Es war eine Nachricht, die aufhorchen ließ: Deutschland möchte wieder verstärkt nach Griechenland abschieben – das geht aus einem Schreiben des Bundesinnenministeriums an die Länder hervor, das die Behörde Anfang Mai verschickte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) werde wieder Rückführungen ermöglichen – ausgenommen davon sind nur sogenannte vulnerable Gruppen wie Familien, Frauen und Kinder sowie erkrankte Menschen.
Bei der betroffenen Zielgruppe handelt es sich also primär um junge, alleinreisende und gesunde Männer, die schon in Griechenland registriert oder anerkannt waren und danach dennoch nach Deutschland weiterreisten. Seit 14 Jahren verzichtete das BAMF auf Rückführungen nach Griechenland, weil deutsche Gerichte die Versorgung von Migranten in dem EU-Land als katastrophal und ungenügend einstuften. Das sogenannte Dublin-System, wonach der jeweilige EU-Ersteinreisestaat für die Versorgung des betreffenden Asylbewerbers ist, war auch an dieser Schnittstelle praxisuntauglich geworden.
Doch Mitte April befand mit dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erstmals eine deutsche höchstrichterliche Instanz: Migranten droht in Griechenland keine extreme Härte. Der Maßstab sei, ob den Migranten in Griechenland „Brot, Bett und Seife“ zur Verfügung stünden, sagte damals der Vorsitzende Richter Robert Keller. „Das ist nicht viel, das wissen wir auch. Das ist ein harter Maßstab.“
Das Gericht wies in einer Grundsatzentscheidung die Klage eines staatenlosen Mannes aus dem Gaza-Streifen und eines Somaliers ab. Beiden hatte Griechenland einen internationalen Flüchtlingsschutz gewährt, sie erhielten jeweils eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Sie reisten jedoch weiter nach Deutschland und stellten erneut einen Asylantrag.
Das neue Vorgehen des Bundesinnenministeriums war nach dieser Entscheidung aus Leipzig also erwartbar – und folgerichtig. Auch, weil die Bundesregierung mit ihrer neuen Sicht auf die Situation in Griechenland nicht allein steht. Die Europäische Kommission hatte in einer wenig beachteten Stellungnahme von Anfang April dieses Jahres erklärt, dass sich die Situation in Griechenland tatsächlich deutlich verbessert habe.
„Griechenland hat in den letzten Jahren ein gutes nationales Migrationsmanagementsystem mit der erforderlichen Infrastruktur, Ausrüstung und den erforderlichen Instrumenten entwickelt“, heißt es in dem Papier. Probleme wie die „Überbelegung“ und „unzureichende Aufnahmebedingungen“ in den Asyl-Unterkünften seien verbessert worden.
Und dann der entscheidende Punkt: „Auf dieser Grundlage gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass im Asyl- und Aufnahmesystem auf dem griechischen Festland keine systemischen Mängel mehr bestehen, auch wenn in bestimmten Aspekten des Migrationsmanagements möglicherweise weiterhin Verbesserungen erforderlich sind.“ Und weiter: „Griechenland kann sich wieder auf die gleiche Weise am Dublin-System zur Überstellung von Asylbewerbern beteiligen wie andere Mitgliedstaaten.“
„Da können wir jetzt nicht über Rückführungen sprechen“
NGOs wie Pro Asyl hatten die Situation in Griechenland immer wieder kritisiert und auch Klagen gegen Rücküberstellungen angestrebt. Geschäftsführer Karl Kopp prognostiziert nun: „Es wird zwar keine Massenabschiebungen nach Griechenland geben, weil die griechische Regierung nicht mitspielt. Aber an der unwürdigen Situation für Schutzsuchende in Hellas wird sich nichts ändern. Mit dem Asylbescheid kommt in Griechenland für viele die Obdachlosigkeit.“ Es müsse mehr Druck auf die griechische Regierung ausgeübt werden, damit diese endlich die dringend notwendigen Reformen einleite, sodass in Griechenland auch geflüchtete Menschen „ein Leben in Würde“ führen könnten.
Um welche Größenordnungen geht es in der aktuellen Debatte? Laut einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Frage des stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden Sebastian Münzenmaier wurden im Jahr 2024 insgesamt 62.800 Asylbewerber registriert, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt hatten. 2025 waren es bislang rund 12.000 Personen.
Münzenmaier kommentierte: „Die Zahlen zeigen klar: Die Pull-Faktoren sind real. Und die müssen endlich abgeschaltet werden.“ Das heiße: ausschließlich Bett, Brot, Seife statt Taschengeld und Bezahlkarte. Das würde auch die Bundespolizei an den Grenzen massiv entlasten.
Laut dem Asylrechtsexperten Daniel Thym von der Universität Konstanz sind allein im vergangenen Jahr rund 25.000 Menschen nach Deutschland weitergereist, die in Griechenland schon einen Schutzstatus hatten. Zu dieser Personengruppe liege nun das erste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vor, „bisher hatten nur untere Instanzen entschieden“, so Thym. Diese Migranten erhielten in Deutschland zumeist eine Duldung, sie waren also ausreisepflichtig. Bei einer Rückführung war und ist Deutschland aber von der Kooperation von Griechenland abhängig.
Die ersten griechischen Reaktionen auf das neue deutsche Vorgehen sind wenig begeistert. „Wir werden gegenüber dem Antrag nicht besonders freundlich sein“, erklärte Migrationsminister Makis Voridis. In Griechenland sieht man gar nicht ein, sich um die Migranten zu kümmern, wenn die Europäische Union – aus Athens Sicht – wenig tut, um die Probleme an den Außengrenzen zu beheben.
Minister Voridis führte die griechische Sicht schon Ende April näher aus: „Griechenland ist derzeit – bezogen auf die Einwohnerzahl – das zweitbelastetste Land in der EU in Sachen Migration, weil es ein Erstaufnahmeland ist. Auch bei der Zahl der Asylanträge. Da können wir jetzt nicht über Rückführungen sprechen.“
Der Minister erklärte weiter: „Eine Diskussion kann sich um Rückführungen drehen, aber eine andere muss sich um die Lastenverteilung drehen. Die Frage wird also sein: Wie sollen Rückführungen stattfinden, wenn vorher keine Lastenverteilung erfolgt ist?“
Ob die neue Marschroute des Bundesinnenministeriums also zum „Gamechanger“ wird, ist sehr unklar.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke