In Berlin stellt der Thüringer AfD-Chef Höcke ein Gutachten vor, das sowohl die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz als auch alle Prozesse gegen ihn beenden soll. Zugleich droht er Richtern und Staatsanwälten.
Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke sieht sich und seinen Landesverband zu Unrecht politisch verfolgt. Das allein wäre keine Nachricht - die AfD sieht sich seit Jahren als Opfer. Neu ist: Zusammen mit dem sächsischen AfD-Chef Jörg Urban hat Höcke in Berlin ein Gutachten vorgestellt, das den Vorwurf juristisch untermauern soll.
Dem Gutachten zufolge verbietet Artikel 55 der Thüringer Landesverfassung "alle die Mandatsausübung beeinträchtigenden Maßnahmen". Darunter fassen die AfD und ihr Gutachter, der Staatsrechtler Michael Elicker, vor allem die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sowie dessen Einstufung der AfD als rechtsextremistisch. Für Sachsen gilt das Gutachten analog: Auch die sächsische Landesverfassung enthält eine sogenannte Indemnitätsklausel, die praktisch identisch mit der thüringischen Regelung ist.
Die Indemnität von Abgeordneten bedeutet, dass sie "zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie im Landtag, in einem seiner Ausschüsse oder sonst in Ausübung ihres Mandats getan haben, gerichtlich oder dienstlich verfolgt" werden dürfen, wie es in Artikel 55 der Thüringer Landesverfassung heißt. Hier liegt der Unterschied zur Immunität: Sie kann aufgehoben werden, damit Abgeordnete vor Gericht angeklagt werden können.
"Sämtliche Verfahren gegen mich sind einzustellen"
Höcke sagte bei der Pressekonferenz in Berlin, die Indemnität diene dem Schutz der Gewaltenteilung und damit dem Schutz der Demokratie. Die AfD als "einzige Opposition" werde auf eine Art angegriffen, "dass es mittlerweile die Demokratie gefährdet".
Aus dem 62-seitigen Gutachten leitet Höcke mehrere Forderungen ab, die er und die AfD ohnehin seit Jahren stellen. So stehe "der Verdacht der Rechtsbeugung im Raum". Der Verfassungsschutz betreibe "Gesinnungsschnüffelei" gegen Oppositionsparteien, die "völlig friedlich unterwegs sind, die nur eine andere Meinung haben", behauptete er. Dies sei in Thüringen und Sachsen "sofort einzustellen".
Gleiches forderte Höcke für alle Prozesse, die gegen ihn geführt werden: "Sämtliche Verfahren gegen mich sind einzustellen, denn der Indemnitätsschutz gilt für jeden Abgeordneten zu jeder Zeit." Auch müsse geprüft werden, "inwiefern" sich die Staatsanwälte und Richter in den Verfahren gegen ihn strafbar gemacht hätten. Im vergangenen Jahr wurde Höcke vom Landgericht Halle zwei Mal wegen der Verwendung einer SA-Losung verurteilt; Höcke hat gegen beide Urteile Revision eingelegt. Sein AfD-Landesverband wird vom Thüringer Verfassungsschutz seit 2021 als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
Nicht die erste Drohung - die aber keine sein soll
Höcke stieß Drohungen dieser Art nicht zum ersten Mal aus. Man könne den Angestellten des Verfassungsschutzes "nur dringend raten, sich eine neue Arbeit zu suchen", schrieb er unlängst auf X, nachdem das Bundesamt die AfD auf "gesichert rechtsextremistisch" hochgestuft hatte. "Am Ende wird es wie immer in der Geschichte heißen: Mitgehangen – mitgefangen."
Auf der Pressekonferenz fragte ein Journalist, warum Höcke diesen Eintrag kurz nach seiner Veröffentlichung gelöscht hatte. Das sei "eine Unregelmäßigkeit in meiner Abteilung gewesen", die er nicht weiter ausführen wolle, sagte Höcke. Inhaltlich stehe er aber dazu. Beamte hätten die Pflicht, "ungesetzmäßiges Handeln" zurückzuweisen, führte er aus. Es sei "ein zum Nachdenken anregender Satz" gewesen, soll heißen: keine Drohung. Auf die Frage, welche Konsequenzen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes denn befürchten müssten, antwortete er lächelnd: "Gar keine, sie sind ihren Gewissen gegenüber verpflichtet."
Höcke ist der Kopf des völkischen Flügels der AfD. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main entschied vor zwei Jahren, die Aussage "Björn Höcke ist ein Nazi" sei keine Beleidigung, sondern "ein an Tatsachen anknüpfendes Werturteil". Selbst der AfD-Vorstand kam 2015 zu dem Schluss, Höcke habe unter Pseudonym für eine neonazistische Zeitschrift geschrieben. Darin sprach er unter anderem über eine "identitäre Systemopposition", die in der anstehenden Revolution ihren "Führungsanspruch" durchsetzen müsse. 2017 attestierte die AfD-Spitze dem Thüringer Landeschef "eine übergroße Nähe zum Nationalsozialismus". Dennoch hat Höcke die großen Machtkämpfe in der AfD stets gewonnen. Einige Beobachter bezeichnen ihn seit Jahren als wahres Machtzentrum der Partei.
Grenze oder keine Grenze?
In der Pressekonferenz bezog sich Höcke ausdrücklich auf die Urteile von Halle: "Nein, die Indemnität zieht keine Grenze", sagt er auf eine entsprechende Frage. Gutachter Elicker assistierte: Auch "moderne Formen der Pressearbeit", also etwa Wahlkampfreden, seien vom Indemnitätsschutz betroffen. Das würde bedeuten, dass Höcke, da er nicht nur AfD-Landeschef ist, sondern auch Abgeordneter des Thüringer Landtags, ungestraft gegen Paragraf 86a des Strafgesetzbuches verstoßen dürfte. Der Paragraf verbietet das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen - das Landgericht Halle hatte Höcke auf dieser Basis verurteilt, weil er mehrfach eine SA-Parole verwendet hatte.
Das ist offenbar einer der Hauptzwecke des Gutachtens. Der sächsische AfD-Fraktionsvize Joachim Keiler sagte, die Verfahren gegen Höcke würden "natürlich vor das Verfassungsgericht" gebracht, wenn sie nicht "vor einem ordentlichen Gericht enden", sprich: wenn Höcke nicht freigesprochen wird. Keiler räumte indessen ein, dass die Indemnität eine Grenze habe. Diese liege dort, wo "in aggressiv-kämpferischer Weise" gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgegangen werde. Aber "das tun wir ja nicht", sagte er.
Bei der Pressekonferenz blieb unklar, ob Höckes und Urbans Vorstoß mit der Bundespartei abgesprochen war. Er gehe davon aus, "dass das Gutachten im Rechtskampf auf Bundesebene Verwendung finden wird", sagte Höcke. Heute Abend befasse sich der AfD-Bundesvorstand mit dem weiteren Vorgehen im Rechtsstreit mit dem Verfassungsschutz.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD am 2. Mai als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Dagegen hat die AfD mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht Köln reagiert. Bis zu einer Entscheidung hat der Verfassungsschutz die neue Einstufung ausgesetzt - ein normaler juristischer Vorgang. Offiziell wird die AfD weiter nur als Verdachtsfall geführt. Neben Thüringen und Sachsen stufen die jeweiligen Landesverfassungsämter auch die AfD in Sachsen-Anhalt und Brandenburg als gesichert rechtsextremistisch ein.
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