Seit der britische Premierminister Keir Starmer seinen sehnlichen Wunsch verkündet hatte, Großbritannien wieder „mit Kontinentaleuropa zu verbinden“, schwebte eine unangenehme Frage im Raum, die auf dem Gipfeltreffen am Montag in London beantwortet werden sollte. War diese „Ruhepause“ ein Moment des reuevollen „Entschuldigens für den Brexit“?

Oder eher ein Moment, in dem das freigeistige Vereinigte Königreich sein polyamores Potenzial ausspielen konnte, indem es in der einen Woche Handelsabkommen mit den USA unter Präsident Donald Trump und in der nächsten mit Indien unterzeichnete – und nun, im prunkvoll vergoldeten und mit königlichen Porträts ausgestatteten Londoner Lancaster House auch noch einen Deal mit den „schwierigen“ Europäern aushandelte?

Die Stimmung zumindest war gut. Auf der Bühne stand Keir Starmer, der in Roboter-Englisch wiederholte, dass Großbritannien „zurück auf der Weltbühne“ sei. Das hatte er mir bereits vor mehr als anderthalb Jahren in einem Interview gesagt. Spoiler-Alarm: Wir sind immer noch „zurück“.

Neben ihm EU-Kommissarin Ursula von der Leyen, in leuchtender, Thatcher-blauer Jacke und mit einem Ausdruck wachsamer Besorgnis im Gesicht, was die britische Presse ihr alles entgegenwerfen könnte. Antonio Costa, Präsident des Europäischen Rates, versuchte zu helfen, was ihm aber nicht ganz gelang, da er fälschlicherweise sagte, dass eine positive Entwicklung „sehr weit“ entfernt sei. „Ich glaube, Sie meinen ,sehr nah‘“, fügte Starmer sehr schnell hinzu.

Im Mittelpunkt: „Deals, die unsere Wirtschaft ankurbeln und Geld in die Taschen der Menschen bringen“. Kurzform für die Erkenntnis, dass die müden britischen Wähler sich nicht sonderlich für Wiederannäherungen oder das diplomatische Geschwätz auf Gipfeltreffen interessieren. Die Politiker sprechen in einer Art weicher Währung über Großbritannien und Europa – die Öffentlichkeit aber misst das Ganze in harten Devisen.

Von der Leyen hielt sich an bewährte Floskeln, schnurrte „Lieber Keir“ und sprach von „einem neuen Kapitel und einer neuen Beziehung zwischen zwei natürlichen Partnern, die Seite an Seite stehen und vor weitgehend gleichen Herausforderungen stehen und gleich gesinnt sind“. Hinter der schwebenden Sprache deutete sich ein Hauch von Langeweile an.

Starmer sah erschöpft aus – kein Wunder, nachdem er Kommunalwahlen hinter sich hat, die ein Warnsignal an die Labour-Regierung waren in Form eines starken Aufschwungs von Reform UK, der Partei von Nigel Farage, dem Politiker, der Großbritannien 2016 in das EU-Referendum getrieben hatte.

Der raue Charme des „Farageismus“ hat dazu geführt, dass Labour inzwischen einen härteren Kurs im Hinblick auf Einwanderung und Asyl fährt. Starmer konnte es sich daher nicht leisten, einen Neustart zu riskieren, der so aussähe, als würde man den Brexit-Geist wieder in die Flasche stecken – oder dass es irgendwelche Zugeständnisse in dieser Frage gäbe. „Es ist eine Win-win-Situation“, donnerte der britische Premier, sprach von „beispiellosem Zugang zu den EU-Märkten“ (durch eine Glättung der Reibungen um Fischereirechte und Agrarprodukte).

Rhetorik und guter Wille einmal beiseitegelassen, ist das Ergebnis eher dünn, definiert sich eher durch das, was nicht in der Vereinbarung steht, und durch Dinge, die vielleicht eines Tages passieren könnten – aber noch nicht jetzt und schon gar nicht mit einem konkreten Zeitplan. „Keine Rückkehr zur Freizügigkeit“, versprach Starmer.

Durchbruch bei den Fischereirechten

Gleichzeitig war das Hauptverkaufsargument für die Wähler, dass wir beim Urlaub in Europa schon bald wieder die EU-Gates nutzen können – anstatt in der Post-Brexit-Hölle der „anderen Pässe“ anzustehen.

Die solidesten Nachrichten betrafen einen Durchbruch bei den Fischereirechten und weniger Kontrollen für Lebensmittel und andere landwirtschaftliche Produkte. Aber es gibt einen Haken: Laut EU-Quellen wird der Zugang zu britischen Fischereigewässern bis Ende Juni 2038 gewährt, eine Verlängerung um 12 Jahre, im Gegenzug für ähnliche Rechte in umgekehrter Richtung.

Starmer stellte die dadurch angeblich erreichte höhere Stabilität als Vorteil dar. Doch Tories und Reform UK brauchten keine Minute, um dies als Rückfall des Vereinigten Königreichs in seine Rolle als „Regelbefolger“ darzustellen, der auf absehbare Zeit wieder an die EU gebunden ist. Boris Johnson, Brexiteer und ehemaliger Premierminister nannte Starmer „Ball kauenden, geknebelten Krüppel Brüssels“. Wir sind also noch nicht ganz über die Brexit-Sache hinweg.

Auf derartige Kritik angesprochen, verzog von der Leyen aristokratisch die Lippen und sagte, dass dies nicht der Fall sei. Starmer sprach ausführlich über die Vereinbarung zu Lebensmittelstandards, die Großbritannien ermöglichen würde, den Europäern Krustentiere und Burger zu verkaufen (sorry wegen der Burger, Freunde!). „Es öffnet sich die Tür für Schalentiere“, wiederholte der britische Premier, was irgendwie nach „Alice im Wunderland“ klang.

Das Versprechen eines Programms zur Förderung der Freizügigkeit für junge Menschen – eine der wichtigsten Hoffnungen der deutschen Regierung im Vorfeld des Abkommens, das unter 30-Jährigen mehr Freiheit für Arbeitsaufenthalte im jeweils anderen Land ermöglichen sollte – wurde zu einer Vereinbarung verwässert, etwas zu verfolgen, was Starmer als „Jugend-Erfahrungsprogramm“ bezeichnet. Allerdings ohne festen Starttermin und mit viel Gerede darüber, was alles nicht enthalten ist (günstige Studiengebühren an britischen Universitäten zum Beispiel oder ein Zugang zum Gesundheitssystem NHS – auf keinen Fall!).

Nach all den schönen Worten über junge Menschen wollte eine Regierung, die mit Vorwürfen ringt, die Kontrolle über die Einwanderung verloren zu haben, in dieser Frage kein Risiko eingehen.

Auf die Frage, ob die Vereinbarung ein „Rückzug vom Brexit“ sei, schien von der Leyens maskenhafte Miene leicht zu verrutschen – als quäle sie der Gedanke an diese undankbaren, unverbesserlichen, euroskeptischen, im Grunde verrückten Briten. „Es ist ein Neuanfang“, sagte sie (wieder). Das bedeutete, dass es nun „jedes Jahr“ einen Gipfel geben würde, um die (zaghaften, ergebnislosen) Bemühungen fortzusetzen, das Vereinigte Königreich mit dem Festland jenseits des Ärmelkanals verbunden zu halten. „Fragen Sie uns in ein paar Jahren noch einmal, dann werden Sie sehen, was wir erreicht haben“, so die Kommissionspräsidentin.

Mit anderen Worten: Es bedurfte großer Anstrengungen und eines Abschlusses in einer prachtvollen Villa, um nicht sehr weit zu kommen. Aber zumindest mit guter Laune.

Anne McElvoy ist eine leitende Redakteurin bei „Politico“ und Moderatorin des täglichen Podcasts „Politics at Sam and Anne's“.

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