Nach dem Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin am Montag ist die Stimmung der Europäer aufgeheizt. Sie schwankt zwischen Ratlosigkeit, Enttäuschung und Wut. Putin sei „nach wie vor nicht zu Zugeständnissen bereit“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beim Treffen der Verteidigungs- und Außenminister der EU am Dienstag in Brüssel.

„Ich glaube, dass jeder verstanden hat, dass Wladimir Putin seinen kolonialen Krieg bis zum Ende fortführen wird, wenn wir ihn nicht stoppen, während er weiterhin seine heuchlerische Sprache pflegt“, erklärte Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Noël Barrot. Und der Chef der europäischen Christdemokraten, Manfred Weber (CSU), sagte: „Russland will keinen Frieden. Das ist die Realität, vor der wir stehen.“

Die EU-Außenminister beschlossen bei ihrem Treffen ein 17. Sanktionspaket gegen Russland, wie die Außenbeauftragte Kaja Kallas mitteilte. Das Paket zielt demnach auf etwa 200 Schiffe der sogenannten russischen Schattenflotte – das sind ausgemusterte Schiffe mit dubioser Eigentümerschaft, die russisches Öl transportieren und damit Sanktionen unterlaufen.

Der Effekt dürfte allerdings gering sein, da laut der US-Denkfabrik Brookings Institution 77 Prozent der insgesamt mehr als 300 Schiffe der russischen Schattenflotte bereits amerikanischen, britischen oder europäischen Sanktionen unterliegt. Im Handel mit China, Russlands wichtigstem Ölkunden, spielen diese Sanktionen aber faktisch kaum eine Rolle und das russische Öl wird trotz US-Sanktionen weiterhin in chinesischen Häfen umgeschlagen. Und im Fall von Indien wird das Öl erst kurz vor Erreichen des Zielhafens auf „saubere“ Schiffe umgeladen.

Zudem seien in dem neuen Maßnahmenpaket Bestimmungen zu Menschenrechten und hybriden Bedrohungen enthalten, teilt Kallas in Brüssel mit. Offenbar werden auch die beiden deutschen prorussischen Kriegsblogger Alina Lipp und Thomas Roper mit dem Einfrieren von Vermögen und Einreisesperren belegt. Die neuen Maßnahmen waren seit Langem vereinbart, sie gehören zu den schwächsten Sanktionspaketen seit Kriegsbeginn im Februar 2022.

Insgesamt ist die Wirkung der bisherigen Sanktionen auf die russische Wirtschaft weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Das hat vor allem zwei Gründe: Moskau hat neue Abnehmer gefunden und die EU tut zu wenig oder gestattet – wie im Fall des Ausschlusses Russland vom Zahlungssystem SWIFT - zu viele Ausnahmen, um die Sanktionen auch wirkungsvoll durchsetzen.

Ratlosigkeit in Brüssel

Was wird die Europäische Union jetzt noch tun? Das wissen die verantwortlichen EU-Politiker offenbar selbst nicht so recht. Denn es ist nach dem Telefonat zwischen Putin und Trump am Montag völlig unklar, ob sich Washington weiterhin als Vermittler zwischen den beiden Kriegsparteien Russland und der Ukraine engagieren wird oder stattdessen den Vatikan – der seine Macht allerdings lediglich aus seiner moralischen Autorität bezieht – als neuen Moderator ins Spiel bringt.

Kurz vor dem Telefonat hatte US-Vizepräsident J.D. Vance gesagt, wenn Russland nicht bereit sei sich zu bewegen, müsse die US-Regierung irgendwann sagen: „Das ist nicht unser Krieg.“ Und die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, sekundierte, Trump sei von beiden Konfliktparteien „müde und frustriert worden“. Dabei war es oberste Priorität der Europäer, die Amerikaner bei Waffenlieferungen, aber auch bei der Verhängung von Sanktionen und bei möglichen Friedensverhandlungen als Führungsmacht an Bord zu halten.

Vor diesem Hintergrund unterstütze die EU die Forderungen Washingtons nach einer 30-tägigen Waffenruhe. Merz & Co gingen sogar noch weiter: Erst müssten die Waffen ruhen, bevor es zu Verhandlungen kommt. Man stellte Moskau sogar ein Ultimatum von wenigen Tagen Stunden und drohte andernfalls „massive neue Sanktionen“ an.

Putin ließ das Ultimatum verstreichen und zeigt bis heute keine Bereitschaft einzulenken. Jetzt müssen die Europäer liefern, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verspielen wollen. Darum ging es auch bei den Beratungen der Außenminister in Brüssel. Neue Sanktionen gegen Russland seien „in Arbeit“, verkündete Kallas. „Je länger Russland Krieg führt, desto härter ist unsere Antwort“, fügte sie hinzu.

Streit über Sanktionen

Die EU-Außenbeauftragte Kallas nahm aber auch Trump in die Pflicht und betonte die Notwendigkeit, dass die USA sich der Europäischen Union anschließen müssten, um den Druck auf Russland zu erhöhen: „Wir haben alle zugestimmt und gesagt, dass es starke Maßnahmen geben wird, wenn sie keiner bedingungslosen Waffenruhe zustimmen, wie die Ukraine es vor über 60 Tagen getan hat.“ Das wollten die Europäer nun auch „von allen Parteien sehen, die gesagt haben, dass sie entsprechend handeln werden“, fügte sie hinzu. „Drängen wir Wladimir Putin dazu, seine imperialistische Fantasie zu beenden, indem wir wirklich abschreckende EU-Sanktionen verhängen“, sagte auch Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Noël Barrot.

Seit Tagen wird in Brüssel hinter den Kulissen heftig darüber debattiert, wie harte Sanktionen gegen Russland aussehen könnten. Staaten wir Italien, Ungarn, die Slowakei oder Spanien argumentieren dabei, die EU dürfe sich mit neuen Sanktionen gegen Russland nicht mehr selbst schaden als Moskau. Damit wäre im Extremfall zuallererst ein schneller und vollständiger Importstopp für russisches Öl und Gas gemeint.

Das könnte aber auch westliche Volkswirtschaften schwer treffen. Die EU will sich aber laut EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis beim anstehenden G7-Finanzministertreffen in Kanada für einen niedrigeren Ölpreisdeckel auf russisches Öl einsetzen. Im Gespräch ist ein neuer Deckel von 50 statt bisher 60 Dollar pro Fass, damit Russland am Öl weniger verdient.

Abgesehen davon, dass die Preisobergrenze bis heute kaum Wirkung gezeigt hat, liegt der aktuelle Ölpreis derzeit ohnehin bei nur 48 Dollar pro Fass – damit würde die angekündigte Maßnahme verpuffen. Das wären auch bei den angekündigten Maßnahmen gegen die Ostseepipeline Nord Stream 2 der Fall. Die Röhre ist niemals von Deutschland zertifiziert und damit ohnehin nicht einsatzbereit.

Auch die von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ins Spiel gebrachten weiteren Sanktionen gegen russische Banken dürften nur begrenzte Effekte haben. Grund: Russische Banken, die mit Sanktionen aus dem Westen belegt sind, haben es offenbar geschafft, mit Partnern aus China direkte Zahlungswege zu etablieren, womit sie SWIFT und das westliche Bankensystem umgehen.

Brüsseler Diplomaten sagten WELT, man hoffe darauf, dass der US-Senat das vom republikanischen Senator Lindsey Graham, einem Trump-Verbündeten, initiierte Sanktionspaket mit Zöllen von bis zu 500 Prozent als Strafe für die Verletzungen von Sanktionen („Sekundärzölle“), durchbringen werde. Dann ließe sich auch der russlandfreundliche ungarische Regierungschef Viktor Orbán, der zugleich die Nähe zu Trump sucht, eher zu neuen Sanktionen bewegen. Aber würde Washington derart weitreichende Sanktionen wirklich wagen und damit womöglich einen Handelsstreit mit Indien und China riskieren?

Vieles deutet derzeit in Brüssel darauf hin, dass die Europäer sehnlich auf Signale aus Washington warten und dabei vor lauter Ratlosigkeit und Ohnmacht nach außen hin viel Aktionismus demonstrieren, ohne Moskau tatsächlich unter Druck setzen können. Putin lassen die Drohungen der Europäer völlig kalt.

Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.

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