf die Ukraine ließ er sich in die russische Botschaft fahren, um mit Putin zu telefonieren. Als dieses Telefonat nichts brachte, suchte er Unterstützung beim Patriarchen von Moskau, Kyrill I. Der aber war vollkommen auf Putins Seite. Was Franziskus zu der Mahnung veranlasste, man dürfe nicht "Messdiener von Putin" werden. Franziskus war davon überzeugt, dass Putin der Aggressor war. Nichtsdestotrotz wollte er mit seiner Äußerung vom "Bellen der Nato an Russlands Tür" darauf hinweisen, dass auch andere Fehler gemacht haben. Doch so einen Satz kann ein Politologe sagen oder ein Journalist schreiben. Das Oberhaupt der katholischen Kirche eher nicht.

Kann der Heilige Stuhl in der jetzigen Lage eine entscheidende Rolle spielen?

Ich würde zu großer Vorsicht raten. Der Vatikan hat einen Preis für die Naivität von Papst Franziskus gezahlt. Das macht die Aufgabe für Leo XIV. noch schwieriger. Sein Vorgänger war vom Charakter her so impulsiv, dass man sich im Laufe seines Pontifikats an Überraschungen gewöhnt hat. Prevost wurde gewählt, weil er genau das Gegenteil davon ist. Daher wird jeder Schritt, jedes Wort noch genauer beobachtet. Und, wie gesagt, der Vatikan ist weder Schaubühne noch steht man Schmiere.

Mit Alberto Melloni sprach Andrea Affaticati

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