Unter Frankreichs Republikanern ist ein Richtungsstreit entbrannt, eine Art Kalter Krieg der Konservativen. Am Wochenende stimmen die rund 120.000 Mitglieder von Les Républicains (LR) über den zukünftigen Vorsitzenden der Partei ab.
Zwei Männer kämpfen um dasselbe Amt. Der eine, Laurent Wauquiez, 50 Jahre alt, ist flamboyant, aber unbeliebt. Sein Gegner, Bruno Retailleau, 64, ein solider, aber unscheinbarer Politiker aus der Provinz, der sich im Amt des Innenministers Respekt verschafft hat, gilt als Favorit.
Beide möchten bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2027 für die Konservativen antreten. Der Parteivorsitz ist in ihren Augen eine Art Startblock für das Rennen um das höchste Amt im Land. Die Richtungswahl hat viele zurück in die Partei gelockt.
Die Mitgliederzahl von LR hat sich seit Jahresbeginn verdreifacht. Jetzt fehlen der Partei nur noch die Wähler. Diese sind in den vergangenen Jahren entweder nach rechts, zu Marine Le Pen und ihrem Rassemblement National (RN), oder in die Mitte, zur Partei Renaissance des amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron, abgewandert.
Der Abstieg der Konservativen begann 2012, nach der Amtszeit von Präsident Nicolas Sarkozy. Damals hatte die Partei noch 229 Sitze in der Nationalversammlung. Heute verfügen sie über 48. Man kann eine erschütternde Rechnung aufstellen: Die Konservativen werden seit 20 Jahren nicht mehr an der Macht gewesen sein, wenn Frankreich 2027 einen neuen Präsidenten wählt.
Der Tiefpunkt in der Geschichte der Partei war das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2022, als Valérie Pécresse nicht einmal mehr über die Fünf-Prozent-Marke kam. Doch in der Provinz sind die Konservativen immer noch stark. Sie haben die Mehrheit im Senat, regieren über der Hälfte der 13 Regionen und stellen 40 Prozent der Bürgermeister.
Wähler sehnen sich nach klarer Linie
Unberechtigt ist die Hoffnung auf eine Rückkehr an die Macht deshalb nicht. Macrons Ideologie des „Sowohl als auch“, also links und zugleich rechts, liberal und zugleich sozial zu agieren, ist abgenutzt. Nach acht Jahren im Amt, das Land ist hoch verschuldet, wünschen sich viele Wähler wieder eine klare Linie, vor allem aber die Kontrolle über die Kassen. Doch wie gewinnt man die Wähler zurück, die in beide Richtungen abgewandert sind? Und gibt es tatsächlich eine Lücke zwischen einem RN, der in die Mitte gerückt ist, und Macrons Linie, die inzwischen klar nach rechts tendiert?
Als LR-Parteichef Éric Ciotti vor den Überraschungswahlen im Juni ein Wahlbündnis mit Le Pen vorschlug, war das ein Tabubruch. Ciotti verbarrikadierte sich hinter der großen Holzpforte des Parteisitzes und wurde aus der Partei ausgeschlossen. Das Ganze hatte etwas von Boulevardtheater, illustrierte aber perfekt das Dilemma der Partei.
Jetzt geht es darum, die Linie zu bestimmen, die zum Erfolg führt. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die beiden Bewerber kaum: Beide sind in Fragen von Sicherheit und Einwanderung Hardliner. Innenminister Retailleau steht für die klassische Linie, streng, aber seriös. Er bezeichnet sich als Kandidat der „anständigen Leute“. Angesichts steigender Kriminalität hat er die laxe, französische Gesellschaft als „Fabrik von Barbaren“ bezeichnet. Er flirtet mit den Rechtspopulisten, aber respektiert den Rahmen der Republik.
Der 14 Jahre jüngere Wauquiez geht weiter. Unlängst schlug er vor, ausgewiesene und als Gefährder eingestufte Ausländer, die von ihren Heimatländern nicht zurückgenommen werden, auf die Inseln Saint-Pierre-et-Miquelon vor der Küste Kanadas zu schicken.
Er argumentierte, dass das französische Überseegebiet vor Neufundland nicht sonderlich attraktiv sei: Durchschnittstemperatur fünf Grad Celsius, mehr als 140 Tage Regen im Jahr, keine 5000 Einwohner. Das sei so abschreckend, dass Gefährder Frankreich vermutlich lieber aus freien Stücken verließen. Der Spott blieb nicht aus. Wauquiez führe das Arbeitslager wieder ein, hieß es, die Verbannung. Von einem französischen „Guantanamo-sur-Mer“ sprach ein Sozialist ironisch.
Wauquiez hatte damit tagelang die Aufmerksamkeit der Medien sicher. Aber es war keine Provokation. Er meint es ernst. Man muss ihm nur bei seinen Diskussionsveranstaltungen zuhören, während derer er für eine Parteilinie wirbt, die der des RN in nichts nachsteht. Die vergangenen Monate ist er durch das Land getourt, hat bis zu 15 Veranstaltungen in der Woche absolviert, oft stundenlang debattiert.
Bruch mit Macron
„90 Prozent der Gefährder werden nach 90 Tagen Haft entlassen. Darunter sind gefährliche Profile, dahinter stehen die Namen von Lola und Philippine, das Attentat von Mühlhausen“, so Wauquiez mit Hinweis auf die Ermordung einer Schülerin durch eine psychisch gestörte Algerierin und einer Studentin durch einen vorbestraften Marokkaner, beides Verbrechen, die in Frankreich erhitzte Debatten ausgelöst haben.
Wauquiez predigt den klaren Bruch mit Macron. Seinem Gegner Retailleau wirft er vor, sich kompromittiert zu haben, weil er in die Regierung gegangen ist. „Ich bin noch immer kein Macronist“, erklärt Retailleau, er habe lediglich Verantwortung übernommen und eine linke Regierung verhindern wollen.
Obwohl nicht sicher ist, ob Marine Le Pen bei den Wahlen 2027 für das Rassemblement National antreten kann, reicht eine harte Linie von LR nicht zwingend, um wieder an die Macht zu kommen.
Die Kandidaten der Mitte, die Macrons Nachfolge antreten wollen, kommen in den Umfragen auf rund 20 Prozent, Retailleau erhielte derzeit lediglich zehn Prozent. Der Einzige, der in den Umfragen zulegt, ist Jordan Bardella, der politische Ziehsohn Le Pens, Hoffnungsträger der Rechtspopulisten.
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